Gerichtsjournalismus: Die Justizseifenoper

von Martin Rath

02.02.2014

2/2: Hauptmann von Köpenick ohne Rühmann/Juhnke-Kitsch

Ein ähnlicher Effekt geht von Schwinges Erzählung des Falls Friedrich Wilhelm Voigt (1849-1922) aus, bekannt als Hauptmann von Köpenick. Carl Zuckmayers Theaterstück von 1931 und die Verfilmungen mit Heinz Rühmann (1956) und Harald Juhnke (1997) haben den Fall von der menschlichen Seite bekannt gemacht: Ein als preußischer Hauptmann verkleideter ehemaliger Zuchthaus-Sträfling stellt einen Trupp Soldaten unter sein Kommando und nimmt mit Hilfe der naiven Befehlsempfänger die Stadtkasse von Cöpenick (damals bei Berlin) in Beschlag. Auch als Gegenstand der juristischen Didaktik wird der Fall gelegentlich wieder aufgegriffen (PDF).

Jacta/Schwinge erzählt, anders als die Dramatisierungen, vom anschließenden Strafprozess und würdigt beispielsweise die Vorstrafen, die Voigt vor der "Köpenickiade" abgesessen hatte. Mit 14 Jahren war Voigt erstmals wegen Bettelei für 14 Tage in Haft gekommen – nicht unwichtig hier der Hinweis auf die damals mit zwölf Jahren beginnende relative Strafmündigkeit. Bemerkenswert auch, dass Schwinge eine 15-jährige Zuchthausstrafe aus dem Vorstrafenregister des späteren "Hauptmanns" für schuldunangemessen und – trotz der engen Revisionsvoraussetzungen des Reichsgerichts – revisibel erklärt. Das erwartet man nicht von einem, gelinde gesagt, sehr konservativen Strafrechtsgelehrten.

Schwinge, ein nicht unumstrittener Strafrechtsprofessor

Denn als Strafrechtsprofessor in Marburg war Erich Schwinge umstritten. Konservative Juristen halten ihm zugute, dass er in der NS-Zeit gegen den Irrationalismus der "Kieler Schule" (PDF) gestritten habe. Weniger konservative vertreten die Ansicht, dass Schwinge als führender Kommentator des Militärstrafrechts und als Angehöriger der Militärgerichtsbarkeit reichlich Blut an den Händen habe. Als streitbarer Vertreter seiner persönlichen Ehre sowie als Strafverteidiger von Angehörigen der Waffen-SS und anderer Wehrmachtsverbände spielte er zudem lange nach dem Krieg noch eine geschichtspolitische Rolle bei der Beantwortung der Frage, wo beim Wort "Wehrmachts-Justiz" die distanzierenden Anführungszeichen zu setzen seien.

Als Erzähler von teils sehr gängigen Justiz-Geschichten – beispielsweise des "Hauptmanns von Köpenick", aber auch der Fälle Al Capone oder Oscar Wilde – ist sein Werk von unbestreitbarem Wert: Man schaue auf die kleinen Abweichungen vom heutigen historischen Kenntnisstand in der jeweiligen Rechtssache und auf die mitunter schon größeren Abweichungen in der moralischen Bewertung, denn: "Der große Kunstgriff, kleine Abweichungen von der Wahrheit für die Wahrheit selbst zu halten, worauf die ganze Differential-Rechnung gebaut ist, ist auch zugleich der Grund unsrer witzigen Gedanken, wo oft das Ganze hinfallen würde, wenn wir die Abweichungen in einer philosophischen Strenge nehmen würden." (Georg Christoph Lichtenberg)

Tipp: Wegen der hohen Auflagen in den 1960er-/1970er-Jahren sind die Justizgeschichten von "Maximilian Jacta" regelmäßig im gutsortierten Antiquariat verfügbar. Ein Teilnachdruck erschien in den 2000er-Jahren.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Gerichtsjournalismus: Die Justizseifenoper . In: Legal Tribune Online, 02.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10838/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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