Nach seinem Skiunfall in den französischen Alpen schwebt Michael Schumacher noch immer in Lebensgefahr. Er war in einen Tiefschneebereich mit zahlreichen am Boden liegenden Felsen zwischen zwei Pisten eingefahren, wo es dann zu dem tragischen Sturz kam. Inwieweit müssen Betreiber von Skipisten solchen oder ähnlichen Gefahren entgegenwirken? Einen Überblick über die Rechtslage liefert Peter W. Heermann.
Während Michael Schumacher sich noch im künstlichen Koma befindet, hat die zuständige französische Staatsanwaltschaft bereits damit begonnen, Videoaufnahmen vom Unfallhergang auszuwerten. Die entsprechenden Erkenntnisse werden nicht nur für die Ankläger von besonderem Interesse sein, sondern insbesondere auch für die mit der Schadensregulierung befassten Versicherungen.
Eine Klage ist, so weit bekannt, bisher nicht anhängig, doch der Pistenbetreiber hat sich bereits der Dienste von Maurice Bodecher versichert, eines Spezialisten im Ski- und Strafrecht und bis 2010 Chef-Jurist des Französischen Skiverbandes. Umgekehrt hat der Anwalt Edouard Bourgin gegenüber der französischen Zeitung Le Figaro erklärt, er sehe einen Haftungsfall auf Grund mangelnder Kennzeichnung des Unfallgebietes als gegeben an.
Grundsätzlich ist damit die Frage nach dem Bestehen von Verkehrssicherungspflichten auf und abseits von Skipisten angesprochen. Dafür kommt es zunächst darauf an, ob für das betreffende Skigebiet nationale Regelungen bestehen – wie etwa in den Richtlinien für Anlage, Betrieb und Unterhalt von Schneesportabfahrten der Schweizerischen Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten. Indes kommt der Einhaltung derartiger Richtlinien nur eine Indizwirkung bei der Konkretisierung der Pistensicherungspflicht zu. Die Rechtsprechung ist also nicht gehindert, unter Umständen noch strengere Maßstäbe zugrunde zu legen. Andererseits darf natürlich das eigenverantwortliche Handeln eines alpinen Skifahrers nicht vernachlässigt werden.
Eigenverantwortung alpiner Skiläufer
Dieses wird in der zweiten Verhaltensregel des Internationalen Skiverbandes (FIS) folgendermaßen formuliert: "Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise. Jeder Skifahrer und Snowboarder muss auf Sicht fahren. Er muss seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen."
Darüber hinaus kann ein Skifahrer nach überzeugender Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht davon ausgehen, dass die Rechtspflichten des Pistenbetreibers darauf gerichtet sind, für eine absolute Verkehrssicherheit auf der Piste zu sorgen. Stattdessen steht bei der Ausübung des Skisports grundsätzlich die Eigenverantwortung des einzelnen Skiläufers im Vordergrund (BGH, Urt. v. 23.10.1984, Az. VI ZR 85/83). Er hat selbst zu entscheiden und dafür einzustehen, welche mit der Ausübung des Skisports typischerweise verbundenen Risiken er auf sich nehmen will. Dies gilt etwa für Geländeschwierigkeiten durch eisige oder schneefreie Stellen, Schwungbuckel und Mulden, Schwierigkeiten der Wegeführung, Veränderungen der Schneebeschaffenheit und der Wetterlage. Entsprechendes ist für Gefahrenstellen anzunehmen, die für einen Skiläufer rechtzeitig erkennbar sind und auf die er seine Fahrweise einstellen kann.
Pistensicherungspflicht grundsätzlich nur bei schwer erkennbaren Gefahren
Für den Umfang der Pistensicherungspflicht sind hierzulande immer noch Feststellungen des BGH aus dem vorstehend benannten Urteil von 1984 maßgeblich, die auch Eingang in die schweizerische und österreichische Judikatur gefunden haben. Es entspreche – auch in den Alpenländern – der vorherrschenden Ansicht, dass die Pistensicherungspflicht nicht überspannt werden dürfe. Eine vollkommene Verkehrssicherheit sei für Pistenbetreiber unerreichbar. Unter angemessener Berücksichtigung der Eigenverantwortung alpiner Skiläufer erstreckt sich die Verantwortung des verkehrssicherungspflichtigen Pistenbetreibers somit in erster Linie auf verdeckte und atypische Gefahren.
Als atypische Gefahr ist nach Auffassung des BGH eine solche anzusehen, mit der im Hinblick auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch ein verantwortungsbewusster Skiläufer nicht rechnet, die also nicht "pistenkonform"ist. Hierzu sollen beispielsweise tiefe Löcher, Betonsockel, Abbrüche oder Steilflanken am Randbereich der Piste und dergleichen zählen.
