Nach Dieselgate: Braucht Deut­sch­land die Sam­mel­klage?

von Robert Peres

27.05.2016

2/2: Die Angst vor "amerikanischen Verhältnissen"

Im November 2015 lehnte der Bundestag den Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ab. Die SPD stimmte zwar im Kern zwar dessen Grundzielen zu, ging aber von einem zu großen Missbrauchspotential aus. Insbesondere spezialisierte Großkanzleien würden die Gruppenklage zu ihrem Hauptgeschäftsfeld machen.

Dieses Argument hört man im Zusammenhang mit Sammelklagen immer wieder, gern umschrieben mit dem ebenso plastischen wie diffusen "bloß keine 'amerikanischen Verhältnisse'"! Dabei denkt man wohl an die in den USA tätige Klageindustrie, aufgrund derer  Unternehmen angesichts tausender gebündelter Klagen schnell zu teuren Vergleichen bereit sind.

Das passiert auch deutschen Firmen, die in diesem Markt tätig sind. Boehringer Ingelheim musste einem Vergleich über 470 Millionen Euro Schadensersatz zustimmen, weil US-Kläger deren Schlaganfallmittel Pradaxa für zum Teil tödliche Blutungen verantwortlich machten. Das Unternehmen ließ daraufhin mitteilen, dass man mit der Zahlung keineswegs eine irgendwie geartete Schuld anerkenne. Man habe dem Vergleich lediglich zugestimmt, um einem langwierigen Prozess aus dem Weg zu gehen.

Der feine Unterschied zwischen Deutschland und Amerika

Tatsächlich ist es die Regel in Amerika, dass Anwälte an Class-actions mehr verdienen als ihre Mandanten. Bei einem klassischen Fall klagte eine amerikanische Anwaltskanzlei etwa 16 Dollar pro Kläger dafür ein, dass die diagonale Abmessung von gekauften Computerbildschirmen wenige Millimeter geringer war als im Prospekt angegeben. Die Anwälte strichen ein Millionenhonorar ein.

Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass Unternehmen in den USA wesentlich mehr Angst vor einer späteren Entschädigungspflicht haben müssen als hierzulande. Dort gibt es sogar noch die sog. "punitive damages", den Strafschadensersatz. Dabei kann das Gericht eine verdreifachte Schadenssumme bestimmen, wenn der Schädiger absichtlich oder aus niederen Motiven gehandelt hat.

In Deutschland ist man davon weit entfernt. Und das sollte auch so bleiben. Nach dem in Deutschland  herrschenden Vorsorgeprinzip mischt sich der Staat bereits im Vorfeld mittels Marktzulassungskriterien und Prüfungsprozessen stärker in die Produkt- und Dienstleistungserbringung ein. Für ein nachträgliches Korrektiv mittels gerichtlicher Überprüfung ist daher weniger Raum. Was aber passiert, wenn die Marktzulassungsbarrieren nicht funktionieren oder, wie im Fall von VW, betrügerisch umgangen werden?

Workaround auf niederländisch

VW-Geschädigte versuchen sich anders zu behelfen. Sie haben bereits vielfach Einzelklagen sowohl gegen Volkswagen als auch gegen Händler angestrengt,  erst Anfang der Woche wurde die erste stattgebende Entscheidung des LG München I bekannt. Dazu kommen die Anlegerklagen nach dem KapMuG-Verfahren, die aber nach aller Erfahrung viele Jahre in Anspruch nehmen.

Eine interessante und kreative Lösung haben sich die beratenden Rechtsanwälte der „Stichting Volkswagen Investor Claims“ ausgedacht. Das Modell basiert auf niederländischem Recht und führt geschädigte Anleger über ein Stiftungskonstrukt zusammen, die dann als Gruppe einen Vergleich mit Volkswagen anstreben können.

Dieser Lösung können sich Anleger aus ganz Europa anschließen. Bisher hat Volkswagen allerdings alle Verantwortung für die Verluste der Aktionäre abgestritten und Verhandlungen abgelehnt. Dabei wäre eine kollektive Lösung gerade im Interesse der Wolfsburger, denn damit hat man nicht nur das Problem vom Tisch, sondern gewinnt auch in den Augen der Öffentlichkeit wieder an Statur.

Vielleicht kommt die Sammelklage in Deutschland ja doch noch. Es gibt in der CDU/CSU Fraktion durchaus Stimmen, die eine solche Möglichkeit befürworten. Das wäre allerdings erst in einer neuen Koalition möglich, denn das gegenwärtige Regierungsbündnis sieht hier keinen Regelungsbedarf. Zu wünschen wäre es, denn mit einer Sammelklage lässt sich mehr Gerechtigkeit erzielen und Unternehmen wären vorsichtiger im Umgang mit ihren Kunden und Anlegern. Wenn man die aus den USA bekannten Exzesse vermeidet und eine für alle Beteiligten faire Regelung findet.

Der Autor Robert Peres ist Rechtsanwalt  in Wiesbaden.

Zitiervorschlag

Robert Peres, Nach Dieselgate: Braucht Deutschland die Sammelklage? . In: Legal Tribune Online, 27.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19480/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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