3/3: Selbst perfekte Umsetzung des NetzDG wäre keine Lösung
Neben diesen legistischen Details verstört aus konzeptioneller Perspektive, dass das NetzDG praktisch ausschließlich auf Löschen durch soziale Netzwerke setzt, aber der Strafverfolgung von "Hass-Predigern" kaum Raum einräumt. Diese Schwerpunktsetzung droht den Zweck des Gesetzes zu gefährden: Selbst wenn in einer idealen Welt jedes einzelne soziale Netzwerk ein perfektes Lösch-System einrichten würde, so blieben eindeutig rechtswidrige Inhalte trotzdem bis zu 24 Stunden online, juristisch grenzwertige gar bis zu einer Woche. Selbst ein einziger Tag ist aber auf Facebook und Twitter eine halbe Ewigkeit; in der Timeline erscheinen ohnehin fast nur Posts, die in den letzten Minuten bis Stunden eingestellt wurden. Volksverhetzende Inhalte könnten so auch bei perfekter Umsetzung des NetzDG weitgehend ungestört verbreitet werden. Außerdem hindert nach dem Entwurf des NetzDG nichts und niemand einen fanatischen Hass-Prediger daran, immer neuen geistigen Unrat ins Netz zu schreiben.
Deswegen müsste eine effektive Bekämpfung von Hate Speech und Fake News vor allem bei deren Urhebern ansetzen: Die Verantwortlichen müssen wirksam strafrechtlich verfolgt werden. Dies scheitert bisher von allem an der fehlenden Kooperation zwischen sozialen Netzwerken und Strafverfolgungsbehörden: Auskünfte zu den Urhebern mutmaßlich strafbarer Inhalte müssten zwar gem. §§ 14, 15 des Telemediengesetzes eigentlich heute schon erteilt werden, in der Praxis funktioniert dies jedoch allenfalls bei Delikten der Schwerstkriminalität. Insbesondere in Fällen von Äußerungsdelikten versanden Anfragen, weil die Unternehmen ihren Sitz im Ausland haben, nicht freiwillig kooperieren und der Rechtshilfeweg nicht praktikabel ist.
Wichtigste Regelung des NetzDG bislang stiefmütterlich behandelt
Im Ansatz haben dies auch die Entwurfsverfasser erkannt, aber offenbar erst in allerletzter Sekunde: An § 5 NetzDG wurde ein Satz 2 angefügt, der soziale Netzwerke im Sinne des Gesetzes verpflichtet, für Auskunftsersuchen einer inländischen Strafverfolgungsbehörde eine empfangsberechtigte Person im Inland zu benennen. In der Gesetzesbegründung findet sich aber noch ein Verweis, der davon ausgeht, dass § 5 nur aus seinem heutigen Satz 1 besteht.
Diese Last-Minute-Änderung für eine inländische Auskunftsstelle für Strafverfolger ist jedoch bei Lichte besehen der zentrale Punkt des ganzen NetzDG. Nur über eine zuverlässige Beantwortung der Anfragen von Polizei und Justiz können die Verantwortlichen von Hass-Botschaften ausfindig gemacht, bestraft und so von weiteren Straftaten abgehalten werden. Daher sollte der Gesetzgeber bei der inländischen Auskunftstelle unbedingt nachlegen: Insbesondere fehlt es bisher an einer Frist zur Beantwortung von Anfragen – nach dem Entwurf des NetzDG müssen Inhalte zwar binnen kurzer Fristen gelöscht werden, Anfragen von Polizei und Staatsanwaltschaft hingegen können durchaus auch unbeantwortet bleiben. Hier sollte ebenfalls eine 24-Stunden-Frist gelten, denn eine rein technische, problemlos automatisierbare Datenbank-Abfrage nach der Quelle eines Beitrags ist jedenfalls nicht schwieriger als die notwendig manuelle rechtliche Beurteilung, ob ein Inhalt "offensichtlich rechtswidrig" ist. Außerdem muss die Auskunftspflicht mit einem spürbaren Bußgeld bewehrt werden, sodass soziale Netzwerke motiviert werden können, Anfragen schnell und vor allem hilfreich und umfassend zu beantworten.
Fazit
So sinnvoll es ist, sich der Phänomene Hate Speech und Fake News anzunehmen – der vorliegende Entwurf des BMJV kann sowohl konzeptionell als auch in vielen Details nicht überzeugen. Letztlich wäre der Gesetzgeber wohl gut beraten, in dieser Legislaturperiode alleine § 5 des Gesetzentwurfs (inländische Kontaktstelle für Gerichte und Strafverfolgungsbehörden) in Kraft zu setzen, ergänzt um kurze Reaktionsfristen und harte Bußgelder.
Ob es eines rechtsstaatlich bedenklichen Lösch-Regimes in sozialen Netzwerken überhaupt noch bedarf, wenn zivil- wie strafrechtlich endlich wirksam gegen "Hass-Prediger" vorgegangen werden kann, sollte nach der Bundestagswahl zunächst in Ruhe evaluiert werden.
Der Autor Dr. Ulf Buermeyer, LL.M. (Columbia) ist Strafrichter am Landgericht Berlin und Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF).
Netzwerkdurchsetzungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22465 (abgerufen am: 14.10.2024 )
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