Neue juristische Dissertationen: Von Gesch­lech­ter­quoten und ver­stopften Gerichten

von Martin Rath

22.03.2020

5/8 Ersatzvornahme: Monumentale Analyse eines altbekannten Instruments

"Wird die Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch einen anderen möglich ist (vertretbare Handlung), nicht erfüllt, so kann die Vollzugsbehörde einen anderen mit der Vornahme der Handlung auf Kosten des Pflichtigen beauftragen."

Was in den knappen Worten von § 10 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG) des Bundes und den vielen verwandten oder identischen Normen des Landesrechts formuliert wird, bildet die Rechtsgrundlage für eine oft verwendete Handlungsform der öffentlichen Verwaltung: die Ersatzvornahme.

Das Verwaltungsvollstreckungsrecht genieße – wie Rabea Kjellsson den Freiburger Verfassungsrechtler Ralf Poscher zustimmend zitiert – im Vergleich zum zivilrechtlichen Vollstreckungsrecht ein "Schattendasein", aus dem sie es mit ihrer sehr umfangreichen Dissertation unter dem Titel Das Zwangsmittel der Ersatzvornahme hinausführt.

Vermutlich ist dem Umstand, dass das Instrument zwar insgesamt nicht selten angewendet, die Vertreter ungezählter Behörden im konkreten Einzelfall aber ungeübt sein können, eine gewisse Unsicherheit geschuldet: Dass beispielsweise ein von Rechts wegen zu beseitigendes Haus auch von anderen Personen abgerissen werden kann als vom Eigentümer höchstselbst, gehört etwa zu den einfachen Beispielen aus dem juristischen Subsumtions-Bilderbuch. Ob es sich aber bei der Herausgabe einer Sache oder der Abgabe einer Willenserklärung um eine "vertretbare Handlung" im Sinne der Norm handeln kann, lässt sich diskutieren und wird von den Gerichten in ihren wettbewerbsförderalistischen Verwaltungsrechtssprengeln auch nicht einheitlich entschieden.

Vom Augenblick an, in dem eine Behörde "einen anderen" beauftragt, stellen sich – zumal angesichts des wirtschaftlichen Werts, den viele Ersatzvornahme-Handlungen betreffen – Fragen der Auswahl, der Beaufsichtigung und der Haftung. Kann sich ein Unternehmer, der im Wege der Ersatzvornahme tätig wird, beispielsweise auf das Haftungsprivileg aus Artikel 34 Grundgesetz (GG) berufen?

Auch wenn Umfang und Informationsdichte der Dissertation an die eines juristischen Kommentars heranreichen: Durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte und Teleologie des Rechtsinstituts ist sie alle Male flüssiger zu lesen. Eigentlich müsste letzteres doch jeder tun, der von der Dezernenten- oder Dozenten-Ebene aufwärts mit Ersatzvornahmen zu tun hat.

Rabea Kjellsson: Das Zwangsmittel der Ersatzvornahme. Vollstreckung, Kosten, Haftung. Berlin (Duncker & Humblot). 590 Seiten.

Zitiervorschlag

Neue juristische Dissertationen: Von Geschlechterquoten und verstopften Gerichten . In: Legal Tribune Online, 22.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40985/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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