BGH-Präsidentin zu Kameras vor Gericht: "Es wäre blau­äugig, zu glauben, dass das alles ist“

von Pia Lorenz

29.04.2017

2/3: "Nur mit den Urteilsverkündungen an Bundesgerichten hätte ich kein Problem"

LTO: Zur Klarstellung noch einmal: Sie – als Vertreterin der Präsidenten der Bundesgerichte - haben also eigentlich nicht mit dem aktuellen Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form Probleme, sondern nur mit dem, was nach dem befürchteten Dammbruch käme?

Limperg: Mit dem Filmen von Urteilsverkündungen an den obersten Bundesgerichten hätte ich abgesehen von technischen, organisatorischen und haushalterischen Themen kein Problem - wenn ich sicher wäre, dass es dabei bleibt. Und wenn, das ist mir wichtig: Wenn wir es selber machen können.

Die vorgesehene Umkehrung, es allein den Medien zu überlassen, wann, wie und was sie aufzeichnen und ausstrahlen, ist einmalig in Europa. Und wenn es darum gehen soll, dass die Gerichte sich erklären und um Vertrauen werben sollen, dann müssen wir das selber machen.

LTO: Aber Journalisten berichten doch auch über andere Vorgänge, zum Beispiel solche aus dem Deutschen Bundestag. Diese einzuordnen und verständlich zu machen, ist doch ganz originär unsere Aufgabe.

Limperg: Aber der Deutsche Bundestag betreibt auch ein eigenes Parlamentsfernsehen, das zur umfassenden Information einlädt. Im Übrigen hat die Justiz vollkommen andere Aufgaben als der Deutsche Bundestag. Wir sprechen nicht für die Öffentlichkeit - zwar im Namen des Volkes, aber nicht "für" das Volk.

Wir führen Verfahren durch, an denen mindestens die Hälfte der Beteiligten nicht beteiligt werden wollte. Ein Angeklagter oder Beklagter befindet sich in aller Regel in einer völlig anderen Situation als andere Personen im öffentlichen Raum.

Hoheit, Gleichheit, Vollständigkeit

LTO: Wie sähe das aus, Court TV, made by BGH? Und wie verträgt sich dieser Vorschlag mit ihrem Einwand gegen das EMÖGG, die Bundesgerichte hätten weder personell noch sachlich genug Ressourcen?

Limperg: Wenn man etliche Kamerateams beaufsichtigen will, bräuchte man viel mehr Personal bei den Gerichten. Der Aufwand für die Akkreditierung steigt, zusätzliches Personal muss die Fernseh-Teams führen und ihnen alles erklären - von den Anweisungen des Vorsitzenden über zulässige und unzulässige Perspektiven und Aufzeichnungen bis zur Lage der Steckdosen.

Wenn wir es dagegen selbst machen, haben wir in der Hand, was wir tun: welche Einstellungen wir wählen, welche Bilder wir wollen, ob wir Nahaufnahmen machen, Beteiligte oder Anwälte mit aufzeichnen.  

Zudem könnten wir eine Gleichheit des Zugangs herstellen, die ein Fernsehsender - außer bei Anordnung einer Poolbildung - naturgemäß nicht herstellt. Und so nicht nur den Großen die Möglichkeit geben, etwas zu machen, sondern auch kleineren Sendern und Printmedien.

Schließlich könnten wir auch die Hand darauf haben, dass wir Vollständigkeit abbilden. So könnten wir dafür sorgen, dass durch die Schnipsel, die die Medien - notwendigerweise - auswählen müssen, keine Fragen offen bleiben.

Urteilsverkündung, ungeschnitten und unkommentiert ins Netz

LTO: Wie sähe das konkret aus? Würden Sie anderthalb Stunden Urteilsverkündung, aus nur einem Winkel aufgezeichnet, ungeschnitten und unkommentiert ins Netz stellen?

Limperg: Genauso. Wir würden uns natürlich an die Regeln halten, die wir auch für die Rundfunkanstalten entwerfen müssten, wenn der Entwurf wie vorgesehen Gesetz wird. So würden wir zum Beispiel Kamera-Einstellungen festlegen, die sicherlich nicht gerade aus Nahaufnahmen bestünden, und klären, wer überhaupt gefilmt werden darf. Und selbstverständlich würden wir solche Aufnahmen erklärend – etwa durch Erläuterungen der Pressesprecherinnen – begleiten.

Wohlgemerkt: Das alles gilt nur für die Bundesgerichte! Instanzgerichtliche Urteile gerade im Strafrecht enthalten häufig minutiöse Beweiswürdigungen einschließlich Glaubwürdigkeitsaspekten. Das sind Materialien, die meines Erachtens nicht in die Medienöffentlichkeit gehören - und doch fürchte ich, dass sich das in diese Richtung weiter entwickeln wird.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, BGH-Präsidentin zu Kameras vor Gericht: "Es wäre blauäugig, zu glauben, dass das alles ist“ . In: Legal Tribune Online, 29.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22790/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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