Anwalt ohne Mandantin im NSU-Prozess: Pro­vi­sion für ein Phantom

von Pia Lorenz

05.10.2015

2/2: "Üblicherweise sofort dem Generalstaatsanwalt übergeben"

Zuständig für strafrechtliche Ermittlungen gegen den in Köln ansässigen Attila Ö. wie auch den Anwalt Ralph Willms wären eigentlich die Staatsanwaltschaften in Köln oder Aachen. Vielleicht könnte der Generalstaatsanwalt in Köln aber sehr schnell noch unter einem anderen Aspekt mit der Sache befasst werden.

Martin W. Huff, Pressesprecher und Geschäftsführer der Kölner Rechtsanwaltskammer (RAK), welcher der Bezirk Eschweiler angehört, sagte gegenüber LTO: "In Verfahren mit schwerwiegenden berufsrechtlichen Vorwürfen ist es üblich, dass die Akten gleich an die Generalstaatsanwaltschaft am OLG Köln übersandt werden". Damit meint der Kammergeschäftsführer, der weitgehend zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, auch eine tatsächlich eindeutige Sachlage.

So eindeutig wie im Fall von Ralph Willms, der selbst eingeräumt hat,  eine Provision für die Vermittlung des Mandats im NSU-Verfahren angenommen zu haben. Diese Vereinbarung verstößt, egal, unter welchen Umständen sie zustande gekommen ist, gegen § 49b Abs. 3 S. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung. Die Vorschrift verbietet es Anwälten,  einen Teil ihrer Gebühren oder sonstige Vorteile für die Vermittlung von Aufträgen abzugeben oder entgegen zu nehmen.

Beim Verdacht auf einen berufsrechtlichen Verstoß, der Ermittlungen bedarf, reichen die Möglichkeiten einer RAK im Regelfall nicht aus. Die örtlich zuständigen Selbstverwaltungsorganisationen verfügen nicht über Ermittlungsteams oder Task Forces. "Nur die Generalstaatsanwaltschaft kann eigene Ermittlungen anstellen und den betroffenen Anwalt gegebenenfalls auch beim Anwaltsgericht anschuldigen", erklärt Huff. 

"Das Anwaltsgericht kann von einer Missbilligung bis zu einem Entzug der Zulassung entsprechende Sanktionen aussprechen", erklärt Huff.  Dazwischen ist viel Spielraum, häufig greifen die Anwaltsgerichte zuerst zu milderen Mitteln wie einem Verweis oder einem Bußgeld. Die Anwaltskammer Köln jedenfalls, die mit der Sache befasst ist, habe "das Erforderliche veranlasst." Mehr darf er als Geschäftsführer dazu nicht sagen.

Straftatbestände: im Reich der Spekulation

Der Kölner Generalstaatsanwalt könnte und müsste von Amts wegen ermitteln, wenn er einen Anfangsverdacht für eine Strafbarkeit des Anwalts sähe. Einen Straftatbestand erfüllt die bloße Zahlung einer Provision, auch wenn sie gegen geltendes anwaltliches Berufsrecht verstößt, aber nicht zwangsläufig.

Die Gebührenüberhebung nach § 352 Strafgesetzbuch ist ein betrugsähnlicher Tatbestand, der andere gebührenrechtliche Fälle erfasst als die Zahlung einer Provision. In Betracht kämen möglicherweise Bestechlichkeitsdelikte, wozu aber die Mandatierung von Willms und seine Provisionszahlung in einem Zusammenhang hätten stehen müssen, auf den sich auch ein eventueller Vorsatz beziehen müsste. Das bewegt sich im Reich der Spekulation. 

Der Generalstaatsanwalt könnte aber auf die Idee verfallen, einen Anfangsverdacht auf einen Prozessbetrug zu prüfen – wenn Willms zum Beispiel von Beginn an gewusst haben sollte, dass es die Nebenklägerin gar nicht gibt. Schließlich hat der Anwalt an ihrer Vertretung möglicherweise bislang nicht schlecht verdient. 

