In den Ukrainekrieg greifen inzwischen auch Saboteure, Söldner und Privatfirmen ein. Sie sollen es auch auf den ukrainischen Präsidenten abgesehen haben. Wann sie in Kriegsverbrechen verwickelt sind, erklärt Simon Gauseweg im Interview.
LTO: Herr Gauseweg, seit Kriegsbeginn in der Ukraine gibt es immer wieder Meldungen zu Saboteuren, die Störaktionen ausführen, etwa an Bahngleisen, in Häfen oder an Fabriken. Wie sind sie völkerrechtlich einzuordnen?
Simon Gauseweg: Das humanitäre Völkerrecht, das Menschen auch im Krieg schützen soll, kennt den Saboteur nicht als Akteur. Sein Name stammt wohl vom französischen "Sabot" für Holzschuh, den Arbeiter zur Zeit der Industriellen Revolution in Frankreich aus Protest in Maschinen warfen, um sie zu beschädigen. In einem Krieg werden für gewöhnlich Maschinen und Infrastruktur zerstört, aber nicht jede Bombardierung etwa einer Munitionsfabrik ist auch eine Sabotage. Von Saboteuren wird man nur sprechen können, wenn es sich um Innentäter handelt, also Arbeiter, die sich gegen ihre eigene Fabrik wenden oder getarnte Täter, die von außen ins Land kommen ohne Uniform und in Zivil.
Warum ist das für das Völkerrecht wichtig?
Den Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung bei Feindseligkeiten genießt nur, wer als Kombattant anzusehen ist. Dabei gilt der Unterscheidungsgrundsatz: Kämpfer müssen als solche erkennbar sein, sie müssen sich gerade von den Zivilisten unterscheiden, indem sie eine Uniform oder ihre Waffen offen tragen. Wer nicht als Soldat zu erkennen ist, wird nicht als Kombattant behandelt. Er genießt für seine Handlungen keine Immunität und kann entsprechend als Gefangener auch strafrechtlich verfolgt werden.
Werden Sabotageakte völkerrechtlich besonders geächtet?
Ein angegriffener Staat wird Sabotageakte wahrscheinlich auch als Terrorismus einstufen. Im Völkerrecht gibt es außerdem den Begriff der Perfidie, ähnlich wie im deutschen Strafrecht die Heimtücke. Wer durch Täuschung den Gegner in Sicherheit wiegt, um ihn unter Ausnutzung seines Vertrauens anzugreifen, handelt perfide und verletzt das humanitäre Völkerrecht. Und wer seine Fahrzeuge weiß übermalt und "UN" darauf schreibt oder ein rotes Kreuz pinselt, der wird regelmäßig ein Kriegsverbrechen begehen, weil er Schutzzeichnen missbraucht. Aus meiner Sicht handelt es bei der Rede von "Saboteuren" vor allem um einen Begriff, der dem Framing dient. Wer vor Saboteuren warnt, will die Aufmerksamkeit der Bevölkerung steigern und kommuniziert die Botschaft: Der Feind geht hinterhältig vor. Umgekehrt lässt sich der Sabotage-Begriff positiv benutzen, wenn man damit betonen will, dass es hinter feindlichen Linien Widerstand aus der eigenen Zivilbevölkerung gibt.
"Der ukrainische Präsident ist ein militärisch legitimes Ziel - für Streitkräfte"
Die ukrainische Spionageabwehr will vor einigen Tagen russische "Saboteure" festgenommen haben, die ein Attentat auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geplant haben sollen. Gehört ein gezieltes Attentat auf ein Staatsoberhaupt zur völkerrechtlich erlaubten Kriegsführung?
Der ukrainische Präsident ist auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und damit militärisch ein legitimes Ziel – für die Streitkräfte. Wenn es feindliche Saboteur-Gruppen auf seine Tötung abgesehen haben, dann sind die nicht als Saboteure einzustufen, sondern dann muss man sie Mörder nennen.
Offenbar sollen für Russland nun auch ausländische Söldner zum Einsatz kommen: Der Kreml hat angekündigt, dass Tausende syrische Kämpfer die russischen Soldaten in der Ukraine unterstützen sollen.
