Neue Regelungen zur Sozialhilfe für Ausländer: Bun­des­re­gie­rung will Anspruch von EU-Bür­gern auf "Hartz IV" dras­tisch ein­schränken

von Prof. Dr. Constanze Janda

03.11.2016

2/2: Abschreckungseffekt hat in der Existenzsicherung keine Berechtigung

Die vorgeschlagene Lösung mag den Interessen der traditionell für die Armenfürsorge zuständigen Kommunen entsprechen. Sie bedient überdies die Reflexe derer, die die Gefahr einer ungezügelten massenhaften "Armutsmigration" beschwören.

Die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs aber darf man bezweifeln. Aus der Menschenwürdegarantie in Art. 1 Grundgesetz (GG) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz abgeleitet. Dabei handelt es sich um ein Menschenrecht. Der Achtungsanspruch hängt also weder von der Staatsangehörigkeit oder dem Aufenthaltsstatus ab noch ist er an irgendeine Form von Wohlverhalten gekoppelt. Auch die Menschenwürde derer, die dies vermeintlich nicht verdienen, ist zu achten und zu gewährleisten.  Das BVerfG hat im Hinblick auf Zuwanderer insofern den Satz geprägt, dass die Menschenwürde migrationspolitisch nicht relativierbar sei.

Der Gedanke der Abschreckung von Zuwanderern hat im Recht der Existenzsicherung folglich keinerlei Berechtigung. Auch die als Zugeständnis zur Menschenwürdegarantie vorgesehenen Übergangsleistungen widersprechen verfassungsrechtlichen Anforderungen, denn die Menschenwürde ist jederzeit in vollem Umfang zu gewährleisten. Damit sind weder die zeitliche Beschränkung noch die Reduzierung der Leistungen auf das zum Überleben Notwendige und die Vorenthaltung des sozio-kulturellen Existenzminimums vereinbar.

Unionsbürger werden über das Sozialrecht zur Ausreise gezwungen

Zwar mag man einwenden, dass es Unionsbürgern – im Gegensatz zu Asylsuchenden und Flüchtlingen – durchaus möglich sei, die Bundesrepublik zu verlassen. Dieses Argument verkennt indes die europarechtliche Dimension: Mit der Einführung der Unionsbürgerfreizügigkeit sollte allen EU-Bürgern die volle Bewegungsfreiheit in allen Mitgliedstaaten eingeräumt werden, unabhängig davon, ob sie einer Beschäftigung nachgehen oder nicht.

Offenbar ist man nicht bereit, die Konsequenzen daraus zu tragen. Denn die Unionsbürgerrichtlinie verbietet die Ausweisung allein aufgrund der Hilfebedürftigkeit bzw. des Bezugs von Sozialhilfeleistungen. Da man also den Aufenthalt arbeitsuchender, mittelloser Unionsbürger nicht ohne weiteres zwangsweise beenden kann, verlegt man sich darauf, die Ausreise mittelbar über das  Sozialrecht zu erzwingen. Die Menschenwürde wird also wieder und weiter aus migrationspolitischen Erwägungen relativiert. In Zeiten des bröckelnden Konsenses über die europäischen Werte, insbesondere im Hinblick auf die allgemeine Bewegungsfreiheit, die Gleichheit und die innereuropäische Solidarität befindet sich der Gesetzgeber insofern in "guter" Gesellschaft.

Die SGB II-Änderung hat vor allem symbolische Wirkung: Arbeitssuchenden Unionsbürgern wird signalisiert, dass sie hier nicht willkommen sind; den Stammtischen wird signalisiert, dass etwas gegen "Armutsmigration" unternommen wird. Dabei gibt der Gesetzgeber in der Begründung des Entwurfs selbst zu, dass nur wenige Personen von den Leistungseinschränkungen betroffen sein werden, dass also die Theorie vom gern zitierten "Wohlfahrtsmagneten" offensichtlich jeder Grundlage entbehrt. Ausgeblendet wird die Gerechtigkeit im Einzelfall.

Offensichtlich fehlt dem Gesetzgeber das Vertrauen in die Wirkmacht seiner Gesetze: Der Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende setzt nämlich schon immer voraus, dass die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Weder die Einreise zur Arbeitsuche noch die Einreise zum Leistungsbezug in der "sozialen Hängematte" erfüllen dieses Kriterium. Es wäre ein Leichtes, dies in der öffentlichen Debatte klarzustellen – aber offenkundig nicht hinreichend spektakulär.

Die Autorin Prof. Dr. Constanze Janda ist Professorin für Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Universität Speyer. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerks Migrationsrecht und setzt sich seit vielen Jahren mit den Rechtsfragen der sozialen Absicherung von Migranten auseinander.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Constanze Janda, Neue Regelungen zur Sozialhilfe für Ausländer: Bundesregierung will Anspruch von EU-Bürgern auf "Hartz IV" drastisch einschränken . In: Legal Tribune Online, 03.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21049/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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