Internationaler Tag der Jogginghose: Sta­tus­symbol oder Kon­troll­ver­lust?

von Martin Rath

22.01.2017

2/2: Jogginghose: Couture des urbanen Ghettos?

In Städten wie Köln, die sich durch ein vergleichsweise hohes Maß an Segregation auszeichnen, also an räumlicher Trennung von reicheren und ärmeren Bevölkerungsgruppen, lässt sich das Tragen von Jogginghosen in der Öffentlichkeit als Ausdrucksmittel des sozialen Status beobachten:

So finden sich ärmere Stadtquartiere, in denen Jogginghosen in der Öffentlichkeit wenn überhaupt nur bei oder auf dem Weg zu sportlichen Aktivitäten getragen werden, um den Anschein sozialen Abstiegs zu vermeiden. Im Gegensatz dazu gibt es reichere Viertel, in denen allein das Fehlen einer erkennbaren sportlichen Betätigungsabsicht nicht den widerlegbaren Verdacht begründet, auf dem Weg des sozialen Niedergangs zu sein.

Dem Bundesgerichtshof (BGH) ist es zu verdanken, dass auch Personen, die "nur mit einem Unterhemd und einer Jogginghose bekleidet sind" und damit "das Bild eines Proleten" vermitteln könnten, nicht zwangsläufig für die Couture des urbanen Ghettos stehen müssen.

So hatten in den Jahren 2006 und 2007 Landgericht (LG) und Oberlandesgericht (OLG) Hamburg einen Werbespot der TAZ beanstandet:

"Im ersten Teil des Werbespots ist vor einem als 'Trinkhalle' bezeichneten Zeitungskiosk ein mit dem Logo der BILD-Zeitung versehener, leerer Zeitungsständer zu sehen. Ein Kunde, der nur mit einem Unterhemd und einer Jogginghose bekleidet ist, fordert den Inhaber des Kiosks auf: 'Kalle, gib mal Zeitung', worauf dieser entgegnet: 'Is' aus'. Auf Nachfrage des Kunden: 'Wie aus?', schiebt der Kioskinhaber wortlos eine TAZ über den Tresen. Der Kunde reagiert hierauf mit den Worten: 'Wat is' dat denn? Mach mich nicht fertig, Du' und wirft die TAZ nach einem Blick in die Zeitung verärgert auf den Ladentisch. Der Kioskinhaber holt nun eine unter dem Tresen versteckte BILD-Zeitung hervor, die er dem Kunden gibt. Daraufhin brechen beide in Gelächter aus."

Der BGH mochte in seinem "Gib mal Zeitung"-Urteil vom 1. Oktober 2009 (Az. I ZR 134/07) den Hamburger Richtern nicht folgen, die darin eine Herabwürdigung der Bildzeitungs-Leser bzw. der Blatt-Macher erkannt hatten. Indem der Jogginghosen-Träger im zweiten Teil des Spots die Situation umkehrte und einmal spaßhaft "Kalle, gib mal Taz" verlangte, zeige sich der Witz dieser vermeintlich unbedarften Menschen.

Masse der wirklich haltlosen Hosen-Träger

In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle ist die Jogginghose allerdings nicht Objekt makabrer Sozialrechts- oder witziger Wettbewerbssachen, sondern Gegenstand von Strafverfahren.

Dies geht vom Jogginghosen-Diebstahl, der durch das Beisichführen einer Haushaltsschere mit zwölf Zentimetern Klingenlänge zum schweren Diebstahl, § 244 Abs. 1 Nr. 1a Strafgesetzbuch (StGB) mutiert (AG Kassel, Urt. v. 12.06.2015, Az. 1610 Js 17234/14) über das Problem, bei Gegenständen, die von einer Jogginghose bedeckt sind, nicht erkennen zu können, ob es sich um eine Schusswaffe handelt (BGH, Beschl. v. 14.02.1992, 2 StR 28/92) bis hin zu einer ganzen Anzahl ziemlich widerlicher Sexualdelikte – begangen von oder an Jogginghosen-Trägerinnen und -Trägern (zum Beispiel BGH Urt. v. 07.01.2016, Az. 2 StR 100/15), wobei nicht selten die relative Leichtigkeit des Entkleidens eine Rolle spielt.

Jogginghose als Verlust an Ambivalenz

Bei Letzterem bleibt nichts mehr von der positiven Seite dieses funktionalen Textils. Hier darf man sich an den wohl berühmtesten deutschen Jogginghosen-Träger erinnert fühlen, Harald Ewert (1954–2006): Das Bild des arbeitslosen Baumaschinisten, der 1992 beim Pogrom in Rostock-Lichtenhagen den Hitlergruß zeigte, ging um die Welt – nicht zuletzt wegen seiner im Schritt eingenässten Jogginghose.

Wenn allerdings die baden-württembergische Justiz eine Strafvollzugsanstalt dazu verpflichtete (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.03.2005, 1 Ws 368/04), einem Gefangenen zwei Jogginghosen zurückzugeben, die ihm bei der Haftraumkontrolle entzogen worden waren, dann weiß man nicht recht, ob dies für oder gegen den wohl einzigen Satz eines Schneiderei-Meisters geht, der als justiztauglicher Erfahrungssatz gelten könnte:

"Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren", sprach Karl Lagerfeld in der Sendung "Markus Lanz" vom 19. April 2012. Man könnte ja auch sagen: Erst, wenn auch noch diese verlorengeht, ist es soweit.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Autor in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Internationaler Tag der Jogginghose: Statussymbol oder Kontrollverlust? . In: Legal Tribune Online, 22.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21847/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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