Den Söldner kennt das Völkerrecht. Im 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen, die die Grundlage des humanitären Völkerrechts bilden, gibt es sogar eine Definition. Söldner sind Kämpfer, die einem Drittstaat angehören, der nicht Konfliktpartei ist. Sie zeichnet aus, dass sie aus persönlichem Gewinnstreben in den Kampf ziehen. Nach geltendem Völkerrecht ist als Söldner anzusehen, wer eine deutlich höhere Vergütung erhält als die regulären Streitkräfte des Staates, für den er im Einsatz ist. Ob syrische Kämpfer sehr viel besser bezahlt werden als die russischen Soldaten, darf wohl bezweifelt werden. Das hat aber für die Syrer im Ukrainekrieg ganz konkrete Folgen. Sind sie keine Söldner, dann müssen sie wohl als Zivilpersonen gelten. Und Zivilisten, die an Feindseligkeiten teilnehmen, sind keine Kombattanten, sie genießen keine Privilegien als Kriegsgefangene und so weiter. Man wird sie aber von Zivilpersonen, die gelegentlich in Kämpfe eingreifen, unterscheiden müssen. Während Zivilpersonen nur bekämpft werden dürfen, solange sie selbst kämpfen, dürfte das bei erklärten Söldnern anders aussehen.
Warum bietet ein Staat, der Söldner anwerben will, nicht an, die ausländischen Kämpfer in seine Armee einzugliedern?
Das mag, was den Kombattantenstatus angeht, für Kämpfer attraktiv erscheinen, aber es bringt auch Nachteile für den Staat mit sich. Was in die Streitkräfte eingegliederte Kämpfer in der Ukraine tun, das muss sich der Staat zurechnen lassen, insbesondere also von ihnen begangene Kriegsverbrechen. Der Staat muss für solche Taten Reparationen zahlen. Außerdem muss er gefallene Kämpfer in seine Verlustberichte aufnehmen, das kann innenpolitisch unbequem sein. Vorfälle wie 2014 als "grüne Männchen", Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, Teile der Halbinsel Krim besetzten, zeigen, dass Staaten auf Kämpfer zurückgreifen, die sie im Zweifel auch verleugnen können.
"Private Sicherheitsfirmen operieren in einer Grauzone"
Nach aktuellen Berichten britischer Geheimdienste sind Angehörige der berüchtigten privaten russischen Sicherheitsfirma "Wagner Gruppe" in die Ukraine verlegt worden. Welche Rolle kommt diesen Privaten zu?
Solche privaten Sicherheitsfirmen operieren in einer Grauzone. Zunächst sind die Angehörigen privater Firmen keine Kombattanten und erst einmal Zivilpersonen. Sie unterstützen die Streitkräfte, sie reparieren Panzer oder Flugzeuge, kämpfen aber nicht. Als militärisches Gefolge kommt ihnen auch bestimmter Schutz zu, etwa haben sie Anspruch auf den Kriegsgefangenenstatus, wenn sie gefangen genommen werden. Nun werden solche privaten Mitarbeiter aber auch zum Schutz von Flugplätzen, Fahrzeugen, Stützpunkten eingesetzt.
Als Wachpersonal?
Ja, genau wie im deutschen Wachschutzgewerbe haben sie erst einmal keine besonderen Eingriffsbefugnisse, aber ein Selbstverteidigungsrecht. Und zwar nicht nur als Notwehr für das eigenen Leben, sondern auch in Nothilfe für fremde Güter. So kann es kommen, dass bei einer Auseinandersetzung im Krieg ein bewaffneter privater Wachschutz in die Rolle des Kämpfers rückt. Das ist die Grauzone, in denen die privaten Sicherheitsfirmen arbeiten. Sie stellen indirekt Kämpfer, obwohl sie das offiziell bestreiten würden.
Was heißt das konkret für einen Einsatz der "Wagner Gruppe" in der Ukraine?
Das sogenannte Montreux-Dokument von 2008 versucht, die Grauzone völkerrechtlich aufzuhellen. Es soll die völkerrechtliche Rechtslage für private Militär- und Sicherheitsfirmen dokumentieren. Das Dokument erlaubt Privaten nur defensive Handlungen. Der "Wagner Gruppe" wird nachgesagt, dass sie sich darauf nicht beschränkt. Ihre Mitglieder werden wohl als Zivilpersonen anzusehen sein, denn sie sind in keiner Weise in die russischen Streitkräfte eingegliedert. Vielmehr streitet die russische Führung jegliche Verbindung ab. Angehörige der Gruppe könnte man daher, wenn man ihrer habhaft wird, für jegliche Teilnahme an Feindseligkeiten zur Rechenschaft ziehen.
Simon Gauseweg ist akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht.
Söldner, Saboteure, private Sicherheitsfirmen: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48000 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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