Arbeitszeiten in Kanzleien: Uner­reich­bare Stun­den­vor­gaben?

von Bernfried Rose

06.06.2017

2/2 Kaffee, Klo & Co. – die Zeitfresser im Kanzleialltag

Damit nicht genug. Bis Legal Tech endlich künstliche Intelligenz in unsere Kanzlei bringt, muss die Rechtsberatung bei uns durch menschliche Anwälte erbracht werden. Die kommen morgens ins Büro, müssen ihren PC hochfahren, erstmal ihre Notdurft verrichten und sich dann in der Küche einen Kaffee holen. Auf dem Weg dorthin begrüßen sie ihre Kollegen und erörtern vielleicht noch, ob der HSV in diesem Jahr endlich absteigt.

Später ruft dann noch mitten am (Arbeits-)Tag der Ehegatte an und belästigt den Anwalt mit privater Familien-Orga. Ich habe sogar schon Anwälte gesehen, die einige Minuten verträumt aus dem Fenster geguckt haben, weil sie an dem Tag nicht so glücklich oder besonders glücklich waren.

Nichts von diesen menschlichen bzw. sozialen Zeitfressern können wir unseren Mandanten in Rechnung stellen. Selbst bei einem introvertierten Jura-Nerd aus dem Back-Office sinken die Billable Hours so schnell auf unter 1.500 im Jahr.

Straftäter in Anwaltsroben?

Zu guter Letzt sind wir noch so verrückt, gelegentlich „Geschenke“ an die Mandantschaft zu verteilen. Da fallen Stunden unter den Tisch, weil man den Aufwand gegenüber dem Mandanten zu niedrig eingeschätzt hat, weil man sich doch einmal über Gebühr in ein Thema einlesen musste oder weil die wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten oder die Gebote der Fairness es schlicht so erfordern. Und irgendwann bleibt halt fast nichts mehr übrig von den Billable Hours.

Was uns jedoch bleibt ist folgende Erkenntnis: Selbst mit Anwälten, die präzise und anspruchslos wie Maschinen arbeiten, würden wir es nicht schaffen, in eine Größenordnung von 2.000 abrechenbaren Stunden zu stoßen. Dazu müssten wir vermutlich sowohl unsere Mandanten betrügen – indem wir ihnen Arbeit in Rechnung stellen, die strenggenommen nicht abrechenbar ist – als auch so beharrlich gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen, dass wir verantwortlichen Partner uns strafbar machen würden.

Wie die Großkanzleien das dennoch hinbekommen, obwohl für sie doch die gleichen Spielregeln gelten sollten, bleibt mir ein Rätsel.

Bernfried Rose ist namensgebender Partner der mittelständischen, auf Wirtschaftsrecht spezialisierten Kanzlei Rose & Partner in Hamburg.

Zitiervorschlag

Bernfried Rose, Arbeitszeiten in Kanzleien: Unerreichbare Stundenvorgaben? . In: Legal Tribune Online, 06.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23109/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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