Anwälte und ihre Erreichbarkeit im Urlaub: "Die Zeit ohne Smart­phone war stres­siger"

von Tanja Podolski

26.07.2016

2/2: Auszeit gibt sehr viel Energie

LTO: Können Sie die Sorge um den Bestand der eigenen Mandatsbeziehungen dann ausblenden?

Hohenstatt: Das fällt sicher nicht leicht, vor allem wenn man in bestimmten Mandaten noch nicht ganz so fest im Sattel sitzt. Unsere Mandanten sind ja immer auch mit anderen Sozitäten im Kontakt. Und längere Abwesenheiten können schon eine Einladung an den Wettbewerb sein, sich dort mehr zu zeigen.  Aber auch da hilft Gelassenheit und das Vertrauen in die gewachsene, professionelle aber doch auch persönliche Mandatsbeziehung.  Unsere Mandanten unterstützen unser Sabbatical-programm und wechseln nicht gleich den Anwalt, zumal wir ihnen ja in der Zeit ein anderes gutes Team zur Seite stellen. Man sollte im Übrigen die positiven Aspekte des Sabbaticals nicht vernachlässigen: Von der zusätzlichen Energie, die es erzeugt, habe ich viele Jahre in sehr positiver Weise profitiert.

LTO: Wenn Sie selbst sich das Recht der Nicht-Erreichbarkeit herausnehmen – wie halten Sie es dann mit den angestellten Anwälten?

Hohenstatt: Letztlich gilt hier Gleiches wie für die Partner. Auch bei den Associates ist das Selbstverständnis, auch im Urlaub ansprechbar zu sein, ein wichtiger Bestandteil des Selbstverständnisses als Dienstleister.

In der Regel erwarten wir bei einem normalen Urlaub schon, dass die Associates morgens und abends in ihre Emails gucken. Morgens geht das meist schnell, aber abends kann es mal ein bisschen mehr sein.

Meistens ist es aber so, dass man auf die meisten Emails nicht zu antworten braucht, da ja für eine Vertretung gesorgt ist.Wenn ich aber im Urlaub genau weiß, für mich ist es jetzt ein "Klacks", die gestellte Frage zu beantworten während sich die Vertretung erst mühsam hineindenken müsste, dann ist es für mich eine Frage der Kollegialität, den Input schnell mal zu liefern.

Auf der anderen Seite muss es für alle möglich sein, dass man mal einen Segeltörn oder eine Bergtour macht, bei der man nicht erreichbar ist.

Abgrenzung ist ein Lernprozess

LTO: Ist es einem Associate möglich, diesen Wunsch zur Nichterreichbarkeit zu formulieren?

Hohenstatt: Das sollte es sein. Die Associates sind selbstbewusste Persönlichkeiten mit einer hervorragenden Ausbildung, das schaffen die. Sie wissen ja auch ganz genau, dass sie eine nachgefragte, rare Ressource  sind, sie können sich das herausnehmen. Nach meiner Beobachtung klappt das auch. Diese Abgrenzung ist wirklich wichtig – oft mehr gegenüber den Kollegen als gegenüber den Mandanten – und zwar von Anfang der Karriere an, damit die Anwälte die für sie richtige Balance finden und sich auch die Kollegen daran gewöhnen. Wer jahrelang permanente Erreichbarkeit praktiziert hat, wird es später  – auch gegenüber sich selbst – sonst erheblich schwerer haben, das zu ändern.

LTO: Aber für die Associates gilt doch das Arbeitsrecht. Das Bundesurlaubsgesetz  und das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) stehen doch einer ständigen Erreichbarkeit entgegen, oder?

Hohenstatt: Natürlich sind die Gesetze geltendes Recht. Sie sind allerdings zu einer Zeit entstanden, als es das Arbeiten mit Smartphones, wie wir es heute kennen, noch gar nicht gab.

Urlaub bedeutet rechtlich, keinerlei Arbeitsleistung erbringen zu müssen. Es besteht auch keine Verpflichtung zur Erreichbarkeit . So weit die Theorie. Aber wie sieht es rechtlich aus, wenn ein Associate mal drei Minuten lang eine Email schreibt? Ist dann der Urlaubstag wieder gutzuschreiben? Oder gibt es hier eine gewisse Bagatellschwelle?  In der Praxis würde man sicher sagen, dass minimale Störungen dann und wann hinzunehmen sind.

Oder die Ruhezeit von 11 Stunden nach § 5 Abs. 1  ArbZG: Wird mit einer Email oder durch einen Anruf schon die Ruhezeit unterbrochen? Es gibt Kommentarmeinungen und  Aufsätze zu dem Thema, die Gerichte haben sich bisher aber noch nicht mit diesen Fragen beschäftigen müssen. Vielleicht kämen sie auch hier zur Annahme einer gewissen Bagatellschwelle.

Es bleibt zweischneidig: Die Anwälte sollen sich auch erholen, sich Freiräume schaffen und dafür die Verantwortung übernehmen. Andererseits sind sie Dienstleiter in einem ausgesprochen anspruchsvollen Umfeld.

Die Ära vor den Smartphones

LTO: Sie sagen selbst, Sie sind seit über 20 Jahren Anwalt – wie war es denn vor der Smartphone-Ära?

Hohenstatt: Da hat man die ersten Tage nach dem Urlaub damit verbracht, die Post durchzusehen und Rückrufe zu tätigen, später dann das prall gefüllte Email-Postfach abzuarbeiten. Das war auch kein Spaß. Viele Anwälte waren damals im Urlaub täglich mehrfach mit dem Sekretariat verbunden und haben zahlreiche Anrufe getätigt. Heute kann man während der Reise in passenden Momenten oder an Regentagen das eine oder andere unkompliziert erledigen. Das reduziert den Stress vor und nach dem Urlaub. Viele sagen ja, das Phänomen der ständigen Erreichbarkeit sei durch die Entwicklung der Smartphones entstanden. Dies scheint mir ein Irrtum zu sein. Ich glaube, diese Technik wurde entwickelt, weil es den Bedarf und die Notwendigkeit dafür gab. Früher stand man unter demselben Druck – heute haben wir wenigstens eine gute Technik, mit der wir diesen Anforderungen besser gerecht werden können. Ich jedenfalls fand die Zeiten ohne Smartphone stressiger.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Tanja Podolski.

Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt ist Partner im Hamburger Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer und seit 25 Jahren im Arbeitsrecht tätig. Seit 2010 war er Regional Managing Partner der Kanzlei, bis er dieses Amt turnusgemäß zum Juli 2016 abgab.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Anwälte und ihre Erreichbarkeit im Urlaub: "Die Zeit ohne Smartphone war stressiger" . In: Legal Tribune Online, 26.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20104/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen