Nach Selfie mit der Kanzlerin: Flücht­ling wehrt sich gegen Ver­le­um­dung auf Face­book

03.02.2017

Anis M. war keiner der Männer, die versuchten, einen Obdachlosen in einem Berliner U-Bahnhof anzuzünden - doch eine Fake-Nachricht auf Facebook behauptet das. Wie weit die Löschpflicht des Unternehmens reicht, soll am Montag verhandelt werden.

"Obdachlosen angezündet - Merkel machte 2015 Selfie mit einem der Täter!", verkündet der Facebook-Post in fetter weißer Schrift auf schwarzem Untergrund. Der Fall erregte Ende vergangenen Jahres die Gemüter: In einem Berliner U-Bahnhof hatten Unbekannte in der Nacht zum Ersten Weihnachtstag einen schlafenden Obdachlosen in Brand gesetzt. Nur das Eingreifen Umstehender verhinderte Schlimmeres.

Die Polizei veröffentlichte kurz nach der Tat Überwachungskamera-Bilder von mehreren jungen Verdächtigen. Ein Nutzer stellte die Fahndungsfotos auch auf Facebook. Er nahm sie und kreiste einen der jungen Männer ein. Daneben setzte er ein Selfie von Anis M. mit der Kanzlerin - und die obige Schlagzeile.

Die Behauptung, der syrische Flüchtling Anis M. sei einer der Täter von Berlin gewesen, war eine Lüge. Ein anderer User behauptete, Anis M. sei der Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin. Auch das war
schlicht falsch - außer dem Vornamen hat Anis M. nichts gemein mit dem Terroristen Anis Amri. Beide Posts wurden hunderte Male geteilt.

Facebook hat gemeldete Inhalte gelöscht - aber nicht die geteilten

Dagegen wehrt sich Anis M. nun. Vor dem Landgericht (LG) Würzburg hat er einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung gestellt, die Facebook zwingen soll, die falschen Posts zu löschen. "Ich möchte gerne den Beweis antreten, dass sich Opfer von Fake News mit den Mitteln der Justiz auch erfolgreich gegen Facebook und andere Nutzer zur Wehr setzen können", sagt sein Würzburger Anwalt Chan-jo Jun. Die Verhandlung ist am Montag Nachmittag.

Facebook sagt, man habe die Posts schon gelöscht. "Wir haben bereits schnell den Zugriff auf Inhalte gesperrt, die von Herrn M.s Anwalt korrekt an uns gemeldet wurden", erklärt ein Sprecher. "Deshalb glauben wir nicht, dass ein Rechtsstreit hier notwendig ist." Dass das soziale Netzwerk die ursprünglichen zwei Posts löschte, reicht Jun und Anis M. aber nicht: Facebook soll auch alle Einträge löschen, in denen andere Nutzer die falschen Behauptungen geteilt haben. Sie sollen auf Facebook nicht mehr auffindbar sein.

In dem Prozess klagt Anis M. als Einzelner, weil er der Meinung ist, dass seine individuellen Persönlichkeitsrechte verletzt werden. In der Politik entbrannte in den letzten Wochen hingegen eine Debatte über den generellen Umgang mit Fake News. Die Bundesregierung hatte angekündigt, stärker gegen Falschmeldungen vorgehen zu wollen.

LG könnte aufzeigen, welche Gesetze notwendig wären

Wie Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte, sollen soziale Netzwerke dazu verpflichtet werden, binnen 24 Stunden auf Beschwerden zu reagieren. Der Digitalverband Bitkom hatte diesen Plan zurückgewiesen: Angesichts von bis zu einer Milliarde Posts pro Tag sei eine solche Pflicht "operativ schlechterdings nicht umsetzbar", sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Eine Pflicht, Fake News zu löschen, würde zudem die Meinungsfreiheit massiv einschränken, fügte Rohleder hinzu. Eine Löschpflicht würde einen "dauerhaften Zensurmechanismus" installieren. "Wollen wir das? Wahrscheinlich nicht."

Obwohl die Würzburger Richter konkret nur über den Fall Anis M. entscheiden, könnte das Urteil dennoch wegweisend sein - weil es zeigt, wozu Facebook bei der aktuell geltenden Rechtslage schon verpflichtet werden kann. "Es kann auch sein, dass wir nur demonstrieren, dass wir gegen Facebook nicht ankommen", sagt Anwalt Jun. Aber dann wüsste man wenigstens, welche Gesetze die Politik ändern müsse.

dpa/una/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Nach Selfie mit der Kanzlerin: Flüchtling wehrt sich gegen Verleumdung auf Facebook . In: Legal Tribune Online, 03.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21981/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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