Haftung bei Skiunfällen: Eine Frage der Eigenverantwortung?

von Prof. Dr. Peter W. Heermann

08.01.2014

Nach seinem Skiunfall in den französischen Alpen schwebt Michael Schumacher noch immer in Lebensgefahr. Er war in einen Tiefschneebereich mit zahlreichen am Boden liegenden Felsen zwischen zwei Pisten eingefahren, wo es dann zu dem tragischen Sturz kam. Inwieweit müssen Betreiber von Skipisten solchen oder ähnlichen Gefahren entgegenwirken? Einen Überblick über die Rechtslage liefert Peter W. Heermann.

Während Michael Schumacher sich noch im künstlichen Koma befindet, hat die zuständige französische Staatsanwaltschaft bereits damit begonnen, Videoaufnahmen vom Unfallhergang auszuwerten. Die entsprechenden Erkenntnisse werden nicht nur für die Ankläger von besonderem Interesse sein, sondern insbesondere auch für die mit der Schadensregulierung befassten Versicherungen.

Eine Klage ist, so weit bekannt, bisher nicht anhängig, doch der Pistenbetreiber hat sich bereits der Dienste von Maurice Bodecher versichert, eines Spezialisten im Ski- und Strafrecht und bis 2010 Chef-Jurist des Französischen Skiverbandes. Umgekehrt hat der Anwalt Edouard Bourgin gegenüber der französischen Zeitung Le Figaro erklärt, er sehe einen Haftungsfall auf Grund mangelnder Kennzeichnung des Unfallgebietes als gegeben an.

Grundsätzlich ist damit die Frage nach dem Bestehen von Verkehrssicherungspflichten auf und abseits von Skipisten angesprochen. Dafür kommt es zunächst darauf an, ob für das betreffende Skigebiet nationale Regelungen bestehen – wie etwa in den Richtlinien für Anlage, Betrieb und Unterhalt von Schneesportabfahrten der Schweizerischen Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten. Indes kommt der Einhaltung derartiger Richtlinien nur eine Indizwirkung bei der Konkretisierung der Pistensicherungspflicht zu. Die Rechtsprechung ist also nicht gehindert, unter Umständen noch strengere Maßstäbe zugrunde zu legen. Andererseits darf natürlich das eigenverantwortliche Handeln eines alpinen Skifahrers nicht vernachlässigt werden.

Eigenverantwortung alpiner Skiläufer

Dieses wird in der zweiten Verhaltensregel des Internationalen Skiverbandes (FIS) folgendermaßen formuliert: "Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise. Jeder Skifahrer und Snowboarder muss auf Sicht fahren. Er muss seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen."

Darüber hinaus kann ein Skifahrer nach überzeugender Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht davon ausgehen, dass die Rechtspflichten des Pistenbetreibers darauf gerichtet sind, für eine absolute Verkehrssicherheit auf der Piste zu sorgen. Stattdessen steht bei der Ausübung des Skisports grundsätzlich die Eigenverantwortung des einzelnen Skiläufers im Vordergrund (BGH, Urt. v. 23.10.1984, Az. VI ZR 85/83). Er hat selbst zu entscheiden und dafür einzustehen, welche mit der Ausübung des Skisports typischerweise verbundenen Risiken er auf sich nehmen will. Dies gilt etwa für Geländeschwierigkeiten durch eisige oder schneefreie Stellen, Schwungbuckel und Mulden, Schwierigkeiten der Wegeführung, Veränderungen der Schneebeschaffenheit und der Wetterlage. Entsprechendes ist für Gefahrenstellen anzunehmen, die für einen Skiläufer rechtzeitig erkennbar sind und auf die er seine Fahrweise einstellen kann.

Pistensicherungspflicht grundsätzlich nur bei schwer erkennbaren Gefahren

Für den Umfang der Pistensicherungspflicht sind hierzulande immer noch Feststellungen des BGH aus dem vorstehend benannten Urteil von 1984 maßgeblich, die auch Eingang in die schweizerische und österreichische Judikatur gefunden haben. Es entspreche – auch in den Alpenländern – der vorherrschenden Ansicht, dass die Pistensicherungspflicht nicht überspannt werden dürfe. Eine vollkommene Verkehrssicherheit sei für Pistenbetreiber unerreichbar. Unter angemessener Berücksichtigung der Eigenverantwortung alpiner Skiläufer erstreckt sich die Verantwortung des verkehrssicherungspflichtigen Pistenbetreibers somit in erster Linie auf verdeckte und atypische Gefahren.

Als atypische Gefahr ist nach Auffassung des BGH eine solche anzusehen, mit der im Hinblick auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch ein verantwortungsbewusster Skiläufer nicht rechnet, die also nicht "pistenkonform"ist. Hierzu sollen beispielsweise tiefe Löcher, Betonsockel, Abbrüche oder Steilflanken am Randbereich der Piste und dergleichen zählen.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Peter W. Heermann, Haftung bei Skiunfällen: Eine Frage der Eigenverantwortung? . In: Legal Tribune Online, 08.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10590/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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