Grün-Gelbe Rechtspolitik in der 20. Wahlperiode: "Ohne Law-and-Order-Getöse"

von Hasso Suliak

05.10.2021

Grüne und FDP werden die Rechtspolitik der nächsten Bundesregierung maßgeblich mitgestalten. Doch trotz vieler inhaltlicher Schnittmengen, gibt es zwischen ihnen auch fundamentale Differenzen – etwa im Mietrecht oder beim Thema Parität.

Auch wenn noch nicht feststeht mit welchem Koalitionspartner: Dass FDP und Grüne künftig gemeinsam am Kabinettstisch sitzen werden, gilt als ausgemacht. Und während in den Politikfeldern Wirtschaft und Steuern, Klimapolitik oder Verkehr zwischen den beiden Parteien noch einiges an Kompromissbereitschaft vonnöten ist, stehen sie sich in der Rechts- und Innenpolitik zumindest nach eigenen Bekundungen ziemlich nah. "Hier haben wir die meisten Anknüpfungspunkte", sagt die grüne Rechtspolitikerin Katja Keul.

Auch ihr FDP-Kollege, Fraktionsvize Stephan Thomae, bestätigt: "Es ist kein Geheimnis, dass Grüne und FDP bei vielen rechtspolitischen Vorhaben inhaltlich ähnliche, manchmal auch deckungsgleiche Positionen haben." Der ehemalige grüne Hamburger Justizsenator, Till Steffen, der künftig für die Grünen im Bundestag sitzen wird, hofft im Gespräch mit LTO vor allem bei der Digitalisierung der Justiz und des Rechts mit einem "echten Aufbruch und Schub". 

Abschaffung von § 219a StGB und Cannabis-Legalisierung

In der Tat lassen sich eine Reihe von Projekten nennen, in denen FDP und Grüne bereits in der letzten Wahlperiode gemeinsame Linien erkennen ließen: Etwa bei der Abschaffung der Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a Strafgesetzbuch, bei der Entkriminalisierung von Cannabiskonsument:innen oder im Hinblick auf die Stärkung der Beschuldigtenrechte im Strafverfahren z.B. durch eine gesetzliche Grundlage für eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung: Bei diesen Beispielen dürfte es jedenfalls dann in der anstehenden Legislatur zu Gesetzesinitiativen kommen, wenn der künftige Koalitionspartner die SPD ist. Bei § 219a StGB hatte schließlich die SPD-Fraktion einen eigenen Antrag zur Abschaffung der Vorschrift in den Bundestag eingebracht, den sie dann aber mit Rücksicht auf die Union wieder zurückzog.

Und beim Thema Cannabis ticken die Genoss:innen inzwischen auch ähnlich wie Grüne und FDP: So beschloss die SPD-Fraktion in der letzten Wahlperiode eine Abkehr von der bisherigen Verbotspolitik und will zumindest, dass der Besitz kleiner Mengen Cannabis zum Eigengebrauch nicht mehr strafrechtlich verfolgt, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit behandelt werden soll. Es ist also damit zu rechnen, dass eine Ampel-Koalition beim Thema Legalisierung weicher Drogen nicht erst auf das Bundesverfassungsgericht wartet, das irgendwann in naher Zukunft über diverse Richtervorlagen zu entscheiden hat.

Dagegen könnte* die Entkriminalisierung in anderen Bereichen, wie es den Grünen etwa beim Schwarzfahren vorschwebt, nicht nur an SPD, sondern auch an der FDP scheitern: "Die Strafbarkeit der Leistungserschleichung abschaffen zu wollen, gleicht einer Kapitulation gegenüber unserem Rechtsstaat,“ kommentierte 2018 der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Berliner FDP den Vorschlag der Grünen, die Beförderungserschleichung nach § 265a StGB zu streichen und zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Offenbar entspricht diese Meinung aber nicht der Position der Bundestagsfraktion der FDP.*

