Einige Abgeordnete der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag haben die Fraktion verlassen und die AfBW-Fraktion geschaffen. Alexandra Bäcker erläutert, warum das vorerst zulässig ist und wie dieser Zustand beendet werden kann.
Die ursprüngliche AfD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg ist im Streit um Antisemitismus-Vorwürfe gegen den Abgeordneten Wolfgang Gedeon zerbrochen. Bei einer Abstimmung über den Ausschluss Gedeons aus der Fraktion war die nach der Fraktionssatzung erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht zustande gekommen.
Daraufhin trat eine Mehrheit der Fraktionsmitglieder - der bisherige Fraktionsvorsitzende Meuthen und bis heute 13 weitere Abgeordnete - aus der ursprünglich 23 Mitglieder starken Fraktion aus und gründete die neue AfBW-Fraktion. Obwohl der Abgeordnete Gedeon zwischenzeitlich ebenfalls die Fraktion verließ, erscheint angesichts der bislang gescheiterten Schlichtungsversuche eine Wiedervereinigung der übrigen AfD-Mitglieder fraglich.
Landtagspräsidium will AfBW-Fraktion nicht anerkennen…
Das Landtagspräsidium erkennt laut entsprechender Pressemitteilung die AfBW-Fraktion bis zur rechtlichen Klärung der Zulässigkeit der Neugründung durch externe Gutachter nicht an und behandelt sie als Gruppe fraktionsloser Abgeordneter. Rechtlich ist das Präsidium dazu allerdings nicht befugt, denn Fraktionen werden nicht vom Landtag geschweige denn von einem seiner Gremien eingesetzt. Sie sind vielmehr unabhängige Gliederungen des Landtages, zu denen sich Mitglieder des Landtages in Ausübung ihres freien Mandats zur gemeinsamen Verfolgung politischer Ziele freiwillig zusammenschließen.
Die freie Entscheidung der Abgeordneten ist konstitutiv für die Fraktionsbildung, soweit der Zusammenschluss die in der Geschäftsordnung des Landtages verfassungskonform festgelegten Voraussetzungen der Fraktionsbildung erfüllt. Allein der Landtag - keinesfalls nur das Landtagspräsidium - kann kraft seiner in Art. 32 Abs. 1 S. 2 der Verfassung von Baden-Württemberg verbürgten Geschäftsordnungsautonomie selbst festlegen, welche Hürden für die Fraktionsbildung gelten.
Da solche Hürden das im freien Mandat verankerte Fraktionsbildungsrecht jedes Abgeordneten beschränken, sind sie allerdings rechtfertigungsbedürftig. Ein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund für die Festsetzung von Fraktionsbildungsvoraussetzungen liegt in der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Parlaments.
… obwohl derzeit alle rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind
Grundsätzlich zulässig und auch erforderlich ist es danach, eine Fraktionsmindeststärke festzulegen. Dies begegnet der Gefahr, dass die parlamentarische Arbeit durch eine Vielzahl von letztlich aussichtslosen Anträgen kleiner Gruppen oder Einzelner behindert wird. Üblicherweise wird darüber hinaus politische Homogenität im Sinne gleicher politischer Grundüberzeugungen der in der Fraktion zusammengeschlossenen Abgeordneten verlangt. Dies steht im Einklang mit den Funktionen, welche die Fraktionen erfüllen. Die politische Arbeitsgliederung in Fraktionen ist für die parlamentarische Demokratie gleichermaßen funktionsnotwendig wie die sachliche in Ausschüssen.
Mehrheiten zu finden ist unabdingbare Voraussetzung, um seine Ziele im Parlament zu verwirklichen. Die Diskussion und Abstimmung in der Fraktion macht aus dem Anliegen einzelner mehrheitsfähige Positionen. Die gleiche Parteizugehörigkeit bringt politische Homogenität in diesem Sinne besonders signifikant zum Ausdruck.
Die Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg beschränkt das Fraktionsbildungsrecht der Abgeordneten in § 17 Abs. 1 auch nur in diesem Umfang. Verlangt ist lediglich eine Mindestzahl von sechs Abgeordneten, deren politische Homogenität in der gleichen Parteizugehörigkeit Ausdruck findet. Das Fraktionsbildungsrecht ist nicht in der Weise eingeschränkt, dass Abgeordnete, die der gleichen Partei angehören, nur eine Fraktion bilden können. Die AfBW-Fraktion erfüllt damit nach geltendem Recht alle Voraussetzungen.
