Die Verführung: Darf der SPIEGEL Gerhard Schröder als Straf­tät­er abbilden?

von Markus Kompa

20.06.2015

2/2: Kasachischer Lobbyverein

Vorliegend allerdings bezieht sich die Bildaussage auf die aktuelle Titelstory über die Beziehungen deutscher Ex-Politiker zum kasachischen Staatschef Nursultan Nasarbajew, der einen Wiener Anwalt mit PR-Manipulation und Justizmauschelei beauftragt hatte, so der SPIEGEL. Die Darstellung auf dem Cover erweckt mindestens der Eindruck, Schröder habe sich "von Millionen locken lassen" und kriminell gehandelt. Die Formulierung impliziert zwar eine ehrenrührige Käuflichkeit - allerdings behauptet sie eine solche nicht.

Tatsächlich wird im Heft auch nur über konkrete Vertragsverhandlungen mit dem Ex-Kanzler berichtet, welche dieser allerdings von sich aus abgebrochen hatte. Die Behauptung, Schröder habe sich "locken lassen", wird im Bericht durch Schröders Anreise als Gast zu offenbar zwei Treffen einer kasachischen Lobby-Organisation untermauert. Angeblich hat er monatelang bis März 2011 über ein Jahressalär von mindestens 300.000,- € für eine Mitgliedschaft verhandelt.

Der Genuss der Gastfreundschaft bei kasachischen Kleptokraten sowie abgebrochene Verhandlungen mit windigen Lobbyisten mögen anrüchig sein, Straftaten nach dem Strafgesetzbuch jedoch dürften jedenfalls in Bezug auf Schröder nicht im Raum stehen. Ob dessen Verhalten als kriminell dargestellt werden darf, ist daher eine subjektiv zu beurteilende Wertungsfrage.

Eine deutlich schlechtere Figur im Bericht machten Schily, der ehemalige EUROPOL-Chef Max-Peter Ratzel und andere. Sie sollen sich am Versuch beteiligt haben, die Behörden zur Jagd auf Nasarbejews in Ungnade gefallenen Ex-Schwiegersohn Rachat Alijew zu bewegen. Alijew, der seinen Schwiegervater in spe stürzen wollte, mit 114 Millionen aus der Staatskasse durchgebrannt sein soll und ein Enthüllungsbuch über politische Auftragsmorde verfasste, wurde 2014 in Wien wegen Mordverdachts verhaftet. Im Februar 2015 beschloss Alijew unter dubiosen Umständen in einer Wiener Gefängniszelle selbst sein Leben. Schily will nicht gegen den SPIEGEL vorgehen.

Zweifelhafte Beweismittel

Der SPIEGEL-Verlag wird seine Behauptungen jedenfalls gerichtsverwertbar glaubhaft machen und ggf. beweisen müssen. Und hier dürfte der eigentlich spannende Ertrag dieses Rechtsstreits liegen: Die Redaktion beruft sich nämlich auf einen angeblichen Leak aus der Wiener Anwaltskanzlei, die mit der Anwerbung von hochkarätigen Fürsprechern und Lobbyisten beauftragt gewesen sein soll. Spionage in Anwaltspost ist nicht gerichtsüblich, es läge auch nicht außerhalb der Lebenserfahrung, dass das Material sogar geheimdienstlich ausgespäht und dem SPIEGEL zugespielt wurde, denn immerhin war mindestens der kasachische Geheimdienst in den Fall verwickelt.

Zwar führt nicht jedes materiell rechtswidrig erlangte Beweismittel zwingend zur prozessualen Unverwertbarkeit. Wenn allerdings durch die Beweisgewinnung in ein verfassungsrechtlich geschütztes Individualrecht eingegriffen wurde, muss das Gericht eine Güterabwägung treffen. Ähnlich wie in der Wallraff-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beim Redaktionsgeheimnis wird zu berücksichtigen sein, dass auch das Mandatsgeheimnis gesetzlich geschützt ist.

Vorliegend könnte allerdings zugunsten des SPIEGEL eine Rolle spielen, dass die Organisation von Jubelpersern und Türöffnern nicht zur konventionellen Tätigkeit von Rechtsanwälten gehört und der betreffende Jurist für diese Art der Kontaktpflege bekannt ist. Auch der Erkenntnisgewinn über die schäbige Käuflichkeit von Ex-Politikern sowie deren niedrigschwellige Bereitschaft, sich sogar für Kleptokraten herzugeben, dürfte ein öffentliches Berichtsinteresse überwiegen lassen, denn von ehemaligen Inhabern höchster Staatsämter darf man eine gewisse Hygiene bei der Auswahl von Geschäftspartnern erwarten. Wer sich mit totalitären Regimen einlässt, muss auch eine plakative Darstellung entsprechender Kontakte aushalten.

Es ist nicht auszuschließen, dass die für subjektive Rechtsauffassungen bekannte Hamburger Pressekammer das Cover als rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Schröders bewertet, während der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Meinungs- und Pressefreiheit der Vorrang einräumen würden.

Der Autor Markus Kompa ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und berät Enthüllungsjournalisten.

Zitiervorschlag

Markus Kompa, Die Verführung: Darf der SPIEGEL Gerhard Schröder als Straftäter abbilden? . In: Legal Tribune Online, 20.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15935/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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