Haftung bei Skiunfällen: Eine Frage der Eigenverantwortung?

von Prof. Dr. Peter W. Heermann

08.01.2014

2/2: Pistensicherungspflicht im Einzelfall auch für Gefahren abseits der Piste

Anders als die Bezeichnung Pistensicherungspflicht vermuten lässt, hat der BGH in der bereits erwähnten Entscheidung aber angedeutet, dass die Verkehrssicherungspflicht des Pistenbetreibers unter bestimmten Umständen auch auf Gefahren abseits der Piste auszudehnen ist.

Der konkrete Fall betraf nicht gewalzte, jeweils vier bis sechs Meter breite Lifttrassen mit Tiefschnee, durch die die präparierte Übungsskipiste gleichsam eingerahmt wurde. Diese Tiefschneestreifen waren von Skiläufern befahren worden, die ganz bewusst die nicht gewalzte Piste hatten benutzen wollen, um entweder ihre Fahrkünste im Tiefschnee zu üben oder um die Lifttrasse zu überqueren.

Unter diesen besonderen Umständen erreichte der Randstreifen nach Auffassung des BGH im Ergebnis eine "pistenähnliche Beschaffenheit", zumal die gewalzte Übungspiste und die beiden Lifttrassen tatsächlich unmittelbar ineinander übergegangen waren. Deshalb nahm das Gericht seinerzeit hinsichtlich der als Übungshang deutlich ausgewiesenen Abfahrt eine erweiterte, auch den angrenzenden Tiefschneebereich erfassende Pistensicherungspflicht an.

Auswirkungen auf die Pistensicherungspflicht im Fall Schumacher

Zum Unfall von Michael Schumacher sind abschließende rechtliche Bewertungen auf Basis der vorangehenden Erwägungen weder möglich noch gewollt. Folgende Anmerkungen mögen die komplexe Rechtsproblematik andeuten:

Zunächst wäre aufgrund der Regelungen des internationalen Privatrechts vermutlich das französische Recht zur Bestimmung der Pistensicherungspflicht heranzuziehen. Zudem sind viele möglicherweise entscheidungsrelevante Fakten des konkreten Falles noch nicht oder nicht vollständig bekannt. So kommt es etwa darauf an, ob die Skipisten hinreichend mit Abgrenzungsmarkierungen versehen und der felsige Tiefschneebereich, wo sich der Unfall ereignete, für Skifahrer am Unfalltag ohne weiteres erkennbar war. Auf den im Internet kursierenden Fotos ist er das zwar – aber diese stellen weder denselben Zeitpunkt, noch dieselbe Perspektive dar wie jene, die sich Schumacher geboten haben wird. Sollte der Bereich allerdings auch für ihn klar erkennbar gewesen sein, würde dies gegen das Vorliegen einer atypischen oder verdeckten Gefahr sprechen.

Ebenfalls wird es eine Rolle spielen, ob die Gefahrstelle durch entsprechende Hinweistafeln in angemessener Weise angekündigt wurde, oder ob insbesondere zum Unfallzeitpunkt etwa Skispuren in diesem Tiefschneebereich den Eindruck vermittelten, es würde sich insoweit um eine Erweiterung der angrenzenden, präparierten Skipisten handeln. Letzteres erscheint insofern vorstellbar, als in der Presse zu lesen ist, dass der Bereich häufiger von Skifahrern durchfahren wird. Dies könnte für eine erweiterte Pistensicherungspflicht sprechen, wobei zu klären wäre, ob nach französischem Recht eine solche überhaupt angenommen werden kann. Schließlich sind auch der Zweck und die Geschwindigkeit, mit denen Schumacher sich abseits der präparierten Piste bewegte, für die Frage eines etwaigen Mitverschuldens von Bedeutung.

Doch diese Erwägungen sind nicht nur mangels umfassender Faktenkenntnis notwendig unvollständig, sondern gegenüber dem Wunsch nach guter Genesung für Michael Schumacher auch vollkommen nachrangig. Andere Wintersportler sollten sich jedenfalls nicht darauf verlassen, dass bestehende Verkehrssicherungspflichten seitens der Pistenbetreiber stets beachtet werden. Und selbst in einem solchen Fall kann niemals eine absolute Verkehrssicherheit auf der Skipiste oder im angrenzenden Gelände gewährleistet werden. Im Zweifel ist man mit einer eigenverantwortlichen und vorsichtigen Fahrweise sehr viel besser beraten als mit einer riskanten, denn viele Unfallschäden kann keine Rechtsordnung der Welt wieder gutmachen.

Der Autor Professor Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Univ. of Wisconsin) ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung und Sportrecht an der Universität Bayreuth. Er ist Verfasser zahlreicher Aufsätze und Bücher zum Wirtschafts- und Sportrecht (u.a. "Haftung im Sport", 2008)

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Peter W. Heermann, Haftung bei Skiunfällen: Eine Frage der Eigenverantwortung? . In: Legal Tribune Online, 08.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10590/ (abgerufen am: 08.05.2024 )

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