Gericht entscheidet gegen "Freie-Sachsen"-Anwalt: Rechter Anwalt darf rechten Refe­rendar nicht aus­bilden

von Dr. Markus Sehl

02.11.2022

Keine Ausbildung für einen rechtsextremen Referendar beim Chemnitzer Rechtsanwalt und Vorsitzenden der "Freien Sachsen". Das VG hat Sorge um Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und suchte einen anderen Anwalt aus. Nun muss das OVG entscheiden. 

Ein sächsischer Referendar wollte seine Ausbildung bei einem Chemnitzer Rechtsanwalt absolvieren, der auch Vorsitzender der "Freien Sachsen" ist. Die Justizverwaltung Sachsen lehnte seinen Antrag ab, wogegen der Referendar und der Rechtsanwalt klagen und Eilrechtsschutz beantragt haben. Beim Verwaltungsgericht (VG) Chemnitz blieben sie im Eilverfahren nun erfolglos (Beschl. v. 27.10.2022, Az. 3 L 455/22). 

Dass der Referendar Matthias B., selbst Mitglied der rechtsextremen Kleinstpartei "Der III. Weg" und ein Ex-NPD-Funktionär, überhaupt zum Jura-Referendariat zugelassen werden durfte, hatten mehrere Gerichte in Sachsen zu entscheiden. Zuvor beschäftigte der Fall bereits Gerichte in Bayern, Thüringen und sogar das Bundesverfassungsgericht. Am Ende entschied der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) in Leipzig, dass er in Sachsen sein Referendariat antreten darf. Der Grundrechtseingriff, der in der Nichtzulassung zum Referendariat liege, sei besonders intensiv, weil der Zugang zur Ausbildung für die spätere Berufswahl angehender Juristinnen und Juristen von entscheidender Bedeutung sei, so die Richterinnen und Richter des VerfGH. Denn wer schon nicht das Referendariat absolvieren könne, dem blieben nicht nur die Justizberufe als Richter oder Staatsanwalt verwehrt, sondern auch das gesamte Berufsfeld der Rechtsanwälte. Ins Gewicht fällt, dass der Staat das juristische Ausbildungsmonopol hat.  

Wie hoch die Hürden für einen Ausschluss vom Referendariat sind, zeigte auch der Fall eines anderen sächsischen Referendars im Jahr 2020, der wegen Landfriedensbruchs vorbestraft war.  

Chemnitzer Anwalt und Vorsitzender der "Freien Sachsen" 

Der Referendar für den Chemnitzer Anwalt hatte sich jahrelang in der Partei "Der III. Weg" engagiert. Die ist nicht verboten, wird aber vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Inlandsnachrichtendienst attestiert der Partei eine "fundamental ablehnende Haltung gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat". Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von rund 600 Mitgliedern aus, ein Sechstel im Vergleich zur Mitgliederzahl der NPD. "Der III. Weg" gilt auch als Auffangbecken für Neonazis, die Mitglieder verbotener Organisationen waren. 

Als das Land Sachsen den Mann 2022 zum Referendariat zuließ, verband es diese Entscheidung mit Auflagen. So behielt sich das Land vor, den Referendar einem Ausbilder zuzuweisen, falls ein von ihm selbst ausgesuchter weniger geeignet erscheint. Ende September war es dann soweit. 

Das für seine Ausbildung zuständige Oberlandesgericht (OLG) Dresden lehnte den Antrag des Referendars für eine neunmonatige Ausbildungsstation beim Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann ab, weil dieser allgemein als "Akteur der rechtsextremen Szene in Chemnitz" bekannt sei. Kohlmann ist Vorsitzender der "Freien Sachsen" und sitzt für die Gruppierung "Pro Chemnitz/Freie Sachsen" im Stadtrat. Die Kleinstpartei heizte zunächst die Coronaproteste, wobei Anhänger mit Fackeln vor dem Privathaus der sächsischen Sozialministerin erschienen, verlegte sich dann thematisch auf Ukrainekrieg und Energiekrise. Der Verfassungsschutz beobachtet die Gruppierung und hat sie als rechtsextremistisch und verfassungsfeindlich eingestuft. Darauf verweist auch das OLG bei seiner Ablehnungsentscheidung. 

VG: Zweifel an Verfassungstreue und Sorge um Funktionsfähigkeit der Rechtspflege 

Gegen die Entscheidung wehrten sich Referendar und Anwalt. Der Rechtsanwalt argumentiert, er sei nicht ungeeignet und eine politische Tätigkeit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit nicht von Bedeutung. Soweit seine politische Tätigkeit herangezogen werde, um eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu begründen, verstoße das gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Grundgesetz, der eine politische Diskriminierung untersage. 

Nach der Entscheidung des VG überwiegt das Interesse an der Absicherung der "Funktionsfähigkeit der Rechtspflege" im juristischen Vorbereitungsdienst gegenüber einer freien Auswahl des Ausbilders. Dazu diene die vom OLG vorgesehene Auflage. Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege setze voraus, dass gesellschaftliches Vertrauen nicht nur in die einzelne Richterpersönlichkeit, sondern in die Justiz insgesamt existiere. Das schließe auch die Justiz als die für den Juristischen Vorbereitungsdienst verantwortliche Stelle ein. Das Vertrauen könne durch eine Vielzahl von Umständen gestärkt oder beeinträchtigt werden, dem müsse der Staat entgegentreten. 

OVG wird zeitnah über Beschwerde entscheiden 

Das VG hat Zweifel an der Verfassungstreue von Referendar und Rechtsanwalt. Das gesellschaftliche Vertrauen in die Justiz könne beeinträchtigt werden, wenn ein Referendar einem Rechtsanwalt zur Ausbildung zugewiesen würde, ohne dass die Möglichkeit einer "Reglementierung" bestehe, heißt es in der Pressemitteilung des VG. Für den Referendar seien die anderen Stationen etwa Zivil- und Verwaltungsstation über die Auflage von vornherein vorausgewählt gewesen, teilte ein Sprecher des VG mit. Bei der Anwaltsstation blieb ihm ein Auswahlrecht, allerdings mit Rückausnahme. Die Zuweisung an einen anderen vom OLG ausgesuchten Chemnitzer Anwalt anstelle von Kohlmann sieht das VG "nicht als offensichtlich falsch" an. 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Antragsteller haben mittlerweile Beschwerde zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht eingelegt. Das wird zeitnah entscheiden. 

Zitiervorschlag

Gericht entscheidet gegen "Freie-Sachsen"-Anwalt: Rechter Anwalt darf rechten Referendar nicht ausbilden . In: Legal Tribune Online, 02.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50052/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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