"Der Erfolg wird an den Examensergebnissen gemessen"
LTO: Frau von Troschke, jeder zweifelt mal an sich. Was ist der Unterschied zwischen "normalen" Selbstzweifeln und dem Imposter-Syndrom?
Anna von Troschke: Wer an sich zweifelt, hat das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Wer unter dem Imposter-Phänomen leidet, glaubt, trotz objektiver Qualifikation, nur durch Betrug oder Zufall etwas erreicht zu haben. Man erklärt sich seinen Erfolg nicht durch persönliche Leistung, sondern anhand äußerer Einflüsse. Der Unterschied zu normalen Selbstzweifeln liegt also in der betrügerischen Komponente. Das Imposter-Phänomen ist quasi verkürzt gesagt Selbstzweifel + § 263 StGB.
Zum Beispiel sagt man sich, eine gute Examensnote beruhe nicht auf eigenem Wissen, sondern die Klausur sei vertauscht worden, der Prüfer habe Mitleid gehabt oder es sei Zufall gewesen, dass ein bekanntes BGH-Urteil geprüft wurde. Im Job findet man ähnliche Erklärungen. Man könne eine Position nur bekommen haben, weil es keine Mitbewerber gegeben habe oder das Unternehmen die Frauenquote erfüllen müsse.
Misserfolge hingegen erklärt man sich nicht durch äußere Einflüsse, sondern durch mangelnde persönliche Leistung.
Sie sprechen vom Imposter-Phänomen, nicht vom Syndrom. Weshalb?
Das Wort Syndrom ist unpassend. Es suggeriert, dass es sich dabei um eine medizinische, psychologische oder psychische Erkrankung handelt. Das ist beim Hochstapler-Phänomen aber nicht der Fall. Es ist keine anerkannte Krankheit, sondern eine Verschiebung von Selbst- und Fremdwahrnehmung mit der Folge einer Selbstsabotage.
Von Überkompensation bis Prokrastination
In welchen Situationen tritt das Imposter-Phänomen auf?
Meistens gibt es Trigger, wie neue Situationen außerhalb der Komfortzone oder berufliche Veränderungen. Meine Klienten befinden sich oft im Berufseinstieg oder einer Beförderungssituation. Aber auch anstehende Vorträge können beispielsweise Imposter-Gefühle auslösen.
Und wie äußert sich das dann?
Das ist sehr individuell. Einerseits kann das Imposter-Phänomen zu einer Überkompensation führen. Betroffene bereiten sich dann übermäßig auf die anstehende Situation vor, was den Stress über das normale Maß hinaus steigert. Oder das Gegenteil tritt ein, Betroffene verfallen in Schockstarre, es kommt zu negativem Aufschiebeverhalten und Prokrastination.
Ein anderes typisches Verhaltensmuster ist das "Unter-dem-Radar-Fliegen". Betroffene, denen sämtliche beruflichen Türen offenstehen, bewerben sich beispielsweise nicht, weil sie Angst haben, irgendwann aufzufliegen.
Im Extremfall kann das Imposter-Phänomen sogar zu chronischem Stress, Angststörungen und Depressionen bis hin zum Burn-Out führen.
"Die Note bleibt, egal, wie seniorig man ist"
Woher kommt dieses Gefühl, nicht gut genug zu sein?
Beim Imposter-Phänomen treffen oft mehrere Faktoren aufeinander: ein kritisches Umfeld, in dem kaum gelobt wird, eine kompetitive Umgebung, Perfektionismus und der Vergleich mit anderen.
Oft betrifft es Menschen, die in der Schule gut waren, denen viel zugeflogen ist. Dann merken sie im Studium aber zum ersten Mal, dass sie nicht mehr der oder die beste sind.
Das klingt so, als wären Juristen da besonders gefährdet.
Ja. In der juristischen Uni- und Arbeitswelt vereinen sich alle diese Faktoren. Im Studium ist es schwer, gute Noten zu bekommen und der Vergleich mit Mitstudierenden ist enorm. Das hat eine Studie des Bundesverbandes der Fachschaften jüngst bestätigt.
Außerdem bleibt die Note für viele ein Thema, egal, wie seniorig man ist. Der Erfolg wird an den Examensergebnisse gemessen. Gerade, wenn man gut abgeschnitten hat, kommen Imposter-Gefühle auf, da man sich trotz objektiver Qualifikation einredet, dass dieses Ergebnis nur Glück war.
"Das Imposter-Phänomen kann ein echter Karrierekiller sein"
Die Imposter-Gefühle verschwinden also nicht mit einem bestimmten Abschluss oder beruflichen Erfolg?
Genau, das ist ein Irrglaube. Viele hoffen, dass sie diese Gefühle hinter sich lassen, wenn sie einen Ausbildungsabschnitt abgeschlossen oder ein Ziel erreicht haben, etwa eine Promotion oder eine Beförderung. Das stimmt aber nicht, denn Gefühle lösen sich nicht einfach in Luft auf. Oftmals fühlen sich die Personen sogar mit Erreichen des Ziels noch mehr unter Druck gesetzt, da sie auch diesen Erfolg externen Faktoren und Glück zuschreiben.
Wie wirkt sich das auf Leistung und Karriere aus?
Das Imposter-Phänomen kann ein echter Karrierekiller sein. Manche Juristen schlagen Beförderungen aus oder bewerben sich schon gar nicht auf Stellen, weil sie vermeintlich zu schlecht sind. Auch Gehaltsverhandlungen sind eine Herausforderung. Menschen, die unter dem Imposter-Gefühl leiden, trauen sich nicht, nach Gehaltserhöhungen zu fragen, weil sie nach ihrer Wahrnehmung sowieso schon überbezahlt sind.