FDP: "Sicherheit als Voraussetzung für Freiheit"

"Kaptitulieren" soll der Rechtsstaat nicht, wenn FDP und Grüne ihn künftig politisch maßgeblich mitprägen. Im Gegenteil: FDP-Vize Thomae stellt gegenüber LTO klar, dass z.B. die von beiden mutmaßlichen Koalitionspartnern angekündigte effektivere Kontrolle der Nachrichtendienste keinesfalls auf Kosten von Sicherheitslücken gehen dürfe: "Sicherheit ist die Voraussetzung für Freiheit", so Thomae.  Das aber schließe nicht aus, dass etwa der Einsatz von V-Leuten rechtsstaatlich geregelt werden müsse.

Im Bereich Strafrecht dürfte es unter Beteiligung von FDP und Grünen wohl eher zu weniger Verschärfungen kommen als unter Schwarz-Rot: Die Rechtspolitiker beider Parteien betonen, das Strafrecht müsse letztes Mittel (ultima ratio) sein.

Und überhaupt: Straf- und Strafprozessrecht bedürften erst einmal "einer grundsätzlichen Evaluation, Überarbeitung und Harmonisierung", wie es in einem Papier von grünen Rechtspoltiker:innen heißt, das kurz vor der Wahl verfasst wurde. Den Wunsch der Grünen jedenfalls nach einer "evidenzbasierten Kriminalpolitik" teilt auch die FDP. "Es bietet sich an, die Innen- und Rechtspolitik ohne wirkungsloses Law-and-Order-Getöse zu organisieren und stärker anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse auszurichten", sagt der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle.

Grüne wollen BGB-Reform 

Doch es gibt auch Grenzen der grün-gelben Harmonie: Schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden, dürfte es im Wirtschaftsstrafrecht werden: Ein effektives Unternehmensstrafrecht z.B., das in der abgelaufenen Wahlperiode an der Union gescheitert war, widerstrebt der FDP. " Es ist mit unseren Prinzipien des Individualstrafrechts und des Schuldprinzips kaum zu vereinbaren", sagt FDP-Politiker Thomae. Unter schärferen Sanktionen gegenüber Unternehmen würden die Falschen leiden, etwa Teile der Belegschaft, denen schlimmstenfalls die Kündigung drohen könnte, wenn einem Unternehmen schwerwiegende Sanktionen auferlegt werden.

Skeptisch dürften die FDP auch auf einen Vorschlag der Grünen reagieren, der auf nicht weniger als eine grundsätzliche Reform des Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) hinausläuft. Das, fordern die Grünen, müsse "insgesamt auf Nachhaltigkeit überprüft und modernisiert werden". In diesem Zusammenhang wollen sie längere Gewährleistungsfristen einführen, um für eine Produktion von langlebigen und nachhaltigen Produkten zu sorgen. "Die Information über den ökologischen Impact eines Produkts ist häufig wichtig für die Kaufentscheidung und sollte daher verpflichtend werden", heißt es in dem Papier der grünen Rechtspolitiker:innen vom 30.August diesen Jahres.

Kontroversen im Mietrecht und beim Paritätsgesetz

Extrem kontrovers dürfte es zwischen Grünen und FDP im Mietrecht verlaufen. Während die Grünen wie auch die SPD die Mietpreisbremse entfristen wollen und einen bundesweiten Mietendeckel einführen, setzt die FDP vor allem auf Beschleunigung beim Wohnungsbau. Trotz dieser Differenzen sagt Thomae: " Wir sind uns im Ziel einig: Auch wir wollen den Menschen bezahlbaren Wohnraum ermöglichen, setzen aber weniger auf regulatorische Instrumente, sondern eher auf ein marktwirtschaftliches Anreizsystem, um den Wohnungsbau anzukurbeln."

