Die juristische Presseschau vom 25. bis 27. Januar 2014: Verwaltungsrichter für neues Ausweisungsrecht – Extremismus-Klausel soll weg – Überforderte Polizei

27.01.2014

Justiz

BGH-Präsident warnt vor Kollaps: Auf einem Presseempfang beim Bundesgerichtshof hat dessen scheidender Präsident Klaus Tolksdorf eine dramatische Überlastung der Zivilsenate beklagt: Die Geschäftszahlen stiegen in beängstigendem Maße auf über 1.000 Akten mehr pro Jahr. Auslöser sei eine Änderung der Zivilprozessordnung, erläutert die Samstags-FAZ (Joachim Jahn), wonach Verlierer eines Zivilprozesses auch dann Beschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen könnten, wenn ihnen ein Oberlandesgericht per Beschluss die offensichtliche Ausweglosigkeit ihres Anliegens bescheinigt hätte. Weiter beklage Tolksdorf die "Desavouierung" der Rechtsprechung der Strafsenate durch die Diskussionen um die Beförderung Thomas Fischers sowie um das sogenannte Vier-Augen-Prinzip.

Rechtsmediziner kritisieren Familiengerichte: Wie der Focus knapp meldet, kritisierten Rechtsmediziner deutsche Familiengerichte und deren Richter in Fällen möglicher Kindesmisshandlung: Häufig wechselnde Richter und die Überschätzung ihrer Kompetenzen schadeten der Aufklärung. Sibylle Banaschak, Rechtsmedizinerin und Vorstand des Berufsverbandes Deutscher Rechtsmediziner, meint, es fehlten psychologische und rechtsmedizinische Kenntnisse; auch die Behörden müssten verstärkt tätig werden.

Im Spiegel findet sich ein Essay der Rechtsmedizinerin und Autorin Constanze Niess zum Thema besserer Schutz für misshandelte Kinder.

LG Hamburg zu Mosley-Bildern: Das Landgericht Hamburg hat am vergangen Freitag entschieden, dass sechs heimlich aufgenommene Bilder einer privaten Sex-Party des Ex-Motorsportbosses Max Mosley nicht mehr in den Suchergebnissen bei Google auftauchen dürfen. Die Samstagsausgabe der Badischen Zeitung (Christian Rath) berichtet. Die Bilder zeigten Mosley bei sexuellen Handlungen. Google habe zwar wiederholt auf konkrete Aufforderungen Mosleys bestimmte Websites mit den Fotos aus den Suchergebnisses herausgenommen, eine generelle Filterung aller Seiten mit den Bildern habe Google abgelehnt, man wollte nicht zur "Zensurmaschine" werden und technisch sei dies ohnehin schwer umsetzbar.

lto.de erläutert ausführlich die Hintergründe des Falles – laut Landgericht "juristisches Neuland". IT-Rechtler sähen in der Heranziehung des Prinzips der Störerhaftung einen "Sündenfall", der freie Informationsaustausch gerate in Gefahr. Es berichtet auch zeit.de.

Thomas Heuzeroth (Samstags-Welt) sieht die Entscheidung juristisch auf "dünnem Eis". Zunächst müssten gewichtige offene Frage geklärt werden, wie etwa ob die Vorgabe nur für Bilder oder auch Worte gelten. Thomas Stadler (internet-law.de) schreibt, es gäbe allenfalls einen Löschungsanspruch, aber nur schwerlich einen in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch gegen Google und verweist auf eine Stellungnahme eines Generalanwaltes am Europäischen Gerichtshof zur Frage der eingeschränkte Verantwortlichkeit von Internetdienstanbietern nach den Grundsätzen der E-Commerce-Richtlinie.

Mit dem Spiegel (Susanne Amann/Isabell Hülsen, Zusammenfassung) spricht Max Mosley ausführlich über seinen gerichtlichen Erfolg gegen Google in Deutschland und Frankreich, warum er nicht in den USA oder Großbritannien geklagt habe und warum er überhaupt gegen Google vorgeht: Das Wesen der Suchmaschine sei es, aus Kleinem, das niemand finden würde, Großes zu machen. Weiter geht es um die moralische (Un)Reife Googles, welche Gerichtsentscheidungen Google künftig umsetzen solle, die Abgrenzung des Privatsphäre-Schutzes von Zensur oder Terror-Abwehr, welchen Nutzen Mosley Siegs für andere hat und welche (persönlichen) Kosten für ihn damit verbunden waren. Sein nächster Schritt werde eine Klage gegen die Autovervollständigen-Funktion der Google-Suche sein, Mosley beruft sich dabei auf den Fall Bettina Wulff. Zur angekündigten Berufung Googles im aktuellen Fall meint Mosley, er gehe zur Not bis zum Bundesgerichtshof.

