Zwei AfD-Fraktionen in Baden-Württemberg: Warten auf den Landtag

von Dr. Alexandra Bäcker

26.07.2016

2/2: Multiple Fraktionen begünstigen eine Partei

Einer solchen Verzerrung der Stärkeverhältnisse im Parlament kann der Landtag aus Gründen der Gleichheit aller Abgeordneten und der Fraktionen entgegenwirken. Dies sind tragfähige Gründe, die eine Einschränkung des Fraktionsbildungsrechts der Abgeordneten rechtfertigen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die Abgeordneten gleicher Parteizugehörigkeit mehrere Fraktionen gründen.

Eine entsprechende geschäftsordnungsrechtliche Regelung wäre verfassungsrechtlich zulässig und auch kein Novum (vgl. etwa § 14 Abs. 1 S. 2 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags). Solange die grundsätzliche Gleichgerichtetheit der politischen Grundüberzeugung und Ziele ihren formalen Ausdruck in derselben Parteimitgliedschaft findet, ist es eine berechtigte Erwartungshaltung, dass der Interessenausgleich zwischen diesen Abgeordneten innerhalb nur einer parlamentarischen Fraktion stattfindet.

Dass sich innerparteiliche Richtungsstreitigkeiten auch in der Fraktion fortsetzen, ist unabdingbar, aber eben auch genau so gewollt. Auf diese Weise werden die Fraktionen ihrer parlamentarischen Aufgabe gerecht, Ort der Koordination und des Abgleichs der Überzeugungen und Interessen zu sein, indem sie die teils homogenen, teils divergenten Ansichten ihrer Mitglieder auf der Grundlage der in der Parteimitgliedschaft zum Ausdruck kommenden inhaltlichen Gemeinsamkeiten bündeln und zu mehrheitsgetragenen Fraktionspositionen formen.

Ist dies nicht möglich - aus welchen Gründen auch immer -, erlaubt das freie Mandat jedem Abgeordneten, sich der Herrschaft seiner Fraktion zu entziehen, so auch dauerhaft durch seinen Austritt. Die Gründung mehrerer Fraktionen von Abgeordneten mit gleicher Parteizugehörigkeit kann das Parlament aufgrund der damit einhergehenden gleichheitswidrigen Vorteilsmehrung jedenfalls verhindern.

Was belastet mehr: Eine zweite Fraktion oder Arbeit als Fraktionslose?

Ob dies zur Wahrung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlaments erforderlich ist, obliegt der Beurteilung durch den Landtag. Er kann die Fraktionsbildungsvoraussetzungen durch eine Änderung der Geschäftsordnung in dem dafür vorgesehenen Verfahren entsprechend ergänzen oder eine Abweichung von der Geschäftsordnung beschließen. Er kann aber auch zu der Einschätzung gelangen, dass die mit einer Fraktionsmehrung einhergehenden innerparlamentarischen Wettbewerbsverzerrungen hinnehmbar sind.

Denn auch soweit die aus der AfD-Fraktion ausgetretenen Abgeordneten auf die Mitwirkung als fraktionslose Abgeordnete verwiesen werden, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtages. Zwar haben fraktionslose Abgeordnete kaum nennenswerten Einfluss auf die parlamentarische Arbeit. Insbesondere sind auch die finanziellen Vorteile der Fraktionszugehörigkeit nicht durch zusätzliche finanzielle Zuwendungen an fraktionslose Abgeordnete auszugleichen. Jedoch muss ein Nachteilsausgleich dadurch erfolgen, fraktionslosen Abgeordneten durch den Wissenschaftlichen Dienst in zumutbarem Rahmen juristischer Rat und Hilfestellung geleistet wird.

Fraktionslose Abgeordnete können zudem in zumindest einem Ausschuss mit Rede- und Antrags-, aber ohne Stimmrecht mitwirken. Darüber hinaus sind sie im Wesentlichen nach der – wenn auch nicht unumstrittenen, aber in der parlamentarischen Praxis angewandten – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 28.02.2012, Az. 2 BvE 8/11) auf die ihnen durch die Geschäftsordnung zur Verfügung gestellten Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe an der Entscheidungsfindung im Plenum verwiesen. Dort schlägt in Sachen Belastung des parlamentarischen Geschäftsganges das Rederecht des fraktionslosen Abgeordneten zu Buche: er darf zu allem etwas sagen.

Die Entscheidung liegt beim Landtag

Dieses Rederecht zu jedem Tagesordnungspunkt hat das Landtagspräsidium auch im Fall des nun fraktionslosen Abgeordneten Gedeon in einem Umfang von grundsätzlich jeweils 2 Minuten anerkannt. Es scheute aber – verständlicherweise – vor einer entsprechenden Regelung für die 14 Mitglieder der vom Landtagspräsidium aber nicht als solche anerkannte AfBW-Fraktion zurück. Diesen wurde stattdessen insgesamt 5 Minuten Redezeit analog der für Fraktionen geltenden Regelung zugestanden.

Das ist durchaus sachgerecht und entspricht auch den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben, wonach bei der Zuteilung von Redezeiten für fraktionslose Abgeordnete auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob er gleichgerichtete politische Ziele wie andere fraktionslose Mitglieder verfolgt und sich damit auch für diese äußert (Urt .v. 13.06.1989, Az. 2 BvE 1/88).

Gleichwohl überschreitet das Landtagspräsidium seine Kompetenzen, weil die AfBW-Fraktion nach der derzeit geltenden Geschäftsordnung und in Ermangelung eines Beschlusses des Landtages über eine entsprechende Abweichung Fraktionsstatus besitzt. Allein der Landtag kann darüber beschließen, wie er mit dem Zustand der doppelten AfD-Fraktion umgehen will.

Die Autorin Dr. Alexandra Bäcker ist tätig als selbständige Rechtsanwältin der Anwaltskanzlei Steffen & Dr. Bäcker, Hattingen. Sie war langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Dr. Alexandra Bäcker, Zwei AfD-Fraktionen in Baden-Württemberg: Warten auf den Landtag . In: Legal Tribune Online, 26.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20108/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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