BVerfG festigt Rechtsprechung zur Beleidigung: Ein däm­lich grin­sender Richter und ein intel­lek­tuell über­for­derter Poli­zist

von Alexander Cremer

02.12.2020

Ist es strafbar, einem Richter ein "dämliches Grinsen" zu attestieren? Offensichtlich nicht, findet das BVerfG. Gleiches gilt, wenn man einen Polizisten fragt, ob dieser der deutschen Sprache mächtig sei.

Die "Beamtenbeleidigung" stellt in Deutschland keinen eigenen Straftatbestand dar, hartnäckigen Gerüchten unter juristischen Laien zum Trotz. Wer einen Amtsträger verunglimpft, macht sich unter Umständen aber wegen einer "gewöhnlichen" Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Bei Äußerungen gegenüber Amts- und Würdenträgern sollte man dennoch besondere Vorsicht walten lassen - auch wenn die Meinungsfreiheit schwer wiegt, wie nun zwei Fälle aus Bayern zeigten, die das BVerfG kürzlich entschied.

Mit seiner Rechtsprechung zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht bei ehrverletzenden Äußerungen hat das BVerfG in den vergangenen Jahren bereits einige Male klargestellt, dass die Gerichte grundsätzlich eine Güterabwägung im Einzelfall vornehmen müssen. Eine ehrbeeinträchtigende Äußerung ist laut BVerfG nur dann eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Beleidigung, wenn das Gewicht der persönlichen Ehre in der konkreten Situation die Meinungsfreiheit des Äußernden überwiegt. Zwar kann diese Abwägung im Einzelfall entbehrlich sein, etwa wenn die Äußerung die Menschenwürde antastet oder eine Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt. In einer Reihe von Entscheidungen machte das BVerfG aber immer wieder deutlich, dass es sich dabei um Ausnahmefälle handelt, die an strenge Voraussetzungen geknüpft sind.

In den am Montag veröffentlichten Beschlüssen führt das BVerfG diese Rechtsprechung fort.

Das "dämliche Grinsen" eines Familienrichters 

Im ersten Fall ging es um Äußerungen eines Mannes gegenüber einem Familienrichter. Letzterer hatte der von dem Mann getrennt lebenden Ehefrau allein die Entscheidung überlassen, ob sie mit dem gemeinsamen Kind ins Ausland verreist oder nicht. Zuvor soll der Richter in der mündlichen Verhandlung süffisant gelächelt und bereits angekündigt haben, zu Lasten des Vaters zu entscheiden. Der Richter habe ihm ebenso süffisant gesagt,  er könne ja Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen, schilderte der Mann seine Perspektive vor dem BVerfG.

Eine solche Beschwerde gegen die Entscheidung des Familienrichters legte der Mann auch ein. Allerdings reagierte der zuständige Familiensenat am Oberlandesgericht erst rund einen Monat nach Rückkehr des Kindes von der Reise mit dem Hinweis, er möge wegen eingetretener Erledigung die Beschwerde zurücknehmen. Daraufhin erhob der Mann Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Familienrichter, dem er das "dämliche Grinsen" attestiert hatte.

In einem Schreiben des Mannes an den Gerichtspräsidenten hieß es unter anderem: "Nach meinem Rechtsempfinden steht es einem Richter ohnehin nicht zu, bei seiner Urteilsverkündung dem Geschädigten mit einem dämlichen Grinsen Ratschläge wie er könne ja Beschwerde gegen sein Urteil einlegen zu erteilen, erst recht wenn er anscheinend davon ausgeht, dass die Beschwerde sowieso nachträglich behandelt wird. Wenn es um das Kinderwohl seiner eigenen Kinder ginge, unterstelle ich […], dass er nicht mehr so lax mit den Terminen umgehen und erst recht nicht dabei dämlich grinsen würde."

Besonderes Schutzbedürfnis bei Kritik an Mächtigen

Wegen dieser Äußerungen wurde der Mann nach vorherigem Strafbefehl und daraufhin eingelegten Einspruchs wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Landgericht (LG) Landshut verwarf seine Berufung dagegen mit der Begrüdung, es handele sich bei der Äußerung um eine Formalbeleidigung.

Das BVerfG sah in diesen Entscheidungen eine Verletzung der Meinungsfreiheit und hielt die Verfassungsbeschwerde des Mannes für "offensichtlich begründet" (Beschl. v. 16.10.2020, Az. 1 BvR 1024/19). Die Äußerungen des Mannes und der Vorwurf des "dämlichen Grinsens" gehören laut BVerfG "ganz offensichtlich nicht zum kleinen Kreis sozial absolut tabuisierter Schimpfwörter, deren einziger Zweck es ist, andere Personen herabzusetzen."

Auch unter dem Aspekt des besonderen Schutzbedürfnisses bei der Kritik an Mächtigen müsse der der Entscheidungsgewalt des Familiengerichts unterworfene Vater "die von ihm als verantwortlich angesehenen Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Amtsausübung rügen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für entscheidende gerichtliche Sanktionen bilden", befanden die Karlsruher Verfassungsrichter.

Intellektuell überforderter Polizist? Es kommt auf den Kontext an

In dem zweiten Verfahren ging es um eine Auseinandersetzung zwischen einem Reisenden und einem Polizisten am Flughafen München. Der Reisende hatte den Polizisten in einem Wortwechsel gefragt, ob dieser der deutschen Sprache mächtig sei, und stellte infrage, ob beziehungsweise dass dieser in der Lage sei, einfachste Sachverhalte zu erfassen und zu bewältigen. 

Das Amtsgericht (AG) Erding verurteilte ihn deshalb wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Die nur rhetorisch gemeinte Frage, ob er kein Deutsch verstehe, enthalte als Tatsachenkern die Behauptung, der Geschädigte sei intellektuell nicht in der Lage, die einfachen deutsch gesprochenen Sätze des Beschwerdeführers zu verstehen, so das AG zur Begründung. Eine solche Behauptung stelle eine Kundgabe der Miss- oder Nichtachtung dar, ebenso wie die im selben Zusammenhang geäußerte weitere rhetorische Frage, ob der Geschädigte nicht in der Lage sei, die einfachsten Sachverhalte zu begreifen. Das LG Landshut verwarf die Berufung des Mannes dagegen.

Auch in diesem Fall hielt das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des Mannes für "offensichtlich begründet" (Beschl. v. 16.10.2020, Az. 1 BvR 2805/19). Zwar sei die Einordnung der Äußerung als kränkend nicht zu beanstanden. Sie könne aber nicht aus dem Kontext herausgelöst als allein auf die Diffamierung des Polizisten gerichtet verstanden werden. "Weder zeichnen sich die Äußerungen durch eine besonders gehässige Form aus, noch verwendete der Beschwerdeführer schwerwiegende Schimpfwörter, die als Formalbeleidigung eingestuft werden könnten", so das BVerfG. Für eine verfassungsrechtlich tragfähige Verurteilung "wäre daher eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grenzbeamten in den konkreten Umständen des Falles erforderlich gewesen." Die habe es aber nicht gegeben, schloss das BVerfG seinen Beschluss ab.

Zitiervorschlag

BVerfG festigt Rechtsprechung zur Beleidigung: . In: Legal Tribune Online, 02.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43609 (abgerufen am: 05.10.2024 )

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