Nach 99 Prozesstagen hat das OLG Dresden das Urteil im Fall Lina E gesprochen. Die Studentin muss für fünf Jahre und drei Monate in Haft, weil sie und Mitangeklagte Personen aus der rechten Szene zusammengeschlagen haben sollen.
Lina E. und ihre Mitangeklagten müssen jeweils für mehrere Jahre in Haft. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden am Mittwoch entschieden und damit das lang erwartete Urteil im überregional als "Linksextremismus-Prozess" bekannt gewordenen Verfahren gefällt. Lina E. wurde zu fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit der Pressemitteilung des Gerichts ist erst gegen Nachmittag zu rechnen, zu den einschlägigen Delikten war auf LTO-Anfrage an die Pressestelle des Gerichts hin zunächst nichts in Erfahrung zu bringen. Laut übereinstimmenden Medienberichten soll die Studentin "unter anderem" wegen "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" (§ 129 StGB) verurteilt worden sein. Von einer Rädelsführerschaft von E. geht die Kammer aber nicht aus. Sie sieht in ihr eine "Überblicksperson", die an Trainings und als Mitglied der Vereinigung seit 2018 an der Vorbereitung von Angriffen auf Anhänger der rechten Szene beteiligt war.
Die drei Mitangeklagten wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt. Lennart A. muss als Mitglied einer kriminellen Vereinigung für drei Jahre in Haft. Jannis R. wurde als Unterstützer zu zwei Jahren und fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und Phillip M. bekam wegen Unterstüzung der Vereinigung und einer weiteren Tat in Berlin drei Jahre und drei Monate Haftstrafe.
Das Gericht entschied außerdem, dass die Opfer der linksextremen Angriffe Schmerzensgeld in vierstelliger Höhe bekommen sollen.
Tumulte nach Urteilsverkündung
Laut der Leipziger Volkszeitung kam es nach der Urteilsverkündung zu Tumulten. Es sei zu Zwischenrufen wie "Feuer und Flamme der Repression" und "Schweinesystem, weil ihr Fascho-Freunde seid" gekommen. Richter Schlüter-Staats habe daraufhin die Verhandlung unterbrochen, damit die Rufenden aus dem Gericht gebracht werden konnten. Als er eine Beteiligung von Lina E. am Angriff auf die rechtsextreme Kneipe "Bull's Eye" in Eisenach ansprach, seien zudem Zwischenrufe gefallen wie "Vielleicht waren Sie ja dabei" und "Beweislastumkehr ist das". Bei den Zuschauern sei es zu Tränen und Geschrei gekommen.
E. und die drei weiteren Verurteilten im Alter von 28 und 37 Jahren sollen laut Anklage zwischen 2018 und 2020 Leute aus der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach brutal zusammengeschlagen haben. Demnach wurden 13 Menschen verletzt, zwei davon potenziell lebensbedrohlich.
Die Generalbundesanwaltschaft (GBA), die Fälle mit staatsschutzrelevanten Sachverhalten an sich ziehen kann, hatte deshalb acht Jahre Haft für Lina E. gefordert und für die Männer Strafen zwischen zwei Jahren und neun Monaten bzw. drei Jahren und neun Monaten beantragt. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch und bezeichnete den Prozess als "politisch motiviert". Dass die GBA die Ermittlungen an sich gezogen hat, habe zu höheren Strafanträgen geführt, so die Anwälte. Von einer "kriminellen Vereinigung", die die vier Angeklagten nach Auffassung des Gerichts gebildet haben, könne keine Rede sein.
Kronzeugen-Aussage verzögerte das Verfahren
Der Prozess hatte im September 2021 unter hohen Sicherheitsvorkehrungen begonnen. Zu diesem Zeitpunkt saß Lina E. schon zehn Monate in Untersuchungshaft. Ein Urteil wurde ursprünglich schon für den Sommer vergangenen Jahres erwartet, doch als einer der im Ermittlungsverfahren Beschuldigten überraschenderweise doch aussagte, verzögerte sich das weitere Prozedere. Der daraufhin als "Kronzeuge" bezeichnete Johannes D. belastete die damals übrigen Beschuldigten schwer.
Bis auf Angaben zur Person schwiegen die vier Angeklagten das gesamte Verfahren über. Zum Prozessende äußerte sich E. aber doch noch einmal - allerdings nicht zu den Vorwürfen. Stattdessen bedankte sie sich: bei ihren Eltern, ihren "Omis" sowie Freunden und ihren Verteidigerinnen und Verteidigern. "Mein letztes Wort in diesem Prozess soll Danke sein", erklärte sie.
Für kommenden Samstag wurde bundesweit zu Demonstrationen aufgerufen. Am Tag der Urteilsverkündung haben sich in Dresden mehrere Demonstranten der linken Szene vor Gericht versammelt. Auf einem mitgebrachten Banner steht "Nazis die Stirn bieten!".
Buschmann: "Extremismus bekämpft man nicht mit Extremismus"
Das Urteil ruft zahlreiche Reaktionen aus der Politik hervor. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) äußerte sich auf Twitter: "Extremismus bekämpft man nicht mit Extremismus." Die liberale Demokratie müsse vor ihren Feinden geschützt werden, aber nicht durch Selbstjustiz.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht eine zunehmende Gefahr durch linksextreme Gewalttäter. "In linksextremistischen Gruppen sind Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen", sagte die Politikerin in Bezug auf das Urteil.
Auch der Verfassungsschutz äußerte Bedenken hinsichtlich des aktuell hohen Radikalisierungsniveaus bei einigen Linksextremisten. Innerhalb der gewaltorientierten linksextremistischen Szene seien Hemmschwellen gefallen, "und man kann von Glück sagen, dass bisher noch kein Opfer zu Tode gekommen ist", sagte Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, am Mittwoch. Aus übrigen Teilen der Szene sei kaum Widerspruch gegen die hemmungslose Gewalt zu hören. Der Kampf gegen Rechtsextremismus dürfe nicht in Gewalt und Selbstjustiz ausarten, mahnte der Behördenchef.
Richter Schlüter-Staats äußerte sich in der Verhandlung am Mittwoch ebenfalls zu den Beweggründen der Angeklagten. Laut der Leipziger Volkszeitung nannte er den Widerstand gegen Rechtsextreme ein "achtenswertes Motiv", welches aber nicht die angeklagten Fälle rechtfertige. "Jeder Mensch hat in diesem Staat Rechte - auch ein gewalttätiger Nazi. Er wird durch seine Taten nicht vogelfrei."
Artikel zuletzt aktualisiert um 17.21 Uhr.
lmb/LTO-Redaktion
OLG Dresden urteilt im Linksextremismus-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51880 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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