Neue juristische Dissertationen: Von Gesch­lech­ter­quoten und ver­stopften Gerichten

von Martin Rath

22.03.2020

4/8 Richter müssen nicht immer Blut sehen

Seit dem 1. Januar 1934 regelte § 81a Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) die "Entnahme von Blutproben" ohne Einwilligung des Beschuldigten, die – ungeachtet der von liberalen Bedenken freien NS-Gesetzgebung – bereits damals nach Absatz 3 der Vorschrift regelmäßig unter Richtervorbehalt stand.

Im historischen Aufriss zu ihrer dogmatischen Detailstudie Der Richtervorbehalt bei der Blutprobenentnahme gemäß § 81a Abs. 2 StPO erklärt Theresa Regina Disselkamp, dass die juristische Fachliteratur die Befugnis zur Blutentnahme überschwänglich begrüßt habe – ungeachtet des Umstands, dass jedenfalls die zugrunde liegende naturwissenschaftliche Methode der Blutalkoholbestimmung erst wenige Jahre zuvor von einem schwedischen Mediziner entwickelt worden war. Am Richtervorbehalt störte man sich überdies nicht weiter. In den ersten Jahren wurde diese juristische Formalie dem Zeitgeist entsprechend offenbar weitgehend missachtet. Wozu der Vorbehalt gut sei, wurde von "Praktikerseite" seit Entstehung der Norm immer wieder in Frage gestellt.

Für einige Verkehrsdelikte hat der Gesetzgeber im Jahr 2017 eine Ausnahme von der Notwendigkeit der richterlichen Anordnung geregelt. Fraglich ist, ob er gut daran tat.

Denn von der faktischen Seite kann am Sinn des Richtervorbehalts gezweifelt werden: Je stärker die Beweissicherung gefährdet ist, weil der Beschuldigte möglicherweise nur schwach mit psychotropen Substanzen intoxiniert ist, desto dringlicher stellt sich die Blutentnahme dar. Gerade in solchen Grenzfällen wäre jedoch eine Supervision der Polizeiarbeit durch Staatsanwaltschaft oder Richter sinnvoll.

Disselkamp schlägt vor, den zweiten Satz aus § 81a Abs. 2 StPO zu streichen. Der Schutz des Beschuldigten vor willkürlicher und unverhältnismäßiger Beweiserhebung erfolgte weiterhin auf der Ebene von Verwertungsverboten.

Und daran, dass nicht der Richtervorbehalt an sich, sondern die wahrgenommene Pflicht zum kritischen Widerspruch den liberalen Rechtsstaat ausmacht, lässt sich mit Blick auf die Normgeschichte kaum rücken.

Theresa Regina Disselkamp: Der Richtervorbehalt bei der Blutprobenentnahme gemäß § 81a Abs. 2 StPO. Baden-Baden (Nomos) 2019. 330 Seiten.

Zitiervorschlag

Neue juristische Dissertationen: Von Geschlechterquoten und verstopften Gerichten . In: Legal Tribune Online, 22.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40985/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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