LG München – Bayern LB: Ab dem heutigen Montag müssen sich sieben Ex-Vorstände der BayernLB vor dem Landgericht München wegen Untreue und Bestechung im Zusammenhang mit dem Kauf der österreichischen Hypo Group Alpe Adria-Bank verantworten. Laut einer Meldung des Spiegel wollen einige Beschuldigte den Vorwurf der Staatsanwaltschaft angreifen, der Bank-Vorstand habe damals den Verwaltungsrat mit einer "frisierten Tischvorlage" arglistig getäuscht, um die Zustimmung zum Kauf zu erlangen. Dass der Verwaltungsrat - besetzt unter anderem mit "CSU-Granden" - getäuscht worden sei, sei auch Grund für die Staatsanwaltschaft, diesen bei der Anklage außen vor zu lassen.

BVerwG zu Atom-Moratorium: Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Begründung zum Urteil zur Stilllegung des Atomkraftwerkes Biblis durch das hessische Umweltministerium nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima (Japan) im Jahr 2011 vorgelegt. Laut Samstags-FAZ (Joachim Jahn) hätte vor dem Moratorium eine Anhörung der betroffenen Energiekonzerne stattfinden müssen. Zwar vollzögen die Länder das Atomgesetz im Auftrag des Bundes, müssten aber nach außen eigenständig handeln. Eine Anhörung werde nicht durch Statements der Bundeskanzlerin oder Reaktionsmöglichkeit der Unternehmen auf Presseberichte ersetzt. Offen gelassen seien in der Urteilsbegründung indes inhaltliche Fragen, etwa zum "Ermessensausfall" mit Blick auf die Überprüfung der Sicherheit der Kernkraftwerke.

LG Duisburg – Loveparade: Dem im Februar beginnenden Prozess vor dem Landgericht Duisburg zur Loveparade-Katastrophe mit 21 Todesopfern im Jahr 2010 widmet der Spiegel (S. Becker, Zusammenfassung) einen mehrseitigen Hintergrundbericht. Die Staatsanwaltschaft werde voraussichtlich zehn Personen anklagen, vier von der Organisatorin "Lopavent" sowie sechs aus der Duisburger Baubehörde. Laut Spiegel sitzen damit die "Dummen" auf der Anklagebank, die "Schlauen" würden fehlen, darunter der Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland, Rainer Scheller, Lopavent und McFit-Chef, sowie der Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe. In einem der "größten Todesermittlungsverfahren der deutschen Justizgeschichte" habe sich die Staatsanwaltschaft auf das Gutachten eines britischen Forschers gestützt, wonach der entscheidende Zeitpunkt für die Katastrophe die Genehmigung der Veranstaltung sei. Eine Anklage des polizeilichen Einsatzleiters am Tag der Katastrophe sei eher unwahrscheinlich. Der Spiegel zeichnet den Entscheidungsprozess im Rathaus, der Ordnungsbehörde sowie der Baubehörde detailliert nach. Dazu auch spiegel.de.

Selbstjustiz vor LG Frankfurt: Über den "Akt von Selbstjustiz" vor dem Frankfurter Landgericht am vergangenen Freitag, bei dem zwei Männer durch einen Dritten erschossen wurde, berichtet ausführlich die Samstags-FAZ (Katharina Iskandar/ Denise Peikert). Der Schütze habe möglicherweise einen Angriff auf seinen Bruder und seinen Neffen im Jahr 2007 rächen wollen. Die beiden Toten waren wegen des Angriffs, bei welchem der Bruder ums Leben kam, in erster Instanz freigesprochen worden. Vergangene Woche habe das Revisionsverfahren begonnen, möglicherweise wurde ein erneuter Freispruch befürchtet. Dazu auch spiegel.de.

GBA ermittelt wegen Kriegsverbrechen: Wie der Spiegel meldet, ermittelt der deutsche Generalbundesanwalt wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im syrischen Bürgerkrieg gegen Unbekannt. Das sogenannte Strukturverfahren solle Beweise für mögliche Strafverfahren in Deutschland, im Ausland oder vor internationalen Gerichten sichern.

