NS-Belastung des BMJ: "Stolze Rosenburger"

Interview mit Prof. Dr. Christoph Safferling

13.05.2013

Eine Gruppe aus Juristen und Historikern erforscht derzeit die personellen Kontinuitäten im BMJ beim Übergang vom Dritten Reich zur Bundesrepublik. Der Strafrechtler Christoph Safferling, der das Projekt gemeinsam mit einem Zeithistoriker leitet, erzählt im LTO-Interview von der überraschend hohen NS-Belastung des BMJ noch bis in die 60er, Akten in Umzugskartons und dem Klüngel in der Rosenburg.

LTO: Mitte Mai veröffentlicht die Kommission einen ersten Tagungsband. Zu welchen Ergebnissen sind Sie bisher gekommen?

Safferling: Der Tagungsband ist eine Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung. Für einige Beiträge hatten die Autoren allerdings schon einen Blick in die Akten geworfen, die bisher verschlossen waren. Was man danach auf jeden Fall sagen kann, ist, dass die NS-Belastung doch deutlich höher war als vermutet. Noch in den späten 60er Jahren hatten sämtliche Abteilungsleiter eine NS-Vergangenheit. Das war in dieser Dramatik nicht bekannt.

LTO: Hatten Sie mit solchen Überraschungen gerechnet?

Christoph Safferling, Bild: BMJSafferling: Nicht unbedingt. Was wir unterschätzt hatten, war auch die Dauer der Belastung, das zog sich ja über zwei Jahrzehnte hin. Das erklärt sich daraus, dass eine juristische Karriere nun einmal eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Menschen wie Eduard Dreher, Jahrgang 1907, haben ja rein altersmäßig erst in den 60er Jahren so richtig Karriere machen können.

Interessant ist auch, dass in den frühen 50er Jahren, die Belastung noch geringer war. Man hat damals wohl auf Personen zurückgegriffen, die schon auf eine längere berufliche Tätigkeit in der Weimarer Republik zurückblicken konnten und sich daher weniger für die Durchsetzung des NS-Terrors instrumentalisieren ließen, die nicht darauf erpicht waren, im NS-Regime Karriere zu machen. Ihre Nachrücker kamen dagegen aus der Generation von Juristen, deren Berufseinstieg mit der Machtergreifung zusammenfiel. Viele von denen haben sich nicht nur mit dem NS-System arrangiert, sondern folgten im "vorausseilenden Gehorsam" einer Rechtsauslegung im Sinne der NS-Ideologie.

"Karriere im BMJ trotz NS-Vergangenheit"

LTO: In welchen Akten haben Sie selbst schon gelesen?

Safferling: Als Strafrechtler habe ich mir die Abteilung II vorgeknöpft und mir zunächst die beiden prominentesten Figuren angeschaut. Das waren Eduard Dreher und Josef Schafheutle.

Letzterer war bereits im Reichsjustizministerium als Ministerialrat für Strafrecht zuständig, ist dann 1950 ins BMJ gekommen, war später ein paar Jahre Generalstaatsanwalt in Freiburg. 1954 wurde er Abteilungsleiter im BMJ.

Dreher war 1933 mit seiner Ausbildung fertig. Ist 1938 als Staatsanwalt in Dresden übernommen worden, hat sich 1940 ans Sondergericht nach Innsbruck versetzen lassen, wo er bis 1945 als Erster Staatsanwalt tätig war. Die NS-Ideologie hat er dort wirklich auch vertreten. Das sieht man an mehreren Beispielen, in denen er für Bagatelldelikte Todesstrafen verlangt hat. Nach dem Krieg wollte man ihn in Österreich nicht mehr haben, er ließ sich in Garmisch nieder. In einem Entnazifizierungsverfahren wurde er als Mitläufer eingestuft. Daraufhin ist er nach Stuttgart gegangen und hat versucht als Rechtsanwalt zu arbeiten, was ihm zunächst nicht gelang.

LTO: Wegen seiner Vergangenheit?

Safferling: Ja. Der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer wollte ihn nicht zulassen, weil Dreher als Staatsanwalt mit dem NS-System verwickelt gewesen war. Der LG-Präsident hat dann später aber anders entschieden.

Nach ein paar Jahren als Anwalt kam dann eine besondere Verbindung zustande, nämlich über Adolf Arndt, eigentlich ja der SPD-Kronjurist im Bundestag. Dieser empfahl Dreher 1950 dem Staatssekretär Walter Strauß im BMJ. Warum auch immer. Ich weiß noch nicht, woher diese Verbindung kam. Dreher wurde jedenfalls ins BMJ berufen und hat dort Karriere gemacht.

1958 sollte er BGH-Richter werden. Da ist ihm seine Vergangenheit dann aber tatsächlich dazwischen gekommen. Nachdem die Vorwürfe öffentlich geworden waren, ist die Idee, ihn zum BGH-Richter zu machen, eingeschlafen. Aber dann macht er eben im BMJ Karriere bis zum Unterabteilungsleiter. 1968 wirkte er mit am Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, was mittelbar zur Verjährung der NS-Gewalttaten führte durch eine spezifische Auslegung und Anwendung von § 50 Strafgesetzbuch a.F. Dafür ist er ja bekannt geworden.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Christoph Safferling, NS-Belastung des BMJ: "Stolze Rosenburger" . In: Legal Tribune Online, 13.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8710/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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