Die Gerichtssprache ist bekanntlich Deutsch, die Muttersprache der Prozessbeteiligten kann hingegen alles Mögliche sein – beispielsweise der ghanaische Dialekt Twi. Dann kommen Dolmetscher zum Einsatz, die neben sprachlichen auch kulturelle und rechtliche Feinheiten berücksichtigen müssen.
Ob im Gerichtsprozess, bei einer polizeilichen Vernehmung oder einer Anhörung im Asylverfahren: Wenn Personen beteiligt sind, die kaum oder gar kein Deutsch sprechen, stellt das Richter und Beamte in Behörden oft vor Probleme. Denn die Gerichtssprache ist deutsch. Helfen können spezialisierte Übersetzer. Laut Statistischem Bundesamt gibt es hierzulande rund 41.000 Dolmetscher und Übersetzer für Sprachen von Assyrisch bis Zazaisch, eine Sprache, die im Osten der Türkei gesprochen wird. Rund die Hälfte von ihnen übersetzt auch im juristischen Bereich.
Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) schätzt, dass in jedem fünften Gerichtsverfahren ein Dolmetscher benötigt wird. Er ist nach § 185 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind.
"Die Aufgabe, juristische Sachverhalte korrekt zu übertragen und komplexe rechtliche Zusammenhänge zu erklären, stellt hohe Anforderungen an Gerichtsdolmetscher", sagt Nelly Kostadinova vom Übersetzungsdienstleister Lingua-World.
Fachleute für Fachsprache
Die Qualität der Übersetzung gewährleisten Gerichte und Behörden etwa durch die Beauftragung beeidigter Dolmetscher. Diese werden durch die Justizbehörden zugelassen, nachdem sie ihre persönliche und fachliche Eignung nachgewiesen haben. Dazu gehören etwa die Vorlage des Führungszeugnisses sowie das Fehlen von Einträgen im Schuldnerverzeichnis. Die Voraussetzungen zum Nachweis der fachlichen Kompetenz variieren von Bundesland zu Bundesland; teils sind sie gesetzlich bzw. in Verordnungen und Verwaltungsvorschriften festgelegt.
Der Berufsverband BDÜ stellt für Auftraggeber beispielsweise eine regelmäßig aktualisierte "Fachliste Recht" zur Verfügung. Die Liste führt, alphabetisch und nach Postleitzahlen geordnet, Übersetzer und Dolmetscher für diverse Rechtsgebiete auf – vom Adoptionsrecht bis zum Wirtschaftsrecht. Ein Paragrafen-Zeichen zeigt Dolmetscher an, die für die Übertragung aus der oder in die jeweilige Sprache ermächtigt oder – je nach Bundesland – vereidigt, allgemein beeidigt oder öffentlich bestellt sind.
Denn egal ob beim Strafprozess oder der Familienangelegenheit – Gerichte und Behörden arbeiten mit einer Fachsprache, die vom alltäglichen Sprachgebrauch mitunter weit entfernt ist. "Ein guter Dolmetscher sollte beides beherrschen: Die juristische Fachterminologie und die entsprechenden Begrifflichkeiten in der anderen Sprache", sagt Kostadinova. Auch André Lindemann, Präsident des BDÜ, sieht das ähnlich: "Im medizinischen und juristischen Bereich sollten nur professionelle Dolmetscher eingesetzt werden. Zum Beispiel, wenn es um Sachverhalte geht, die ausländerrechtlich von Bedeutung sind".
2/2: Interkulturell kompetent
Eine Expertin für Sprache und ausländerrechtliche Fragen ist Mazkin Abdulmajid. Die Bonnerin, geboren im syrischen Aleppo, dolmetscht Arabisch und Kurdisch und hat aktuell gut zu tun. Die große Flüchtlingszahl aus Syrien und dem Irak führt zu vielen Aufträgen für die Freiberuflerin. Diese sind nicht immer einfach – sprachlich, rechtlich und emotional. Abdulmajid schildert ein Beispiel: "Ich dolmetsche einem Kind, das ganz allein aus dem Kriegsgebiet in Syrien nach Deutschland geflüchtet ist, den deutschen Begriff 'Vormund'. Dabei muss ich das aktuelle Vorgehen präzise übermitteln und gleichzeitig einem Kind aus einer völlig anderen Welt den juristischen Hintergrund erklären."
Zusätzlich zu juristischen Kenntnissen und Sprachfertigkeit zählen bei Gerichtsverhandlungen oder Vernehmungen bei der Polizei auch interkulturelle Kompetenzen. "Gerichtsdolmetscher übersetzen Sprache und vermitteln gleichzeitig zwischen zwei Rechtskulturen", sagt Kostadinova.
Zum Beispiel die Dolmetscherin Leela Narayan*, gebürtige Inderin und seit 30 Jahren in Deutschland zuhause. Sie übersetzt Hindi, Punjabi und Urdu – Sprachen, die in Indien und Pakistan gesprochen werden. Dabei sorgt sie als Dolmetscherin immer wieder für gegenseitiges Verständnis, sprachlich und kulturell. Besonders bei Familienangelegenheiten, etwa bei einer Verhandlung wegen häuslicher Gewalt. Dann vermittelt sie zwischen zwei grundlegend verschiedenen Rechtskulturen.
"In vielen Ländern haben Männer einfach andere Rechte in der Ehe als in Deutschland. Wenn Behörden einschreiten, weil die Kinder oder die Ehefrau geschlagen werden, muss ich nicht nur präzise übersetzen, sondern auch gesellschaftliche Konventionen erklären", schildert sie ein typisches Beispiel.
Meist gelingt ihr das. "Ich bin aus dem indischen Punjab, kenne die Kultur der Menschen dort. Dadurch schaffe ich es schnell, Vertrauen aufzubauen." Zugleich ist Narayan auch gut mit der Sprache und den Gepflogenheiten vor Gericht oder bei Behörden wie dem Ausländeramt vertraut.
Gefahr für Übersetzungsfehler
Doch nicht immer sind die Rahmenbedingungen optimal. "Polizei und Behörden benötigen häufig von jetzt auf gleich einen Dolmetscher. Dann bleibt keine Zeit für ein Vorgespräch."
Beim Dolmetschen vor Gericht zählt sprachliche Präzision. "Oft wird die Bedeutung von Sprachnuancen unterschätzt", schildert Lingua-World-Chefin Nelly Kostadinova ein weiteres Problem beim Gerichtsdolmetschen. Ein Beispiel: "Für einen Zeugen, Kläger oder Angeklagten aus Ghana kann es nachteilig sein, wenn der Dolmetscher nur ins Englische übersetzt. Das ghanaische Pidgin-Englisch unterscheidet sich in vielen Punkten, vor allem auch in der Aussprache, vom britischen oder amerikanischen Englisch. Dadurch steigt die Gefahr für Übersetzungsfehler."
Deswegen ist es wichtig, dass der eingesetzte Gerichtsdolmetscher bestenfalls den konkreten Dialekt der Person spricht, für einen Ghanaer beispielsweise Twi. Kostadinova: "Wir schauen, woher genau die Person stammt und rekrutieren möglichst einen Dolmetscher aus der gleichen geografischen Region, um der kulturellen Identität gerecht zu werden."
* Auf Wunsch der Dolmetscherin wurde der Name geändert. Name der Redaktion bekannt.
Gerichtsdolmetscher: Lost in Translation . In: Legal Tribune Online, 20.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15278/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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