Entwurf zur Reform des Sexualstrafrechts: Es bleibt alles anders

von Prof. Dr. Monika Frommel

17.03.2016

2/2: Körperliche Gegenwehr spätestens seit 1997 nicht erforderlich

Dazu ein kleiner historischer Exkurs: Seit den 1970er Jahren gehört der Slogan "Nein heißt nein" zu den grundlegenden Forderungen der internationalen Frauenbewegung. Daher  forderten die Grünen bereits 1986 im Antidiskriminierungsgesetz, jede sexuelle Handlung "gegen den Willen" als Vergewaltigung zu strafen. Dass sie sich damit nicht durchsetzen würden, war ihnen damals klar. Vergessen haben sie leider, die asymmetrische Lage von Kindern und Jugendlichen angemessen zu berücksichtigen, um deren Schutz vor "sexueller Fremdbestimmung" stärker zu betonen. Schon eine Formulierung, wie sie mittlerweile in der 2015 neu gefassten Jugendschutzbestimmung zu finden ist (§ 182 StGB – das Schutzalter beträgt 18 Jahre), hätte die später ruchbar gewordenen Pädophilie-Vorwürfe in ihre Richtung wohl gemildert.

Im Jahr 2016 hingegen wirken Forderungen, die das Sexualstrafrecht verschärfen wollen, weil angeblich "die Gerichte" – oder gar "das Gesetz" – verlangen würden, dass Frauen sich körperlich wehren, absurd. Einen solchen Gewaltbegriff gab es nie – von vereinzelten Mindermeinungen, die es in der Jurisprudenz und Rechtswissenschaft immer gibt, einmal abgesehen. Eine entsprechende Auffassung wäre jedoch spätestens seit 1997 überholt gewesen. In jenem Jahr nämlich setzte sich nach über einem Jahrzehnt engagierter Frauenpolitik ein veränderter Gewaltbegriff im Sexualstrafrecht durch, welcher bewusst weiter ist als der des Raubes.

Wider besseres Wissen wird nun behauptet, das geltende Sexualstrafrecht verlange, dass sich eine Frau körperlich wehre. Das ist jedenfalls seit 1997 sicher falsch, wurde aber auch schon zuvor bestritten (etwa im Kurzkommentar von Karl Lackner vor dem Bearbeiterwechsel). Nun wird behauptet, das gescheiterte Antidiskriminierungsgesetz der Grünen ("gegen den Willen") sei in der Sache richtig und zum damaligen Zeitpunkt lediglich nicht durchsetzbar gewesen. Tatsächlich waren sich aber alle an der Reform 1997 Beteiligten darüber im Klaren, dass rein subjektive Merkmale, die auf den Willen des mutmaßlichen Opfers abstellen, objektiviert werden müssen, weil die Bejahung oder Verneinung von Vorsatz seitens des Beschuldigten andernfalls rein willkürlich erfolgen müsste. Deshalb erweiterte man 1997 (in § 177 I Nr. 3 StGB) den Begriff der sexuellen Nötigung über das deskriptive Merkmal "einer Lage", in der das Opfer dem Täter "schutzlos ausgeliefert" sei. Nutzt der Täter diese Lage, die er kennen muss, aus, dann nötigt er vorsätzlich.

Die Rochade des Gesetzgebers

Der nun vom Kabinett beschlossene Reformentwurf greift zu einer interessanten Technik. Durchschauen kann diese nur, wer die beiden extremen Enden des Meinungsspektrums kennt – einerseits also die sehr hohen Strafbarkeitshürden, die Thomas Fischer in seinem Kurzkommentar fordert, andererseits den Vorschlag einer noch weiter gehenden Neuregelung durch Tatjana Hörnle (Leipziger Kommentar). Der Referentenentwurf umschifft nun beide Extreme und vertraut offenbar darauf, dass die Praxis diese Rochade versteht und die alten Grundsätze bei der Ausnutzungsvariante vorsichtig – Fehlurteile vermeidend – in das neue System überträgt.

Mit der Verortung des Problems in einem neu gefassten § 179 StGB-E umgeht der Entwurf die kontroversen Streitstände. Es kommt aber auch zu anderen Zuständigkeiten. Denn nun sind die Oberlandesgerichte zuständig für Revisionen, weil der Missbrauchstatbestand ein Vergehenstatbestand ist (mit einer bemerkenswert hohen Mindeststrafe), den die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht anklagen kann (flexible Zuständigkeiten). Dort ist ein Neuanfang möglich. Verlangt wird wohl, dass die ausgenutzte Lage so gravierend war, dass der Beschuldigte einen klaren Vorsatz haben musste, die Furcht des Opfers also offenkundig war und ein Übel für den Fall einer Weigerung sozusagen im Raum stand. Die medial geweckten Erwartungen ("nein heißt nein") werden – zum Glück – unerfüllbar sein. In schwierigen Grenzfällen ist zudem auch unter Juristen weiterer Streit garantiert.

Prof. Dr. Monika Frommel war 1988 bis 1992 Professorin für Rechtsphilosophie und Strafrecht in Frankfurt und war von 1992 bis 2011 Direktorin des Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie der CAU zu Kiel. Sie ist Autorin von Aufsätzen und Kommentierungen zum Sexualstrafrecht.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Monika Frommel, Entwurf zur Reform des Sexualstrafrechts: Es bleibt alles anders . In: Legal Tribune Online, 17.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18812/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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