Juristische Dissertationen aus deutschen Landen: Das Recht der Avatare und der Hausväter

von Martin Rath

14.09.2014

2/2: Beinah schmerzhafte Bodenständigkeit

Darauf, dass die reale Welt – unabhängig von der Zahl ihrer Insassen – eine sozial ziemlich enge und engstirnige Veranstaltung sein kann, zurück ins Bodenständige also, führt Maike-Franziska van Haags Bonner Dissertation "Recht in der Hausväterliteratur".

Bei der "Hausväterliteratur" handelte es sich um eine – in relevanter Größe – mit dem Buchdruck aufkommende und bis ins 18. Jahrhundert populäre Literaturform, Vorfahrin der heutigen Ratgebergattung. Über die Bewirtschaftung des Haushalts, des Gartens und der Landwirtschaft, über Fragen der Viehzucht und des Ehelebens bis zu rechtlichen und theologischen Erkenntnissen war alles enthalten, was der "Hausvater", der adelige oder bürgerliche Mann, Herr des Hauses, für sein Regiment über Haus und Hof, Ehefrau und Kinder sowie über sein Gesinde benötigte.

Van Haag dokumentiert, dass namentlich die protestantischen Juristen in einem der bedeutenden Werke dieser Gattung, dem "Oeconomus Prudens und Legalis" von Franz Philipp Florin (1649-1699), einem Pfarrer, Bibliothekar und Landwirt, zu Wort kamen. Das Erkenntnisziel war klar. Keine Ahnung vom Recht zu haben, bedeute "sich selbst / und wohl andere mit sich / in verdrüßliche Unrichtigkeit und Schäden füren / oder sich bey jedweder geringen Sach eines Advocaten mit Unkosten bedienen / und sich von demselben gleichsam mit verbundenen Augen führen" lassen zu müssen.

Neben solch zeitlosen Erkenntnissen liefert der "Oeconomus" – seine protestantischen Quellen waren damals eher noch ein bisschen frauenfeindlicher als die katholische Lebenswelt – Hinweise darauf, dass namentlich der evangelische "Hausvater" als Stellvertreter des Bischofs Herr über die weiblichen Insassen seines Haushalts für deren Keuschheit und Frömmigkeit zu sorgen habe. Kurz: Wir finden hier bereits die rigide bürgerlich-patriarchale Welt, die im 19. Jahrhundert auf Höchstform kam, wie in einer Nussschale gefangen.

Historisches, um die Gegenwart zu relativieren

Eine solche Lektüre – die Quelle von Van Haags Dissertation lässt sich online lesen – kann gut dazu dienen, manche rechtspolitische Verstiegenheit in der Gegenwart zu relativieren: Genügt es etwa nicht, dass unsere Gesellschaft die engstirnigen Geschlechterverhältnisse hinter sich lässt, die das protestantische Pfarrhaus einst über sie gebracht hatte? Birgt die Straßenverkehrs-Ordnung in "geschlechtersensibler Sprache" irgendeinen sozialen Fortschritt?

Der "Oeconomicus" lieferte, wie erwähnt, seinen Lesern nicht allein Rechtskenntnis, sondern auch das Einmaleins des Gartenbaus. Inzwischen ist der Einsatz von Gärten als Illustration von Herrschaftskultur in Frauenhand – keine Geringere als die Gattin des US-Präsidenten zeigt mit öffentlicher Gartenpflege, dass man sich um die heimische Wirtschaft kümmern könnte.

Der Gartenbau als Gegenstand der allgemeinen Staatslehre vom Schlossgarten von Versailles zum Kräutergarten der Obamas. Vielleicht wäre das auch einmal ein schönes Thema für eine juristische Doktorarbeit.

Literatur:

Jan Felix Dein: "Die Repräsentation in Onlinewelten." Die Rechte der Teilnehmer an ihren Charakteren im Kontext virtueller Umgebungen., Baden-Baden 2014, Nomos, 349 Seiten, 92 Euro (auch als eBook existent). Diss. Universität Hamburg (29.01.2014), Professores Dr. Wolfgang Schulz & Dr. Hans-Heinrich-Trute.

Martin Cai Hermann Lockert: "Entwicklung und Kontinuität des namibischen Rechtssystems von der deutschen Kolonialzeit bis zur Unabhängigkeit Namibias am Beispiel des Bergrechts". Verlag Peter Lang 2013, 260 Seiten, 61,95 Euro (auch als eBook erhältlich). Diss. Universität Münster in Westfalen (19.08.2013), Professores Dr. Thomas Lundmark & Dr. Wolfram Timm.

Maike-Franziska van Haag: "Recht in der Hausväterliteratur". Der ‚Oeconomicus Prudens et Legalis‘ von Franz Philipp Florin im Kontext seiner Zeit. Münster in Westfalen 2014, LIT-Verlag. 207 Seiten, 34,90 Euro (eBook 29,90 Euro). Diss Universität Bonn (12.12.2013), Professores Dr. Mathias Schmoeckel & Dr. David von Mayenburg.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Juristische Dissertationen aus deutschen Landen: Das Recht der Avatare und der Hausväter . In: Legal Tribune Online, 14.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13173/ (abgerufen am: 01.05.2024 )

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