NS-Belastung des BMJ: "Stolze Rosenburger"

Interview mit Prof. Dr. Christoph Safferling

13.05.2013

2/2:"Untersuchungen im BMJ in den 50ern nur hinter verschlossenen Türen"

LTO: Hat sich das BMJ vor dieser Kommission noch gar nicht mit dieser Vergangenheit befasst?

Safferling: In den 80ern gab es eine große Ausstellung über die Justiz und das NS-System, die das BMJ in Auftrag gegeben hatte. Das Problem ist, diese Ausstellung beschäftigt sich zwar mit Juristen, aber nicht spezifisch mit dem BMJ, aus welchen Gründen auch immer.

Die Vorwürfe, die in den 50er und 60er Jahren vor allem aus der DDR lancierte wurden, hat man im BMJ auch sehr ernst genommen. Es gab genaue Untersuchungen, die sich aber hinter verschlossenen Türen vollzogen. Das ist bei Personalangelegenheiten natürlich auch erst einmal legitim. Ich habe mittlerweile im Ruhestand befindliche Beamte dazu befragt, die glaubwürdig versichern konnten, dass sie davon nichts gewusst haben. Das war eine Frage der Personalabteilung und der Behördenleitung.

LTO: Gab es eine solche Untersuchung auch gegen Eduard Dreher?

Safferling: Ja, eine sehr intensive sogar. Es wurden Akten aus Österreich angefordert und man hat den Abteilungsleiter gebeten, rechtlich zu begutachten, ob Dreher ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist.

Allerdings wurde dabei natürlich der Bock zum Gärtner gemacht. Der Abteilungsleiter war ja Schafheutle. Dass der zu dem Ergebnis kommen würde, Dreher habe sich gesetzeskonform verhalten, ihm sei keine Schuld vorzuwerfen, die Todesstrafen seien zwingende Rechtsfolgen gewesen – das überrascht natürlich nicht.

"Auch der Bundestag sollte sich mit seiner Geschichte befassen"

LTO: Mit welchem Ziel ist die Kommission angetreten?

Safferling: Wir wollen insbesondere die Zeit zwischen 1949 bis 1973 untersuchen, den Zeitraum in dem das Haus in der Rosenburg war. Das ist auch der Zeitraum mit der höchsten NS-Belastung. Dafür wollen wir den höheren Dienst insgesamt anschauen, also auch die Referentenebene.

Dabei müssen wir inhaltlich über die Statistik der NSDAP-Mitgliedschaften hinaus gehen. Denn diese sagt ja nicht unbedingt etwas über die wirkliche Einstellung aus. Wir müssen noch herausarbeiten, wie sich die einzelnen Personen etwa während der Strafrechtsreform positioniert haben. Haben die dazu beigetragen, dass sich das StGB, das ja der Kontrollrat bereits in gewisser Weise entnazifiziert hatte, weiter liberal und demokratisch entwickelt?

LTO: Können Sie dazu schon inhaltlich etwas sagen?

Safferling: Die allerersten Entwürfe des BMJ zum Staatsschutz-Strafrecht haben eine deutlich liberale Handschrift. Das war Anfang der 50er. Spätere Entwürfe sind weitaus konservativer. Ich habe den Eindruck, dass in den ersten Jahren vielleicht eine gewisse Euphorie über das Grundgesetz als neues demokratisches Legitimationsmodell und die Zukunft des deutschen Staates herrschte.

Ab 1954/1955 ist dann eine  Rückkehr zu der eingefahrenen Reichgerichtsrechtsprechung und der Gesetzgebung des Reichsjustizministeriums erkennbar. Natürlich immer formal unter Berufung auf die Gesetzgebung vor 1933, aber nicht durchgängig.

LTO: Und das könnte damit zu tun gehabt haben, dass schwer belastete NS-Juristen erst später leitende Funktionen im Ministerium innehatten?

Safferling: Das vermute ich. Andererseits muss man da auch den Bundestag tadeln. Die Gesetzesinitiativen aus dem BMJ sind von den Abgeordneten zerpflückt worden. Auch der Bundestag müsste sich daher mal seiner Vergangenheit stellen, wie es etwa der hessische Landtag vor kurzem getan hat.

"Akten liegen teilweise noch in Umzugskartons"

LTO: Haben Sie vollen Zugang zu allen Akten?

Safferling: Ja, die Mitarbeiter des BMJ sind sehr bemüht, alles zur Verfügung zu stellen. Manchmal sind die Sachen tatsächlich körperlich schwer zu finden. Die Personalakten liegen alle im Keller des BMJ. Das wurde beim Umzug alles mitgenommen und liegt teilweise tatsächlich noch in diesen Kartons. Man hätte sich auch vorstellen können, dass das Ministerium diese entsorgen lässt. Das hat es aber nicht getan.

LTO: Es ist also alles vollständig?

Safferling: Was ich bislang gesehen habe, macht nicht den Eindruck als würde etwas fehlen.

LTO: Wann soll die Kommission ihre Arbeit beendet haben?

Safferling: Mitte, Ende 2015.

LTO: Wie sind Sie zu der Kommission gekommen? Haben Sie schon vorher in dem Bereich geforscht?

Safferling: Ich bin Direktor des Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse an der Uni Marburg. Ich setze mich mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit also schon seit 2007 auseinander.

LTO: Die Kommission besteht aus einer Mischung von Juristen und Historikern?

Safferling: Ja, genau. Die Leitung hat mit mir der Zeithistoriker Manfred Görtemaker inne. Diese interdisziplinäre Besetzung ist übrigens einzigartig. Ob Auswärtiges Amt, Bundesnachrichtendienst oder Bundeskriminalamt – da haben immer nur Historiker geforscht. Für bestimmte Teilbereiche werden wir uns auch noch Experten aus dem Familien-, Gesellschafts- oder Verfassungsrecht dazu holen – wir sind eben keine reine "Historikerkommission".

LTO: Interviewen Sie neben der Lektüre von Akten auch Zeitzeugen?

Safferling: Das tun wir und das ist auch wichtig. Es hilft, ein Gefühl für die Atmosphäre zu bekommen, die in diesem Hause herrschte, in der Rosenburg, dem damaligen Bonner Sitz des BMJ.

LTO: Der Klüngel?

Safferling: Das ist in der Tat etwas, was einem jeder erzählt. Die ehemaligen Mitarbeiter behaupten alle mit Stolz von sich, sie seien "Rosenburger". Dann aber, wenn es um die NS-Belastung geht, dann kannten sie sich offensichtlich doch nicht so gut. Vielleicht haben die wirklich nicht über diese Dinge gesprochen, für die tägliche Arbeit muss man das ja auch nicht. Aber dass es da Gerüchte gegeben hat, hätte ich schon für wahrscheinlich gehalten.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Christoph Safferling ist Universitätsprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Philipps-Universität Marburg. Er leitet dort das Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse.

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

Weitere Informationen zur Arbeit der Kommission erhalten Sie unter www.uwk-bmj.de.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Christoph Safferling, NS-Belastung des BMJ: "Stolze Rosenburger" . In: Legal Tribune Online, 13.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8710/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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