Klimaklagen von Umweltverbänden erfolgreich: Sofort­pro­gramm heißt sofort – auch für die Bun­des­re­gie­rung?

von Annelie Kaufmann

30.11.2023

Wenn die Bundesregierung ein Sofortprogramm für mehr Klimaschutz beschließen muss, weil sie nicht genug Treibhausgasemissionen eingespart hat, dann muss sie auch genau das tun. So sieht es auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg. Der 11. Senat mit der Vorsitzenden Richterin Ariane Holle verurteilte die Bundesregierung dazu, ein Sofortprogramm nach § 8 Klimaschutzgesetz (KSG) zu beschließen, mit dem sichergestellt wird, dass die gesetzlich vorgesehenen Jahresemissionsmengen in den Sektoren Gebäude und Verkehr für die Jahre 2024 bis 2030 eingehalten werden (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.11.2023, OVG 11 A 11/22, OVG 11 A 27/22 u. OVG 11 A 1/23). 

Die Bundesregierung hatte die Klimaschutzziele in den Jahren 2021 und 2022 nämlich nicht erreicht, insbesondere das Verkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) und das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen von Klara Geywitz (SPD) hinken in ihren Bereichen hinterher. Sofortprogramme, um das auszugleichen, wurden zwar von den Ministerien vorgelegt, aber nie beschlossen. Stattdessen hat sich die Bundesregierung im Oktober dieses Jahres auf ein "Klimaschutzprogramm" geeinigt, mit dem die Klimaschutzziele bis 2030 doch noch erreicht werden sollen. Damit sei man doch wieder auf dem richtigen Weg, so die Argumentation der Bundesregierung, die von den Kanzleien BBG (Bremen) und Oppenhoff (Köln) vertreten wurde. 

Das aber sah das Gericht anders: Ein Klimaschutzprogramm ist eben kein Sofortprogramm. Ein Sofortprogramm müsse kurzfristig wirksame Maßnahmen enthalten, damit die Ziele in den folgenden Jahren wieder erfüllt werden.  

Mit einer Revision kann die Bundesregierung Zeit gewinnen 

Ein Erfolg für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und den Naturschutzverband BUND, die mit ihren Klagen genau das erreichen wollten. Die Umweltverbände fordern nun schnell solche Maßnahmen – etwa ein Tempolimit, die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs und anderer Steuervorteile sowie umfangreiche Sanierungsprogramme für Gebäude. Die Bundesregierung müsse ihre Klimapolitik korrigieren und nun schnell entsprechende Sofortprogramme vorlegen.  

Doch in der Bundesregierung will man erstmal abwarten. Das OVG hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zugelassen. Man nehme die Entscheidung zur Kenntnis und werde "die Urteile und ihre Begründungen, sobald diese schriftlich vorliegen, im Einzelnen genau auswerten und das weitere Vorgehen prüfen", so eine Sprecherin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.  

Mit der Revision würde man Zeit gewinnen: Die Ampel-Koalition will das KSG ohnehin ändern – und dabei die strikte Verpflichtung loswerden, wonach die Bundesregierung mit Sofortprogrammen nachsteuern muss, wenn Klimaziele verfehlt werden.  

Sofortprogramm heißt sofort ein Programm beschließen 

Das KSG folgt einem einfachen Prinzip: Deutschland hat sich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen schrittweise zu verringern, bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990, bis zum Jahr 2040 um mindestens 88 Prozent. Damit das gelingt, werden für verschiedene Sektoren zulässige Jahresemissionsmengen und jährliche Minderungsziele festgelegt – so auch für Verkehr und Gebäude.  

Das Umweltbundesamt und der Expertenrat für Klimafragen prüfen, ob diese Ziele tatsächlich eingehalten werden. In den Sektoren Verkehr und Gebäude wurden diese Emissionsmengen 2021 und 2022 überschritten – mit der Folge, dass die Bundesregierung gem. § 8 KSG "schnellstmöglich" ein Sofortprogramm beschließen muss, mit dem sichergestellt wird, dass die Jahresemissionsmengen für die folgenden Jahre eingehalten werden. Das hat das OVG bestätigt. 

Hinter der Klage stehen einige der bekanntesten Klimarechtsanwältinnen und -anwälte: Prof. Dr. Remo Klinger und Dr. Caroline Douhaire für die DUH und Dr. Franziska Heß von Baumann Rechtsanwälte und Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt aus Leipzig für den BUND. Sie haben erreicht, was sie wollten: Zum einen, dass das Gericht die Klagebefugnis der Umweltverbände anerkannt hat, die sich jedenfalls aus unionsrechtskonformer Auslegung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ergibt  – was auch künftige Klagen ermöglicht. Zum anderen, dass die Bundesregierung sich genau an das zu halten hat, was im KSG steht.  