Darüber hinaus bedurfte es lediglich der in Ausübung des freien Mandats getroffenen freien Willensentscheidung der AfBW-Mitglieder, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen. Spätestens seit der Erfüllung der in § 17 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Landtages vorgesehenen Mitteilungspflichten (Bezeichnung der Fraktion, Namen des Vorsitzenden und der Mitglieder) gegenüber der Landtagspräsidentin hat die AfBW-Fraktion daher Fraktionsstatus im Landtag von Baden-Württemberg erlangt.
Landtag könnte diesen Zustand beenden
Ein originäres verfassungsrechtlich begründetes Verbot mehrerer Fraktionen bestehend aus Abgeordneten gleicher Parteizugehörigkeit in demselben Parlament lässt sich schwerlich begründen. Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes, nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 27 Abs. 3 Verfassung des Landes Baden-Württemberg). Die Befugnis des Abgeordneten, sich einer Fraktion anzuschließen, folgt nicht aus seiner Parteizugehörigkeit, sondern aus seiner Mandatsträgerschaft. Somit gehört auch die Mitarbeit in einer Fraktion nicht zu den Aufgaben des Abgeordneten als Parteimitglied, sondern zur Ausübung seines freien Mandats.
Die dem Abgeordneten gewährleistete Unabhängigkeit, auch von seiner Partei, spricht gegen einen solchen Wechselbezug von Fraktionsbildungsrecht und Parteizugehörigkeit.
Dem Landtag ist allerdings bei der Entscheidung darüber, welcher Regeln er zu seiner Selbstorganisation und zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bedarf, ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt.
Die Existenz mehrerer Fraktionen bestehend aus Abgeordneten gleicher Parteizugehörigkeit muss der Landtag nicht hinnehmen. Für die Funktionsfähigkeit des Parlamentes ist eine solche Fraktionsmehrung durchaus problematisch. Im Verhältnis zu den anderen Fraktionen erlangen diese Abgeordneten gleicher Parteizugehörigkeit nicht nur finanzielle Vorteile durch mehrfache Fraktionsfinanzierung. Sie kämen auch mehrfach in den Genuss der den Fraktionen im parlamentarischen Geschäftsgang eingeräumten Rechte (etwa bei der Besetzung und Einberufung des Präsidiums und von Ausschüssen).
2/2: Multiple Fraktionen begünstigen eine Partei
Einer solchen Verzerrung der Stärkeverhältnisse im Parlament kann der Landtag aus Gründen der Gleichheit aller Abgeordneten und der Fraktionen entgegenwirken. Dies sind tragfähige Gründe, die eine Einschränkung des Fraktionsbildungsrechts der Abgeordneten rechtfertigen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die Abgeordneten gleicher Parteizugehörigkeit mehrere Fraktionen gründen.
Eine entsprechende geschäftsordnungsrechtliche Regelung wäre verfassungsrechtlich zulässig und auch kein Novum (vgl. etwa § 14 Abs. 1 S. 2 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags). Solange die grundsätzliche Gleichgerichtetheit der politischen Grundüberzeugung und Ziele ihren formalen Ausdruck in derselben Parteimitgliedschaft findet, ist es eine berechtigte Erwartungshaltung, dass der Interessenausgleich zwischen diesen Abgeordneten innerhalb nur einer parlamentarischen Fraktion stattfindet.
Dass sich innerparteiliche Richtungsstreitigkeiten auch in der Fraktion fortsetzen, ist unabdingbar, aber eben auch genau so gewollt. Auf diese Weise werden die Fraktionen ihrer parlamentarischen Aufgabe gerecht, Ort der Koordination und des Abgleichs der Überzeugungen und Interessen zu sein, indem sie die teils homogenen, teils divergenten Ansichten ihrer Mitglieder auf der Grundlage der in der Parteimitgliedschaft zum Ausdruck kommenden inhaltlichen Gemeinsamkeiten bündeln und zu mehrheitsgetragenen Fraktionspositionen formen.
