Der aktuelle SPIEGEL stellt Verbindungen her zwischen kasachischen Kleptokraten, Wiener Lobbyanwälten und deutschen Spitzenpolitikern. Einer von ihnen wehrt sich nun. Doch im schmutzigen Politikbetrieb gibt es kaum weiße Westen. Von Markus Kompa.
Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder schrieb bereits 2002 auf haarsträubende Weise Presserechtsgeschichte. So wehrte sich der "Medienkanzler" im Wahljahr erfolgreich vor dem Landgericht Hamburg gegen die ungeschickt formulierte Vermutung einer Kosmetikerin, der Kanzler schade seiner Glaubwürdigkeit, weil er sich die Haare färbe. Die Hamburger Pressekammer bewertete dies – etwas haarspalterisch – als unzulässige Tatsachenbehauptung, welche der beklagte Verlag schlecht beweisen konnte. Als eine andere Illustrierte Schröder lediglich mit einem Feigenblatt bekleidet abdruckte, soll dies dem Mann, der Deutschland einst "mit BILD, BAMS und Glotze" regierte, auch nicht behagt haben.
Nunmehr erregte sich Schröder über das aktuelle SPIEGEL-Cover, obwohl der 71-Jährige dort immerhin mit züchtiger Kleidung und schwarzem Haar abgebildet wird. Gemeinsam mit Otto Schily und Horst Köhler blickt er den Leser im Stil eines erkennungsdienstlichen Ganovenportraits an. Daneben die Titelstory: "DIE VERFÜHRUNG. Das Kasachstan-Komplott: Wie sich deutsche Politiker von den Millionen eines Diktators und seiner Diener locken ließen."
Verbrecherkartei
Der Ex-Kanzler kanzelte den Hamburger Verlag über einen Anwalt erfolglos ab, sodass nun mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung zu rechnen ist, vermutlich wieder am Landgericht Hamburg. Die Kammer wird zu prüfen haben, ob die montierten Bilder unwahre Tatsachenbehauptung beinhalten, oder lediglich eine – grundsätzlich zulässige – Meinungsäußerung darstellen. Dabei wird vor allem der Kontext zu beachten sein, der durch die Titelstory und deren Kurzfassung auf dem Cover hergestellt wird. So müssen derartig plakative Bilder und Überschriften in einer nachvollziehbaren Weise mit dem Text korrespondieren und dürfen keine ernsthaften Unwahrheiten enthalten oder suggerieren.
Die Fotomontagen präsentieren die Herren Schily, Schröder und Köhler als Personen in einer Verbrecherkartei. Dies impliziert strafrechtlich relevantes Verhalten. Derartige Darstellung kann im entsprechenden Kontext oder zu Zwecken der Satire durchaus zulässig sein. Die Öffentlichkeit suchende Politiker müssen allgemein eine etwas dickere Haut haben, denn Politik ist nun einmal ein immer wieder mit Gratwanderungen und moralisch grenzgängigen Entscheidungen verbundenes Geschäft, Lobbyismus allemal. Schily war als Innnenminister für die Erstellung ebensolcher Verbrecherkarteien wie jener, die nun das SPIEGEL-Cover ziert, verantwortlich, und nicht Wenige beurteilten seine "Otto-Kataloge" als rechtswidrig bis kriminell. Auch Gerhard Schröder wird es gewohnt sein, von politischen Gegnern wegen seiner Beteiligung am Krieg in Osteuropa oder der Einführung von Hartz IV mangelhafter Moralität und Rechtstreue bezichtigt zu werden. Ebenso wird Horst Köhler mit derber öffentlicher Kritik umgehen müssen – aber alles nur im entsprechenden Zusammenhang.
2/2: Kasachischer Lobbyverein
Vorliegend allerdings bezieht sich die Bildaussage auf die aktuelle Titelstory über die Beziehungen deutscher Ex-Politiker zum kasachischen Staatschef Nursultan Nasarbajew, der einen Wiener Anwalt mit PR-Manipulation und Justizmauschelei beauftragt hatte, so der SPIEGEL. Die Darstellung auf dem Cover erweckt mindestens der Eindruck, Schröder habe sich "von Millionen locken lassen" und kriminell gehandelt. Die Formulierung impliziert zwar eine ehrenrührige Käuflichkeit - allerdings behauptet sie eine solche nicht.
