Neue juristische Dissertationen: Von Gesch­lech­ter­quoten und ver­stopften Gerichten

von Martin Rath

22.03.2020

7/8 Woher hat der Bundesgerichtshof hier nur seine Einsichten?

Keinen Anlass, die Kunst normativer Labyrinthe allein in näheren oder ferneren Orient zu verorten, hat, wer den Bundesgerichtshof (BGH) kennt.

Für den Fall, dass die Fläche angemieteter Wohnräume um mehr als zehn Prozent von der vertraglichen Vereinbarung abwich, entwickelte der BGH im Jahr 2004 die sogenannte 10-Prozent-Toleranzgrenze, an der das Gericht in 30 Entscheidungen zu Flächendifferenzen festhielt, und zwar – so eine Studie zu dieser Rechtsprechung – ungeachtet von nicht geringem Personalwechsel in der Richterschaft.

Im Jahr 2015 änderte sich die Auffassung in Fragen der Mieterhöhung nach § 558 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) jedoch schon wieder. Auch während an der Dissertation Die 10%-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Wohnraummiete noch geforscht wurde, entwickelte der BGH seine Auffassungen zur Toleranzgrenze auf dem Gebiet des Nebenkostenrechts weiter.

Anuschka Radom legt in ihrer Studie – was insbesondere in Zeiten allzu beweglicher Rechtsprechung einigen Charme hat – prinzipielle Erwägungen dar, beispielsweise den Grundsatz, dass das Wort "Wohnfläche" kein deskriptiver, sondern ein normativer Begriff sei. Neben der verbindlichen Berechnungsmethode für preisgebundenen Wohnraum komme in Betracht, dass sich die Vertragsparteien auch über die Berechnungsmethode verständigt haben. Angesichts von Schätzungen, nach denen 60 bis 80 Prozent aller Flächenangaben in Mietverträgen unzutreffend sein sollen, liegt die Vermutung ja nicht fern, dass "groß genug" und "schön genug" die entscheidenden Kriterien sind, sobald der Preis der Wohnung stimmt. Um es dabei nicht zu belassen: "Soweit die Parteien keine besondere Abrede hierzu getroffen haben, ist davon auszugehen, dass die angegebene Quadratmeterzahl den Soll-Zustand der Wohnung konkretisiert und deshalb eine verbindliche Beschaffenheitsvereinbarung darstellt."

Im Übrigen muss Radom ihre Darstellung der vom BGH gebotenen mietrechtlichen Orientierung mit einem schönen Satz einleiten, der frühere Juristengenerationen tief verletzt hätte: "Der BGH praktiziert im Hinblick auf Flächenabweichungen zur Zeit folgende Rechtsprechung …"

Durch das zur Zeit der Doktorwerdung vom BGH feilgebotene Wohnraummietrechtslabyrinth leitet:

Anuschka Radom: Die 10%-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Wohnraummiete. Berlin (wvb). 358 Seiten.

Zitiervorschlag

Neue juristische Dissertationen: Von Geschlechterquoten und verstopften Gerichten . In: Legal Tribune Online, 22.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40985/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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