Das Imposter-Phänomen hat aber auch wirtschaftliche Folgen für Kanzleien oder Unternehmen. Die Produktivität der Mitarbeitenden sinkt durch Sorgen und Ängste, die damit einhergehen.
"Imposter wird man nicht völlig los, man kann aber lernen, damit umzugehen"
Wie wird man das Imposter-Phänomen los?
Dass man das Gefühl vollständig loswird, ist unrealistisch. Man kann aber lernen, damit umzugehen. Es geht auch darum, Trigger-Situationen zu erkennen.
Welche Tipps und Strategien gibt für Betroffene, um einen besseren Umgang zu finden?
Ich empfehle hierfür vier Punkte: Awareness, Austausch, Fokus auf Erfolge und professionelle Unterstützung.
In einem ersten Schritt muss man das Gefühl erkennen und sich selbst bewusstwerden, dass man so empfindet.
Danach ist es hilfreich, offen über seine Gefühle zu sprechen und sich mit anderen auszutauschen. Die Teilnehmer meiner Trainings sind oft überrascht, dass sie nicht allein dastehen. Schätzungsweise 70 Prozent der Menschen haben in ihrem Leben übrigens mindestens einmal das Gefühl, ein Hochstapler zu sein.
Daneben muss man aber auch lernen, sich auf seine eigenen Erfolge zu fokussieren. Es geht darum, die Annahme, dass der Erfolg nur Zufall war, zu widerlegen. Man muss überlegen, was man selbst dazu beigetragen hat, um erkennen zu können, dass eben nicht alles nur Glück war. So viel Glück kann ein Mensch gar nicht haben.
Wenn man dann aber merkt, dass der Leidensdruck noch immer sehr groß ist, sollte man sich professionelle Unterstützung holen.
"Sich Hilfe zu suchen, ist ein Zeichen von Stärke"
Wann ist diese Schwelle überschritten?
Man muss ehrlich zu sich selbst sein und feststellen, wie intensiv die Hochstapler-Gefühle einen betreffen und einschränken. Je nach Ausprägung kann ein Mentoring oder Coaching helfen. Wenn der Leidensdruck aber sehr hoch ist, reicht das nicht aus.
Wenn das Imposter-Phänomen schon dazu geführt hat, dass sich andere Krankheiten wie Depressionen entwickeln, sollten sich Betroffene dringend therapeutische oder psychologische Hilfe suchen. Wichtig ist es auch, dass man das nicht als Schwäche sieht. Hilfe zu suchen und anzunehmen ist immer ein Zeichen von Stärke.
Viele glauben ja, dass man nicht mehr verbeamtet werden kann, wenn man eine Psychotherapie gemacht hat.
Ja, das stimmt aber nicht. Im Grundsatz schließt therapeutische Unterstützung die Verbeamtung und eine Karriere in der Justiz nicht aus. Über die Verbeamtung entscheiden Amtsärzte im Einzelfall. Nur in Ausnahmefällen können sehr schwere psychische Erkrankungen entgegenstehen.
"Weg von reiner Kritik hin zu einer unterstützenden Fehlerkultur"
Nicht nur die Betroffenen selbst können etwas dagegen unternehmen. Auch Führungskräfte und Kanzleien sollten sie dabei unterstützen. Was können Arbeitgebende tun, um das Imposter-Phänomen bei ihren Mitarbeitenden zu erkennen und zu adressieren?
Auch hier gilt wieder Awareness. Führungskräfte sollten anerkennen, dass es das Imposter-Phänomen gibt und offen darüber kommunizieren. Wenn sie selbst davon betroffen sind, hilft es, das mitzuteilen. Wenn sich der Partner oder Mentor öffnet, entsteht ein Austausch mit Associates oder Mentees, den es sonst nicht geben würde. Oft ist das nicht leicht, aber auch richtig führen können, muss gelernt werden. Gerade, wenn emotionale Themen in den Vordergrund treten. Hierfür eignen sich Führungsseminare für angehende Partner.
Vorträge und Coachings zum Imposter-Phänomen dienen dazu, Führungskräfte hierfür zu sensibilisieren. Kanzleien hinken da leider noch hinterher.
Ganz wichtig ist aber auch das Thema Feedback, weg von reiner Kritik hin zu einer unterstützenden Fehlerkultur. Arbeitgeber sollten ihren Mitarbeitern konstruktive Kritik vermitteln, also auch Lösungsansätze aufzeigen oder diese gemeinsam entwickeln, anstatt sie mit der Kritik allein zu lassen. Auch sollten Führungskräfte im Blick haben, ob das Arbeitsumfeld so kompetitiv wird, dass das Hochstapler-Phänomen getriggert wird. Beispielsweise, indem sie darauf achten, Teamleistungen stärker zu betonen und individuelle Erfolge in den Kontext der gesamten Teamarbeit zu stellen. Denn das hemmt Mitarbeitende und kann zu einem Leistungsabfall führen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Das Imposter-Phänomen muss als weit verbreitetes Phänomen akzeptiert werden. Eine Stigmatisierung der Betroffenen als schwach wäre falsch und Vorurteile müssen aus der Welt geschaffen werden. Es sollte mehr ins Bewusstsein gerückt werden.
Ich wünsche mir aber auch, dass sorgfältig mit der Thematik umgegangen und der Begriff nicht inflationär und für normale Selbstzweifel benutzt wird. Gerade dafür ist Aufklärung über das Imposter-Phänomen so wichtig.
Vielen Dank für das Gespräch!
Anna von Troschke ist ehemalige Rechtsanwältin und Inhouse-Anwältin, zertifizierter Business Coach für Juristinnen und Juristen und Rethinking Imposter Syndrome Coach. Sie unterstützt Juristinnen und Juristen im Studium und Berufsleben.
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