Ist dies nicht möglich - aus welchen Gründen auch immer -, erlaubt das freie Mandat jedem Abgeordneten, sich der Herrschaft seiner Fraktion zu entziehen, so auch dauerhaft durch seinen Austritt. Die Gründung mehrerer Fraktionen von Abgeordneten mit gleicher Parteizugehörigkeit kann das Parlament aufgrund der damit einhergehenden gleichheitswidrigen Vorteilsmehrung jedenfalls verhindern.
Was belastet mehr: Eine zweite Fraktion oder Arbeit als Fraktionslose?
Ob dies zur Wahrung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlaments erforderlich ist, obliegt der Beurteilung durch den Landtag. Er kann die Fraktionsbildungsvoraussetzungen durch eine Änderung der Geschäftsordnung in dem dafür vorgesehenen Verfahren entsprechend ergänzen oder eine Abweichung von der Geschäftsordnung beschließen. Er kann aber auch zu der Einschätzung gelangen, dass die mit einer Fraktionsmehrung einhergehenden innerparlamentarischen Wettbewerbsverzerrungen hinnehmbar sind.
Denn auch soweit die aus der AfD-Fraktion ausgetretenen Abgeordneten auf die Mitwirkung als fraktionslose Abgeordnete verwiesen werden, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtages. Zwar haben fraktionslose Abgeordnete kaum nennenswerten Einfluss auf die parlamentarische Arbeit. Insbesondere sind auch die finanziellen Vorteile der Fraktionszugehörigkeit nicht durch zusätzliche finanzielle Zuwendungen an fraktionslose Abgeordnete auszugleichen. Jedoch muss ein Nachteilsausgleich dadurch erfolgen, fraktionslosen Abgeordneten durch den Wissenschaftlichen Dienst in zumutbarem Rahmen juristischer Rat und Hilfestellung geleistet wird.
Fraktionslose Abgeordnete können zudem in zumindest einem Ausschuss mit Rede- und Antrags-, aber ohne Stimmrecht mitwirken. Darüber hinaus sind sie im Wesentlichen nach der – wenn auch nicht unumstrittenen, aber in der parlamentarischen Praxis angewandten – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 28.02.2012, Az. 2 BvE 8/11) auf die ihnen durch die Geschäftsordnung zur Verfügung gestellten Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe an der Entscheidungsfindung im Plenum verwiesen. Dort schlägt in Sachen Belastung des parlamentarischen Geschäftsganges das Rederecht des fraktionslosen Abgeordneten zu Buche: er darf zu allem etwas sagen.
Die Entscheidung liegt beim Landtag
Dieses Rederecht zu jedem Tagesordnungspunkt hat das Landtagspräsidium auch im Fall des nun fraktionslosen Abgeordneten Gedeon in einem Umfang von grundsätzlich jeweils 2 Minuten anerkannt. Es scheute aber – verständlicherweise – vor einer entsprechenden Regelung für die 14 Mitglieder der vom Landtagspräsidium aber nicht als solche anerkannte AfBW-Fraktion zurück. Diesen wurde stattdessen insgesamt 5 Minuten Redezeit analog der für Fraktionen geltenden Regelung zugestanden.
Das ist durchaus sachgerecht und entspricht auch den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben, wonach bei der Zuteilung von Redezeiten für fraktionslose Abgeordnete auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob er gleichgerichtete politische Ziele wie andere fraktionslose Mitglieder verfolgt und sich damit auch für diese äußert (Urt .v. 13.06.1989, Az. 2 BvE 1/88).
Gleichwohl überschreitet das Landtagspräsidium seine Kompetenzen, weil die AfBW-Fraktion nach der derzeit geltenden Geschäftsordnung und in Ermangelung eines Beschlusses des Landtages über eine entsprechende Abweichung Fraktionsstatus besitzt. Allein der Landtag kann darüber beschließen, wie er mit dem Zustand der doppelten AfD-Fraktion umgehen will.
Die Autorin Dr. Alexandra Bäcker ist tätig als selbständige Rechtsanwältin der Anwaltskanzlei Steffen & Dr. Bäcker, Hattingen. Sie war langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Dr. Alexandra Bäcker, Zwei AfD-Fraktionen in Baden-Württemberg: Warten auf den Landtag . In: Legal Tribune Online, 26.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20108/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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