Auf Kosten der Staatskasse

Mit der Beiordnung hat die Kosten eines Nebenklägervertreters grundsätzlich der Angeklagte, zunächst also die Staatskasse zu tragen. Fällig werden diese zwar erst nach Abschluss des Verfahrens. Andrea Titz, Pressesprecherin des OLG München, sagte gegenüber LTO, sie habe keine konkrete Kenntnis von der Beiordnung von Willms im Prozess gegen Beate Zschäpe u.a., doch "wenn sich ein Verfahren so lang hinzieht, kann das über Vorschüsse abgerechnet werden."

Tatsächlich werden in aller Regel bei größeren Verfahren in mehr oder weniger regelmäßigen Intervallen Vorschüsse abgerechnet. Für die Verteidiger und Nebenklagevertreter würden sich derart zeitintensive Mandate, bei denen ein Verhandlungstag regelmäßig schon ohne An- und Abreisezeiten einen ganzen Arbeitstage kostet, sonst gar nicht lohnen, könnten gar ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten nach sich ziehen, wenn über Monate oder gar Jahre kein Geld rein käme. Wenn Willms jetzt aus dem Verfahren ausscheidet, muss damit auch die Abrechnung stattfinden.

Bezahlt werden die Strafrechtler maßgeblich nach Verhandlungstagen. Davon gab  es im NSU-Prozess bisher 233, erst seit der vergangenen Woche gehen Beobachter von Indizien dafür aus, dass der Prozess im Frühjahr 2016 abgeschlossen werden könnte. Nicht bekannt ist, an wie vielen Verhandlungstagen Nebenklage-Vertreter Willms teilgenommen hat.  Vermutlich waren es bei der Vielzahl der Anschläge, welche der NSU begangen haben soll, nicht allzu viele, da der Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht ja nur eines der Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße vertrat.

Pro Verhandlungstag hätte er eine Termingebühr  verdient, regelmäßig sicherlich mit Zuschlag, , weil die Verhandlungen länger dauerten als fünf, möglicherweise an manchen Tagen auch als acht Stunden.* Der ehemalige OLG-Richter Detleff Burhoff geht davon aus, dass es sich um ca. 100.000 Euro handeln, der Betrag aber auch viel niedriger sein könnte.

Muss Willms Vorschüsse zurückzahlen?

Ob er bereits erhaltene Vorschüsse zurückzahlen müsste, hängt laut Burhoff davon ab, ob er wusste oder grob fahrlässig nicht wusste, dass es seine Mandantin nicht gibt. Dann könnte die Staatskasse nach Einschätzung des Gebührenexperten die gezahlten Vorschüsse zurückfordern.

Hätte Willms bei Antragstellung wissen können und müssen, dass es seine Mandantin nicht gab? Für Burhoff ist der Fall bisher einzigartig, auch der Kölner Kammergeschäftsführer Huff fragt sich, ob ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, sich zu vergewissern, ob es seinen Mandanten gibt.

Es soll ein gefälschtes ärztliches Attest geben, das bis auf den Namen der Geschädigten identisch mit einem weiteren, ebenfalls im Prozess vorgelegten, sein soll. Sie sind dem Gericht ebenso wenig aufgefallen wie Ralph Willms. Normalerweise haben Anwälte keine Anhaltspunkte dafür, die Existenz ihrer Mandanten zu überprüfen, auch wenn es Fälle gibt, in denen man diese nie trifft. Regelmäßig gibt es aber Korrespondenz. Anwälte unterrichten ihre Mandanten, man spricht miteinander, informiert sich gegenseitig, gerade in so langwierigen Verfahren. Nicht zuletzt wäre Meral K. ja als Nebenklägerin auch Opferzeugin gewesen.

Die Korrespondenz mit Meral K. sollte über Attila Ö. laufen, heißt es.  "Besondere Auffälligkeiten" habe es für Willms laut der Erklärung seiner Verteidiger, ebenso wenig wie für den OLG-Senat, der das Attest in Augenschein genommen habe, nicht gegeben. Meral K. ist zweimal nicht zum Prozess erschienen. Willms hat das einmal mit einem verpassten Flug, einmal mit einem Zusammenbruch erklärt.

Mit Materialien von dpa

*Anm. d. Red.: Satz geändert am 6. Oktober 2016, 10:23 Uhr nach dem Hinweis von Gebühren-Experte Detlef Burhoff, dass das RVG hier noch in seiner alten Fassung gilt. 

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Anwalt ohne Mandantin im NSU-Prozess: Provision für ein Phantom . In: Legal Tribune Online, 05.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17106/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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