"Gesetz ist Gesetz und das muss auch eingehalten werden, das hat das Gericht klargestellt", so Klinger. Rechtsanwältin Lisa Hörtzsch von Baumann Rechtsanwälte begrüßt die Entscheidung ebenfalls: "Wir freuen uns sehr über die Entscheidung, weil nun klar ist, dass es sich bei Sofortprogrammen nach § 8 KSG wirklich um Nachsteuerungsinstrumente mit kurzfristig wirksamen Maßnahmen handelt, die schnellstmöglich beschlossen werden müssen." 

Schönrechnen mit dem neuen KSG? 

Das Urteil zeigt, dass das KSG in seiner aktuellen Fassung ziemlich effektiv sein kann, weil es eine prompte Reaktion auf verfehlte Ziele verlangt. Aber eben auch ziemlich schmerzhaft für die Ministerien, die damit am Pranger stehen. Die Ampel-Koalition plant nun grundsätzliche Änderungen: Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll künftig "sektorenübergreifend" und in einer "mehrjährigen Gesamtrechnung" geprüft werden. Weg von einer schnellen Reaktion auf verfehlte Ziele, hin zu Klimaschutzprogrammen, die die zulässigen Gesamtemissionen für die Zukunft in den Blick nehmen.  

Das heißt aber auch: Es wird geplant und gerechnet, aber nicht sanktioniert, wenn die Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Die Pläne wurden kürzlich im Ausschuss für Klimaschutz und Energie diskutiert und von vielen Experten scharf kritisiert. Der neue Mechanismus verschiebe die Probleme immer weiter in die Zukunft – dabei hat das Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Klimabeschluss darauf hingewiesen, dass genau das nicht passieren darf.

Möglich ist aber, dass im parlamentarischen Verfahren nun nochmal nachgebessert wird. "Rechtssicherheit und Schließen der Klimalücke müssen für uns das oberste Gebot sein", so die klimapolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Badum, gegenüber LTO. "Die aktuelle Bundesregierung hat bereits 80 Prozent der Klimalücke ihrer Vorgängerin geschlossen. Das Gericht mahnt uns nun, dass unser Anspruch die 100 Prozent sein müssen", so Badum. Die klimapolitische Sprecherin der SPD erklärte gegenüber LTO, im Ergebnis dürfe es zu keinem Minus an Klimaschutzverpflichtungen kommen. Dies widerspräche den verfassungsgerichtlichen Maßgaben aus 2021. 

Die Lücke wird größer 

Tatsächlich steht die Bundesregierung vor ziemlich großen Problemen: Sie geht im Klimaschutzprogramm schon selbst nicht davon aus, dass die Klimaschutzziele bis 2030 voll erreicht werden können, nach ihrer Berechnung verbleibt eine Lücke von 200 Millionen Tonnen sogenannter CO2-Äquivalente, also zu viel ausgestoßener Treibhausgase. Nach Einschätzung des Expertenrates für Klimafragen dürfte die Lücke noch größer sein. Vor allem ist ein Programm – sei es ein Klimaschutzprogramm oder ein Sofortprogramm – auch erstmal nur das.  

Längst nicht alle Maßnahmen, die darin vorgesehen sind, sind auch umgesetzt – nur ein Beispiel ist die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, die kürzlich im Bundesrat abgelehnt wurde. Ob tatsächlich ausreichend Treibhausgasemissionen eingespart werden, muss sich erst zeigen. Und schließlich wackelt auch die Finanzierung: Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich den Klima- und Transformationsfonds für verfassungswidrig erklärt. Mit diesem sollten 60 Milliarden Euro Kreditermächtigungen, die ursprünglich als Corona-Hilfen gedacht waren, umgewidmet werden, auch um Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren.  

Über das Klimaschutzprogramm wird demnächst ebenfalls der 11. Senat des OVG Berlin-Brandenburg entscheiden. Am 1. Februar sehen sich die DUH und die Vertreter der Bundesregierung dort wieder: Die DUH hält das Klimaschutzprogramm nicht für ausreichend und fordert weitere Maßnahmen.  

Dieses Verfahren wird auch im Hinblick auf die geplante KSG-Novelle interessant: Denn selbst wenn die Sofortprogramme abgeschafft werden, bleiben die Klimaschutzziele bis 2030. Ein entsprechendes Klimaschutzprogramm ist also sowohl nach der aktuellen wie auch nach der geplanten neuen Fassung notwendig. Der 11. Senat hat gezeigt, dass die Gerichte solche gesetzlichen Verpflichtungen ernst nehmen. Irgendwie muss die Bundesregierung also zu massiven CO2-Einsparungen kommen. 

Zitiervorschlag

Klimaklagen von Umweltverbänden erfolgreich: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53307 (abgerufen am: 06.10.2024 )

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