2/2: Pistensicherungspflicht im Einzelfall auch für Gefahren abseits der Piste
Anders als die Bezeichnung Pistensicherungspflicht vermuten lässt, hat der BGH in der bereits erwähnten Entscheidung aber angedeutet, dass die Verkehrssicherungspflicht des Pistenbetreibers unter bestimmten Umständen auch auf Gefahren abseits der Piste auszudehnen ist.
Der konkrete Fall betraf nicht gewalzte, jeweils vier bis sechs Meter breite Lifttrassen mit Tiefschnee, durch die die präparierte Übungsskipiste gleichsam eingerahmt wurde. Diese Tiefschneestreifen waren von Skiläufern befahren worden, die ganz bewusst die nicht gewalzte Piste hatten benutzen wollen, um entweder ihre Fahrkünste im Tiefschnee zu üben oder um die Lifttrasse zu überqueren.
Unter diesen besonderen Umständen erreichte der Randstreifen nach Auffassung des BGH im Ergebnis eine "pistenähnliche Beschaffenheit", zumal die gewalzte Übungspiste und die beiden Lifttrassen tatsächlich unmittelbar ineinander übergegangen waren. Deshalb nahm das Gericht seinerzeit hinsichtlich der als Übungshang deutlich ausgewiesenen Abfahrt eine erweiterte, auch den angrenzenden Tiefschneebereich erfassende Pistensicherungspflicht an.
Auswirkungen auf die Pistensicherungspflicht im Fall Schumacher
Zum Unfall von Michael Schumacher sind abschließende rechtliche Bewertungen auf Basis der vorangehenden Erwägungen weder möglich noch gewollt. Folgende Anmerkungen mögen die komplexe Rechtsproblematik andeuten:
Zunächst wäre aufgrund der Regelungen des internationalen Privatrechts vermutlich das französische Recht zur Bestimmung der Pistensicherungspflicht heranzuziehen. Zudem sind viele möglicherweise entscheidungsrelevante Fakten des konkreten Falles noch nicht oder nicht vollständig bekannt. So kommt es etwa darauf an, ob die Skipisten hinreichend mit Abgrenzungsmarkierungen versehen und der felsige Tiefschneebereich, wo sich der Unfall ereignete, für Skifahrer am Unfalltag ohne weiteres erkennbar war. Auf den im Internet kursierenden Fotos ist er das zwar – aber diese stellen weder denselben Zeitpunkt, noch dieselbe Perspektive dar wie jene, die sich Schumacher geboten haben wird. Sollte der Bereich allerdings auch für ihn klar erkennbar gewesen sein, würde dies gegen das Vorliegen einer atypischen oder verdeckten Gefahr sprechen.
Ebenfalls wird es eine Rolle spielen, ob die Gefahrstelle durch entsprechende Hinweistafeln in angemessener Weise angekündigt wurde, oder ob insbesondere zum Unfallzeitpunkt etwa Skispuren in diesem Tiefschneebereich den Eindruck vermittelten, es würde sich insoweit um eine Erweiterung der angrenzenden, präparierten Skipisten handeln. Letzteres erscheint insofern vorstellbar, als in der Presse zu lesen ist, dass der Bereich häufiger von Skifahrern durchfahren wird. Dies könnte für eine erweiterte Pistensicherungspflicht sprechen, wobei zu klären wäre, ob nach französischem Recht eine solche überhaupt angenommen werden kann. Schließlich sind auch der Zweck und die Geschwindigkeit, mit denen Schumacher sich abseits der präparierten Piste bewegte, für die Frage eines etwaigen Mitverschuldens von Bedeutung.
Doch diese Erwägungen sind nicht nur mangels umfassender Faktenkenntnis notwendig unvollständig, sondern gegenüber dem Wunsch nach guter Genesung für Michael Schumacher auch vollkommen nachrangig. Andere Wintersportler sollten sich jedenfalls nicht darauf verlassen, dass bestehende Verkehrssicherungspflichten seitens der Pistenbetreiber stets beachtet werden. Und selbst in einem solchen Fall kann niemals eine absolute Verkehrssicherheit auf der Skipiste oder im angrenzenden Gelände gewährleistet werden. Im Zweifel ist man mit einer eigenverantwortlichen und vorsichtigen Fahrweise sehr viel besser beraten als mit einer riskanten, denn viele Unfallschäden kann keine Rechtsordnung der Welt wieder gutmachen.
Der Autor Professor Dr. Peter W. Heermann, LL.M. (Univ. of Wisconsin) ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung und Sportrecht an der Universität Bayreuth. Er ist Verfasser zahlreicher Aufsätze und Bücher zum Wirtschafts- und Sportrecht (u.a. "Haftung im Sport", 2008)
Prof. Dr. Peter W. Heermann, Haftung bei Skiunfällen: Eine Frage der Eigenverantwortung? . In: Legal Tribune Online, 08.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10590/ (abgerufen am: 05.12.2023 )
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