Gerichtsdolmetscher: Lost in Translation

20.04.2015

2/2: Interkulturell kompetent

Eine Expertin für Sprache und ausländerrechtliche Fragen ist Mazkin Abdulmajid. Die Bonnerin, geboren im syrischen Aleppo, dolmetscht Arabisch und Kurdisch und hat aktuell gut zu tun. Die große Flüchtlingszahl aus Syrien und dem Irak führt zu vielen Aufträgen für die Freiberuflerin. Diese sind nicht immer einfach –  sprachlich, rechtlich und emotional. Abdulmajid schildert ein Beispiel: "Ich dolmetsche einem Kind, das ganz allein aus dem Kriegsgebiet in Syrien nach Deutschland geflüchtet ist, den deutschen Begriff 'Vormund'. Dabei muss ich das aktuelle Vorgehen präzise übermitteln und gleichzeitig einem Kind aus einer völlig anderen Welt den juristischen Hintergrund erklären."

Zusätzlich zu juristischen Kenntnissen und Sprachfertigkeit zählen bei Gerichtsverhandlungen oder Vernehmungen bei der Polizei auch interkulturelle Kompetenzen. "Gerichtsdolmetscher übersetzen Sprache und vermitteln gleichzeitig zwischen zwei Rechtskulturen", sagt Kostadinova.

Zum Beispiel die Dolmetscherin Leela Narayan*, gebürtige Inderin und seit 30 Jahren in Deutschland zuhause. Sie übersetzt Hindi, Punjabi und Urdu – Sprachen, die in Indien und Pakistan gesprochen werden. Dabei  sorgt sie als Dolmetscherin immer wieder für gegenseitiges Verständnis, sprachlich und kulturell. Besonders bei Familienangelegenheiten, etwa bei einer Verhandlung wegen häuslicher Gewalt. Dann vermittelt sie zwischen zwei grundlegend verschiedenen Rechtskulturen.

"In vielen Ländern haben Männer einfach andere Rechte in der Ehe als in Deutschland. Wenn Behörden einschreiten, weil die Kinder oder die Ehefrau geschlagen werden, muss ich nicht nur präzise übersetzen, sondern auch gesellschaftliche Konventionen erklären", schildert sie ein typisches Beispiel.

Meist gelingt ihr das. "Ich bin aus dem indischen Punjab, kenne die Kultur der Menschen dort. Dadurch schaffe ich es schnell, Vertrauen aufzubauen." Zugleich ist Narayan auch gut mit der Sprache und den Gepflogenheiten vor Gericht oder bei Behörden wie dem Ausländeramt vertraut.

Gefahr für Übersetzungsfehler

Doch nicht immer sind die Rahmenbedingungen optimal. "Polizei und Behörden benötigen häufig von jetzt auf gleich einen Dolmetscher. Dann bleibt keine Zeit für ein Vorgespräch."

Beim Dolmetschen vor Gericht zählt sprachliche Präzision. "Oft wird die Bedeutung von Sprachnuancen unterschätzt", schildert Lingua-World-Chefin Nelly Kostadinova ein weiteres Problem beim Gerichtsdolmetschen. Ein Beispiel: "Für einen Zeugen, Kläger oder Angeklagten aus Ghana kann es nachteilig sein, wenn der Dolmetscher nur ins Englische übersetzt. Das ghanaische Pidgin-Englisch unterscheidet sich in vielen Punkten, vor allem auch in der Aussprache, vom britischen oder amerikanischen Englisch. Dadurch steigt die Gefahr für Übersetzungsfehler."

Deswegen ist es wichtig, dass der eingesetzte Gerichtsdolmetscher bestenfalls den konkreten Dialekt der Person spricht, für einen Ghanaer beispielsweise Twi. Kostadinova: "Wir schauen, woher genau die Person stammt und rekrutieren möglichst einen Dolmetscher aus der gleichen geografischen Region, um der kulturellen Identität gerecht zu werden."

* Auf Wunsch der Dolmetscherin wurde der Name geändert. Name der Redaktion bekannt.

Zitiervorschlag

Gerichtsdolmetscher: Lost in Translation . In: Legal Tribune Online, 20.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15278/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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