Die grüne Bundestagsabgeordnete Canan Bayram stellt dagegen klar: "Wir wollen einen Mietendeckel im Bundesmietrecht, ein weitgehendes Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und ein soziales Gewerbemietrecht. Da muss sich die FDP noch ganz gehörig bewegen." Ob dieses Thema angefasst wird, dürfte entscheidend davon abhängen, ob am Ende die Union oder die SPD den Kanzler stellt.

Davon hängt dann wohl auch ab, ob es beim Thema Geschlechtergleichstellung zu einem sogenannten Paritätsgesetz und damit künftig zu mehr Frauen im Deutschen Bundestag kommt. Die FDP ist massiv gegen derartige Quotenregelungen, Grüne und SPD sind dafür. FDP-Rechtspolitiker Kuhle möchte vor den Sondierungen zu diesen strittigen Themen kein Öl ins Feuer gießen, gibt aber gegenüber LTO zu bedenken: "Schon das Verfassungsrecht setzt bestimmten Vorstellungen von Grünen und SPD, etwa im Bereich des Mietrechts oder im Bereich der Paritätsgesetzgebung, enge Grenzen."

DRB und DAV hoffen auf Digitalisierungsoffensive

Hoch gesteckt sind jedenfalls die Erwartungen der juristischen Berufsverbände an eine Grün-Gelbe Regierungsbeteiligung: Der Deutsche Richterbund (DRB) hofft auf eine "parteiübergreifende Digitalisierungs- und Modernisierungsoffensive" für den Staat, bei dem die Justiz als Kernbereich staatlichen Handelns besonders in den Blick genommen werden müsse. "In vielen Gerichten und Staatsanwaltschaften ist über lange Jahre ein Modernisierungsstau entstanden, der sich während der Corona-Pandemie in aller Schärfe gezeigt hat und der nur mit erheblichen Investitionen aufzulösen ist", beklagt DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn gegenüber LTO. Bis 2025 müsse eine derartige Offensive gelingen, "damit die Justiz zum gesetzlich festgelegten Starttermin der E-Akte überall auf einem sicheren technischen Fundament steht und online wie offline handlungsfähig ist. Eine bürgernahe Justiz muss in Zukunft mehr denn je auch digital erreichbar sein", so Rebehn.

Dass dies mit FDP und Grünen gelingen kann, hofft auch der Deutsche Anwaltverein (DAV): In einem Schreiben von DAV-Hauptgeschäftsführerin Dr. Sylvia Ruge an die Parteivorsitzenden von Grünen und FDP pocht der DAV zudem darauf, auch die Anwaltschaft in einen künftigen Digitalpakt miteinzubeziehen.  Es gehe, so Ruge, nicht nur um die Digitalisierung der Justiz, sondern auch um eine Anpassung der Verfahrensordnungen sowie um die audiovisuelle Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung.

Groß sind die Erwartungen des DAV auch im Hinblick auf das Thema Anwaltsvergütung: In einem Eckpunktepapier fordert der DAV von der nächsten Regierung eine kontinuierliche, lineare Anhebung der Gebühren: "Die gesetzliche Vergütung braucht in jeder Legislaturperiode eine Angleichung an die wirtschaftliche Entwicklung, um das Auskommen der Anwaltschaft zu sichern. Auch das anwaltliche Berufsrecht muss regelmäßig auf Gültigkeit überprüft und an geänderte Anforderungen angepasst werden.“

Bei Grünen und FDP rennt der DAV damit offene Türen ein. Beide Fraktionen hatten sich bereits in der letzten Wahlperiode dafür ausgesprochen.

*Präzisiert am 5.10.2021, 23.05 Uhr: Anders als der Berliner FDP-Politiker Holger Krestel MdA hat sich die FDP-Bundestagsfraktion für eine Entkriminalisierung ausgesprochen.

Zitiervorschlag

Grün-Gelbe Rechtspolitik in der 20. Wahlperiode: "Ohne Law-and-Order-Getöse" . In: Legal Tribune Online, 05.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46216/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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