2. Strafkammertag in Würzburg: Wenn das Hand­werks­zeug nicht stimmt

von Annelie Kaufmann

26.09.2017

2/2 "In Großverfahren die Nebenklage bündeln"

LTO: Das NSU-Verfahren beschäftigt das OLG München seit mehr als vier Jahren. Demnächst steht das Loveparade-Verfahren am Landgericht (LG) Duisburg an. Was müsste sich ändern, um solche Großverfahren zu beschleunigen?

Lückemann: Meine persönliche Meinung ist, dass man in solchen Fällen darüber nachdenken sollte, die Nebenklage zu bündeln, damit die Hauptverhandlung für den Vorsitzenden händelbar bleibt. Bei einer sehr großen Zahl von Nebenklägern und Nebenklagevertretern ist das schwierig. Der 1. Strafkammertag hat einige Beschlüsse gefasst, um insbesondere Wirtschaftsstrafverfahren zu beschleunigen. Dazu gehört etwa die Bildung eines Fachkräftepools an bestimmten Standorten mit Sachbearbeitern, Wirtschaftsreferenten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern. Außerdem könnte man die Verteidigervergütung für eine gewisse Anzahl an Hauptverhandlungstagen erhöhen, danach aber absenken.

Kernforderungen und Online-Umfrage

LTO: Was erwarten Sie für die kommende Legislaturperiode? Braucht es nun einen großen Wurf bei der Neugestaltung des Strafverfahrens oder eher punktuelle Nachbesserungen?

Lückemann: Als Veranstalter des Strafkammertages könnte ich mir vorstellen, dass in der neuen Koalitionsvereinbarung ein Signal von der Politik an die strafgerichtliche Praxis gesetzt wird. Etwa indem die Parteien beschließen, das Strafverfahren weiter praxisgerecht zu verbessern und die Wahrheitsfindung im Strafprozess zu erleichtern. Im Großen und Ganzen ist unsere Strafprozessordnung funktionsfähig.

Es gibt aber eine Vielzahl von Stellschrauben, die den Strafprozess seinem Ziel – nämlich die Wahrheit in einem rechtsstaatlichen Verfahren, aber auch in einem angemessen zügigen Verfahren zu finden – näherbringen würden. Wir stellen uns das so vor, dass sich jede der sechs Arbeitsgruppen zu zwei zentralen Forderungen entschließt, sodass wir heute Abend zwölf Kernforderungen präsentieren können, die sich im Wesentlichen an den Bundesgesetzgeber richten werden.

Darüber hinaus können alle Teilnehmer im Anschluss an einer Online-Umfrage teilnehmen, bei der wir eine ganze Reihe von Punkten auflisten werden, die beim Strafkammertag nicht als Kernforderungen beschlossen worden sind, aber trotzdem die Zustimmung der Praktiker finden könnten. Die Beschlüsse von heute und das Ergebnis dieser Umfrage werden wir dann sehr zeitnah an die Parteivorsitzenden und an die führenden Rechtspolitiker der politischen Parteien herantragen, die möglicherweise Koalitionsverhandlungen führen werden.

"Bisher ist ein jährlicher Strafkammertag nicht geplant"

LTO: Und Sie werden den Strafkammertag im nächsten Jahr fortsetzen?

Lückemann: Wir wissen noch nicht, ob sich dafür eine Notwendigkeit ergeben wird. Ich bin jetzt erst einmal gespannt, welche Forderungen aus den Reihen unserer Strafrechtspraktiker einvernehmlich oder weitgehend einvernehmlich zusammenkommen. Und wir hoffen, dass wir mit unseren Anliegen eine Resonanz in der Politik finden. Bisher ist es nicht geplant, dass der Strafkammertag eine ständige Einrichtung werden sollte.

LTO: Es gibt immer wieder die Forderung, dass nicht nur der Strafprozess weiter reformiert werden muss, sondern auch im materiellen Strafrecht etwas getan werden müsse. So schrieb etwa die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf LTO, zu viele neue Strafgesetze überlasteten die Justiz – sehen Sie das auch so?

Lückemann: Ich kann natürlich die Feststellung unterstreichen, dass die Strafjustiz durch eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen belastet wird – Strafgesetze wären ja sinnlos, wenn daraus keine Verfahren entstehen würden. Aber ich sehe es nicht als Aufgabe eines OLG-Präsidenten an, daran öffentlich Kritik zu üben. Die Justiz ist dazu da, das materielle Recht, das der Gesetzgeber schafft, umzusetzen. Aber wir brauchen gutes Verfahrensrecht als Handwerkszeug, um mit dem materiellen Recht umgehen zu können. Darum meine ich, dass wir legitimiert sind, uns zu verfahrensrechtlichen Fragen mehr zu äußern als zum materiellen Recht.

Clemens Lückemann ist seit 2013 Präsident des OLG Bamberg und seit 2015 außerdem Verfassungsrichter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, 2. Strafkammertag in Würzburg: Wenn das Handwerkszeug nicht stimmt . In: Legal Tribune Online, 26.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24715/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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