Bettina Limperg ist zum Gesicht derer geworden, die den Gesetzentwurf zu Kameras bei Bundesgerichten ablehnen. Im Gespräch klingt die BGH-Präsidentin differenzierter. Und doch fürchtet sie Videos von weinenden Opfern im Netz.
LTO: Frau Limperg, zwei Tage vor der Anhörung im Rechtsausschuss zum Thema EMöGG (Anm. d. Red: Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte) haben Sie einen wenig amüsierten Brief an die Ausschussvorsitzende Renate Künast geschrieben. Sein Inhalt im Wesentlichen: ‚Wieso fragt zu dem Thema eigentlich niemand uns Präsidenten der Bundesgerichte?‘.
Limperg: Ich habe – in Absprache mit den anderen Präsidenten der Bundesgerichte – in meinem Brief noch einmal darauf hingewiesen, dass wir uns gefreut hätten, bei der mündlichen Anhörung anwesend zu sein und bestimmte Dinge zu dem Gesetzentwurf anmerken zu dürfen. Wir haben ausführliche Stellungnahmen gegenüber unseren Ressort-Ministern abgegeben, diese werden aber üblicherweise nicht in den politischen Prozess transferiert.
LTO: Beim 22. Deutschen Richter- und Staatsanwältetag wurde deutlich, dass die Richter aus den Instanzen fürchten, dass künftig im deutschen Fernsehen zusammenbrechende Angeklagte oder weinende Opferzeugen zu sehen sein werden. Auch Sie und andere Gegner des Gesetzentwurfs argumentieren mit solchen Szenarien. Dabei sieht der Gesetzentwurf lediglich vor, dass Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte aufgezeichnet werden dürfen. Wieso wird innerhalb der Justiz in einer fast unseriösen Form Panik vor etwas geschürt, das gar nicht vorgesehen ist?
Limperg: In der Gesetzesbegründung zum EMÖGG finden sich einige Hinweise darauf, dass die jetzt geplanten Schritte nur ein Einstieg sind. Das deckt sich auch mit der politischen Forderung. So klang bei der Justizministerkonferenz an, dass man die Medien unmittelbarer in den Gerichten zulassen will – und dabei mit den obersten Bundesgerichten anfangen möchte. Danach soll es eine Evaluierung geben und nach weiteren Möglichkeiten geschaut werden.
"Es ist blauäugig, zu glauben, dass das jetzt alles ist"
LTO: Dennoch argumentieren Sie mit dem Dammbruch-Argument gegen etwas, das gar nicht eingeführt werden soll. Und das mit einer Vehemenz, die, die Diskussionen beim Deutschen Richtertag einmal als ansatzweise repräsentativ unterstellt, offenbar innerhalb der Justiz einen meines Erachtens falschen Zungenschlag in die Diskussion bringt.
Limperg: Es ist doch blauäugig, zu glauben, dass das jetzt alles ist. Die Kameras kommen ja noch von einer anderen Seite - wir führen im Rahmen der StPO-Reform intensive Debatten zum Beispiel über die audiovisuelle Aufnahme im Ermittlungsverfahren und im Zwischenverfahren. Und zunehmend wird gefragt, wieso denn eigentlich nicht - wo doch Urteile im Namen des Volkes ergehen und es den Öffentlichkeitsgrundsatz gibt.
Die Saalöffentlichkeit wird schon jetzt allgemein mit der Medienöffentlichkeit gleichgesetzt – dabei sind das vollkommen unterschiedliche Öffentlichkeiten. Und noch einmal: Die Tendenzen zu weiterer Öffentlichkeit sind in der Gesetzesbegründung angelegt und von einzelnen Landesjustizministern, öffentlich zum Beispiel von Herrn Kutschaty (Anm. der Red: NRW-Justizminister Thomas Kutschaty), explizit gewünscht – selbstverständlich ohne Rechte zu verletzen.
"Etwas völlig anderes als Twitter"
LTO: Aber warum reicht Ihnen denn nicht genau diese Beschränkung - es gäbe doch relativ bald eine Grenze. Nämlich bei den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten, die ja - zu Recht - groß geschrieben werden.
Limperg: Da bin ich mir gar nicht so sicher. Es gibt doch schon jetzt die entwürdigenden Bilder vom Einzug in den Saal, auf denen die Angeklagten, für welche die Unschuldsvermutung gilt, sich mit Mappen vor den Kameras schützen müssen. Und schon jetzt kommen manche Beteiligte – so sie die Wahl haben – nicht zu Verfahren, aus Angst vor den Kameras und dem Blitzlichtgewitter.
LTO: Und schon jetzt berichten Journalisten online quasi live aus dem Gerichtssaal, zum Beispiel über Twitter. Wie kann man demgegenüber noch die Aufrechterhaltung des Verbots von Kamera-Aufzeichnungen rechtfertigen? Schließlich muss man ein Verbot rechtfertigen und nicht die Erteilung einer Erlaubnis.
Limperg: Das ist aus meiner Sicht etwas völlig anderes. Getwittert werden in der Regel Worte, nicht Bilder. Twitter ist ja nur eine schnellere Technik des Schreibens.
Pia Lorenz, BGH-Präsidentin zu Kameras vor Gericht: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22790 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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