BVerfG mit Grundsatzurteil zur Schuldenbremse: 60-Mil­li­arden-Nach­trags­haus­halt war ver­fas­sungs­widrig

15.11.2023

Die verplanten Milliarden-Kreditermächtigungen der Ampel für Klima- und Transformationsprojekte brechen nach einem Urteil des BVerfG weg. Das Gericht hat die Regeln der Schuldenbremse mit einer Grundsatzentscheidung scharf geschaltet.

Die Milliardenbuchungen in einem Nachtragshaushalt 2021 waren verfassungswidrig, das hat am Mittwochmorgen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden (Urt. v. 15.11.2023, Az. 2 BvF 1/22). Damit gaben die Richterinnen und Richter der Normenkontrollklage von Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion statt.

Gegenstand der Entscheidung war ein spektakuläres Haushaltsmanöver der Ampel-Koalition: Im Februar 2022 wurden 60 Milliarden Euro in ein Sondervermögen verschoben, das heute Klima- und Transformationsfonds (KTF) heißt. Die Kreditermächtigungen waren ursprünglich für die Corona-Politik eingeplant, wurden dann aber doch nicht dafür benötigt. Im zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 beschloss der Bundestag im Februar 2022, diese Kreditermächtigungen dem Klimafonds zur Verfügung zu stellen. Das Sondervermögen wurde damit von 40 auf 100 Milliarden Euro aufgestockt.

Die Summe wurde in voller Höhe im Jahr 2021 verbucht, obwohl das Geld erst in den Folgejahren ausgegeben werden sollte und soll. Die Buchungssystematik des Haushaltsrechts wurde zuvor entsprechend angepasst. Dieses Manöver ermöglichte es der Ampel-Koalition, die Schuldenbremse in den Jahren 2023 und – so ist es bisher geplant – auch 2024 wieder einzuhalten, nachdem sie von 2020 bis 2022 vor allem wegen der Corona-Epidemie ausgesetzt war. Und genau dieses Manöver beanstandeten die Unionsabgeordneten in Karlsruhe.

Das Urteil ist das erste Karlsruher Urteil zur 2009 eingeführten Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3, 115 Abs. 2 Grundgesetz).

So begründet das Gericht seine Entscheidung

Das Grundgesetz schreibt dort das Verbot der Neuverschuldung fest. Danach sind im Rahmen der Haushaltswirtschaft des Bundes Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 Grundgesetz sind Ausnahmen von der Schuldenbremse nur bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen möglich. 

Der Zweite Senat begründet seine Entscheidung vor allem mit folgenden drei Erwägungen:

Erstens geht es um eine Darlegungspflicht des Gesetzgebers bei dem Haushaltsmanöver. Der Gesetzgeber habe den notwendigen "Veranlassungszusammenhang" zwischen der Notsituation und den Gegenmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt. Zweitens widerspreche die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. "Jährlichkeit" meint, dass ein Haushaltsplan für jedes Jahr aufzustellen ist. "Jährigkeit" bedeutet, dass Ermächtigungen im jeweiligen Haushaltsjahr in Anspruch genommen werden müssen. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die "Schuldenbremse" bei gleichzeitiger Anrechnung als "Schulden" im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig. Drittens habe die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen. 

Das BVerfG hat damit die Konturen des Finanzverfassungsrechts geschärft und ein Grundsatzurteil zur Schuldenbremse getroffen. Die festgestellte Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Paragraphen in dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz führt zur Nichtigkeit des Gesetzes.

Das sind die Folgen für den Ampel-Bundeshaushalt

Schon am Donnerstag trifft sich in Berlin der Haushaltsausschuss zu seiner so genannten Bereinigungssitzung für den Haushalt 2024. Hier sollen die letzten Details des Haushaltsgesetzes geklärt werden, das der Bundestag in der Sitzungswoche vom 28. November bis 1. Dezember endgültig beschließen will. Nun werden die Abgeordneten genau schauen müssen, welche Verpflichtungen aus dem KTF bereits laufen, wo also bereits Geld gezahlt werden muss.

Der KTF gibt seine Milliarden vor allem aus für die Förderung klimafreundlicherer Gebäude, für die Dekarbonisierung der Industrie, den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft, die Förderung der E-Mobilität, die Sanierung der Bahn, die Senkung des Strompreises und die Subventionierung einer Halbleiterfabrik. 

Die Abgeordneten werden nun auch klären müssen, wie aus dem Bundeshaushalt die 60-Milliarden-Lücke in dem KTF aufgefüllt werden kann. Klar ist, dass kann nur gelingen, wenn Geld aus anderen Posten kommt, an anderer Stelle im Haushalt und bei Projekten also gekürzt wird. Ansonsten könnte die Lücke über Steuererhöhungen finanziert werden - oder der Gesetzgeber versucht noch einmal eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu begründen. Die Voraussetzungen dafür hat das BVerfG am Mittwoch klar gestellt.

Sehen Sie hier das Phoenix-Spezial inklusive Urteilsbegründung durch die Senatsvorsitzende Prof. Dr. Doris König: 

 

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kus/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG mit Grundsatzurteil zur Schuldenbremse: 60-Milliarden-Nachtragshaushalt war verfassungswidrig . In: Legal Tribune Online, 15.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53166/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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