BVG verliert 204-Millionen-Dollar Wette: Die Montags-taz berichtet mit mehreren Beiträgen über eine verlorene Finanzwetter der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit einer Tochter der Investmentbank JPMorgan. Laut taz (Sebastian Heiser) wäre die Wette auf Unternehmenspleiten im besten Fall mit 7,8 Millionen US-Dollar Gewinn für die BVG ausgegangen, im  – eingetretenen – schlechtesten Fall lag der Verlust bei 204 Millionen US-Dollar. In London habe der Prozess der BVG gegen die Bank begonnen, welche diese unter anderem mit dem Hinweis auf eine Pflichtverletzung der Bank zur umfassenden Beratung abwenden wolle. Der Bank sei wohl auch klar gewesen, dass die BVG – eigenen Aussagen nach – den Deal nicht einmal verstanden habe. Separat schildert die taz-Berlin (Sebastian Heiser), welche Rolle dabei Anwälte der Wirtschaftskanzlei Clifford Chance spielten. Das Londoner Gericht müsse auch über eine etwaige Schadensersatzpflicht der beauftragten Anwälte befinden, die Kanzlei sei ebenfalls verklagt worden. Diese war von der BVG mit einer rechtlichen Beurteilung der Wette beauftragt worden, habe in Wirklichkeit aber für JPMorgan gearbeitet, so die taz. Dazu werden separat"Das Protokoll einer Abzocke" – noch Zitate von Clifford Chance, BVG und JPMorgan geliefert.

Anwälte, die mit Anzeigen drohen: Anlässlich eines Editorials des Geschäftsführers der Anwaltskammer Köln, Martin W. Huff, in der Neuen Juristischen Wochenschrift erinnert Heribert Prantl (Samstags-SZ, Titelseite) an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem vergangenen Dezember. Ein Anwalt war wegen versuchter Nötigung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, nachdem er für einen "Gewinnspieleintragungsdienst" Mahnschreiben entwarf, die sein Mandant tausendfach versendete. Darin war neben einer Zahlungsaufforderung die Drohung mit einer Strafanzeige enthalten. Das Handeln des Anwaltes habe der Bundesgerichtshof als verwerflich eingestuft, da juristischen Laien mit der "Autorität eines Organs der Rechtspflege" gedroht worden sei, bei ihnen sei der falsche Eindruck entstanden, die zivilrechtlichen Forderungen seien hinreichend geprüft worden. Anwalt und Mandant hätten vorab ausgemacht, dass keine Anzeigen gestellt wurden. Ob ersterem klar war, dass er für einen Betrüger tätig sei, wurde nicht festgestellt. Das Editorial sehe die Karlsruher Entscheidung nun als "sehr bedenklich" an: Die Drohung mit einer Strafanzeige - wenn es keine falsche Verdächtigung sei - sei nicht per se verwerflich. Dazu ebenfalls ausführlich Bernd von Heintschel-Heinegg (BeckBlog.de).

LG Dessau – Tod von Ulf Möller: Eine eindringliche Gerichtsreportage findet sich in der Montags-SZ (Karin Steinberger) über den Fall des im Januar 2012 auf einem Rastplatz überfallenen und totgeprügelten Ulf Möller. Angeklagt vor dem Landgericht Dessau seien fünf Litauer, deren zehn Pflichtverteidiger den seit einem Jahr andauernde Prozess immer wieder durch Anträge behinderten. Die Familie des inzwischen Verstorbenen erhoffte sich eine Erklärung, die Angeklagten lieferten diese indes nicht.

Hoeneß-Whistleblower: Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tagesspiegel) findet, der "Hoeneß-Whistleblower", also der Finanzbeamte, der den Steuer-Fall des FC Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß "an die Presse durchgestochen hat", habe keineswegs das Vertrauen in die Behörden beschädigt. Vielmehr müsse der "amtliche Ungehorsam" hier als Dienst an der Allgemeinheit gesehen werden.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. bis 27. Januar 2014: Verwaltungsrichter für neues Ausweisungsrecht – Extremismus-Klausel soll weg – Überforderte Polizei . In: Legal Tribune Online, 27.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10782/ (abgerufen am: 02.05.2024 )

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