Tatsächlich wird im Heft auch nur über konkrete Vertragsverhandlungen mit dem Ex-Kanzler berichtet, welche dieser allerdings von sich aus abgebrochen hatte. Die Behauptung, Schröder habe sich "locken lassen", wird im Bericht durch Schröders Anreise als Gast zu offenbar zwei Treffen einer kasachischen Lobby-Organisation untermauert. Angeblich hat er monatelang bis März 2011 über ein Jahressalär von mindestens 300.000,- € für eine Mitgliedschaft verhandelt.
Der Genuss der Gastfreundschaft bei kasachischen Kleptokraten sowie abgebrochene Verhandlungen mit windigen Lobbyisten mögen anrüchig sein, Straftaten nach dem Strafgesetzbuch jedoch dürften jedenfalls in Bezug auf Schröder nicht im Raum stehen. Ob dessen Verhalten als kriminell dargestellt werden darf, ist daher eine subjektiv zu beurteilende Wertungsfrage.
Eine deutlich schlechtere Figur im Bericht machten Schily, der ehemalige EUROPOL-Chef Max-Peter Ratzel und andere. Sie sollen sich am Versuch beteiligt haben, die Behörden zur Jagd auf Nasarbejews in Ungnade gefallenen Ex-Schwiegersohn Rachat Alijew zu bewegen. Alijew, der seinen Schwiegervater in spe stürzen wollte, mit 114 Millionen aus der Staatskasse durchgebrannt sein soll und ein Enthüllungsbuch über politische Auftragsmorde verfasste, wurde 2014 in Wien wegen Mordverdachts verhaftet. Im Februar 2015 beschloss Alijew unter dubiosen Umständen in einer Wiener Gefängniszelle selbst sein Leben. Schily will nicht gegen den SPIEGEL vorgehen.
Zweifelhafte Beweismittel
Der SPIEGEL-Verlag wird seine Behauptungen jedenfalls gerichtsverwertbar glaubhaft machen und ggf. beweisen müssen. Und hier dürfte der eigentlich spannende Ertrag dieses Rechtsstreits liegen: Die Redaktion beruft sich nämlich auf einen angeblichen Leak aus der Wiener Anwaltskanzlei, die mit der Anwerbung von hochkarätigen Fürsprechern und Lobbyisten beauftragt gewesen sein soll. Spionage in Anwaltspost ist nicht gerichtsüblich, es läge auch nicht außerhalb der Lebenserfahrung, dass das Material sogar geheimdienstlich ausgespäht und dem SPIEGEL zugespielt wurde, denn immerhin war mindestens der kasachische Geheimdienst in den Fall verwickelt.
Zwar führt nicht jedes materiell rechtswidrig erlangte Beweismittel zwingend zur prozessualen Unverwertbarkeit. Wenn allerdings durch die Beweisgewinnung in ein verfassungsrechtlich geschütztes Individualrecht eingegriffen wurde, muss das Gericht eine Güterabwägung treffen. Ähnlich wie in der Wallraff-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beim Redaktionsgeheimnis wird zu berücksichtigen sein, dass auch das Mandatsgeheimnis gesetzlich geschützt ist.
Vorliegend könnte allerdings zugunsten des SPIEGEL eine Rolle spielen, dass die Organisation von Jubelpersern und Türöffnern nicht zur konventionellen Tätigkeit von Rechtsanwälten gehört und der betreffende Jurist für diese Art der Kontaktpflege bekannt ist. Auch der Erkenntnisgewinn über die schäbige Käuflichkeit von Ex-Politikern sowie deren niedrigschwellige Bereitschaft, sich sogar für Kleptokraten herzugeben, dürfte ein öffentliches Berichtsinteresse überwiegen lassen, denn von ehemaligen Inhabern höchster Staatsämter darf man eine gewisse Hygiene bei der Auswahl von Geschäftspartnern erwarten. Wer sich mit totalitären Regimen einlässt, muss auch eine plakative Darstellung entsprechender Kontakte aushalten.
Es ist nicht auszuschließen, dass die für subjektive Rechtsauffassungen bekannte Hamburger Pressekammer das Cover als rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Schröders bewertet, während der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Meinungs- und Pressefreiheit der Vorrang einräumen würden.
Der Autor Markus Kompa ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und berät Enthüllungsjournalisten.
Markus Kompa, Die Verführung: Darf der SPIEGEL Gerhard Schröder als Straftäter abbilden? . In: Legal Tribune Online, 20.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15935/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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