Bundesverwaltungsrichter zum Asylrecht: "52 Ver­wal­tungs­ge­richte müssen ständig das Rad neu erfinden"

von Tanja Podolski

22.05.2017

3/3: "Das BVerwG kann nur über Rechtsfragen entscheiden"

LTO: Eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung, an der die Instanzrichter sich orientieren können, würde ja sicherlich helfen. Stattdessen müssen die Verwaltungsrichter jeden einzelnen Fall selbst lösen - und kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Auch bei den Oberverwaltungsgerichten und den Verwaltungsgerichtshöfen ging es bei den Entscheidungen zu Flüchtlingen aus Syrien uneinheitlich weiter. Keines der Gerichte hat die Berufung zugelassen. Wann kann das Bundesverwaltungsgericht endlich urteilen?

Seegmüller: Die Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe lassen die Berufung zu, wenn ein Zulassungsgrund vom Rechtsmittelführer ordnungsgemäß dargelegt wird und vorliegt. Die Zulassungsgründe hat der Gesetzgeber in § 124 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aufgezählt. Natürlich kann in den Syrien-Fällen beispielsweise eine grundsätzliche Bedeutung versteckt sein, die eine Berufung erlauben würde. Eine solche Rechtsfrage muss dann aber von den Rechtsmittelführern halt auch prozessordnungsgemäß dargelegt werden. Das ist in Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger meiner Kenntnis nach aber auch schon geschehen.

Werden Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargelegt oder gibt es schlicht keine, kann möglichweise ein falsches Urteil auch einmal stehen bleiben. Das ist in der VwGO so angelegt: Geht es nur um die Beurteilung tatsächlicher Fragen in einem Einzelfall, wie etwa die Einschätzung der Lage einer einzelnen Person in Syrien, sind sowohl die Oberverwaltungsgerichte als auch das Bundesverwaltungsgericht schnell aus dem Spiel.

"Jeder Fall ist ein Einzelfall"

LTO: Es kommt also darauf an, wo die Flüchtlinge aus Syrien ankommen. Wer Glück hat, landet in Baden-Württemberg, wo der VGH kürzlich den Syrern vollen Flüchtlingsstatus zuerkannt hat?

Seegmüller: Wenn es divergierende Einschätzungen über die tatsächliche Lage in Syrien gibt, und diese sich dann in unterschiedlichen Entscheidungen der OVG und VGH abbildet, kann das passieren. Ich bin auch sehr gespannt auf die Gründe des VGH  Baden-Württemberg, ob es eine Divergenz in den Obersätzen oder in der Bewertung der Tatsachenlage gibt. Das kann Rechtsfragen neu aufwerfen, das muss man dann sehen.

Man muss aber auch sehen, dass jeder Fall immer ein Einzelfall ist. Natürlich kann man Fälle kategorisieren nach Militärdienest, Syrien, Herkunft – aber wenn man die Fälle anschaut, sind sie doch alle immer ein bisschen anders. Da muss man genau schauen, an welcher Stelle die Entscheidung in Mannheim in die eine und an anderen OVGs in die andere Richtung kippt. Es kann durchaus sein, dass die Entscheidungen am Ende tatsächlich und rechtlich miteinander vereinbar sind.

"52 Gerichte erfinden ständig das Rad neu"

LTO: Von den Verwaltungsrichtern ist durchaus zu hören, dass sie sich wünschen würden, dass mal ein Fall bis zum BVerwG durchgeht.

Seegmüller: Völlig richtig. Wenn man eine Entscheidung aus Leipzig hätte, die eine bestimmte Frage der Tatsachenbewertung in einer bundesweit einheitlichen Art und Weise entscheiden würde, dann könnte das möglicherweise helfen. Aber das geht über den Zuschnitt des aktuellen Rechtsmittelrechts hinaus, dafür ist das BVerwG vom Gesetzgeber nicht gedacht. Man kann darüber nachdenken, ob man das anders haben will. Das Rechtsmittelrecht, so wie es jetzt in der VwGO steht, ist ja nicht am Berg Sinai aus dem Himmel herab gereicht worden und auf alle Zeiten unveränderlich. Aber nach momentanem Stand der Gesetzeslage ist es eben so.

Hinzu kommt aber im Asylrecht das spezielle Prozessrecht. Das schränkt die Möglichkeiten nach Rechtsvereinheitlichung noch viel massiver ein, als das ohnehin schon durch das allgemeine Verwaltungsprozessrecht geschieht. Das führt dann z.B. bei den Dublin-Verfahren zu einem völlig unbefriedigenden Ergebnis, wenn es um die Frage geht, ob systemische Mängel in einem Staat der Europäischen Union vorliegen. So erfinden 52 Verwaltungsgerichte in dieser Frage ständig das Rad neu.

LTO: Wie geht es denn den Bundesverwaltungsrichtern damit? Die LTO hat vernommen, dass auch Ihre Kollegen selbst die Fälle gerne entscheiden würden.

Seegmüller: Da müssen Sie eigentlich den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts fragen. Als Vorsitzender des Bundesverbands der Verwaltungsrichter (BDVR) kann ich lediglich sagen, ich hielte es für wünschenswert und kann mir gut vorstellen, dass es Kollegen gibt, die sich das auch wünschen. Einheitliche Rechtsprechung ist ein Wert an sich, insbesondere um zu verhindern, dass Flüchtlinge versuchen, ob der günstigen Prozessaussichten von einem Bundesland ins andere ziehen.

LTO: Herr Dr. Seegmüller, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Robert Seegmüller ist Vorsitzender des Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) und seit Oktober 2015 Richter am Bundesverwaltungsgericht. Zuvor war er u.a. 15 Jahre als Richter am Verwaltungsgericht Berlin tätig, seine Kammer war für unter anderem für Ausländer- und Asylrecht zuständig.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Bundesverwaltungsrichter zum Asylrecht: "52 Verwaltungsgerichte müssen ständig das Rad neu erfinden" . In: Legal Tribune Online, 22.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23000/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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