Nach dem Brexit: UK umwirbt Konzerne: Euro­pa­rechts­wid­rige Ver­sp­re­chen?

von Dr. Ulrich Soltész

09.11.2016

2/2: Gilt Beihilferecht für Maßnahmen nach dem Brexit?

Die Befürworter solcher Maßnahmen verweisen hingegen darauf, dass sich solche Maßnahmen erst nach dem vollzogenen Brexit auswirken, also wenn das EU-Beihilferecht nicht mehr in Großbritannien gilt. Daher wären derartige comfort letters – so die Argumentation – dem EU-Beihilferecht entzogen.

Dies dürfte die Kommission wie auch der Gerichtshof jedoch anders sehen. Denn eine Garantie wird bereits dann "gewährt", wenn das Versprechen abgegeben wird, also nicht erst dann, wenn im Haftungsfall die Kompensationszahlung fließt. Dieser Zeitpunkt liegt vor dem Brexit, also zu einer Zeit, zu der das Vereinigte Königreich noch ein voller Mitgliedstaat ist und dem Beihilferecht unterliegt. Daher müssen sich Versprechen, die auf die Zukunft gerichtet sind, aber heute abgegeben werden, an den Beihilferegeln messen lassen.

Hinzu kommt, dass die Ausgestaltung der künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU nach dem Brexit noch nicht feststeht. Sollte es also zu einem "EWR plus"- Modell, einem Assoziierungsabkommen oder auch zu einer langfristigen Übergangsregelung kommen, so wäre hierin in höchstwahrscheinlich auch ein Verbot staatlicher Beihilfen enthalten.

Britische Politik widerspricht den comfort letters

Unternehmen sollten sich daher auf solche Versprechen nicht verlassen, denn beihilferechtswidrige Garantien sind regelmäßig nichtig.

Zudem erscheint die Position der Regierung in hohem Maße inkonsequent. Denn Theresa May und ihre Minister betonen fortwährend, dass der Austritt zahlreiche neue Geschäftschancen für britische Unternehmen eröffnen würde. Würde dies stimmen, so sollte es den Unternehmen nach dem Brexit besser gehen, so dass es nichts zu entschädigen gäbe. Vor diesem Hintergrund scheint es vorprogrammiert, dass die Regierung im Haftungsfall die Existenz eines Schadens und einer Ersatzpflicht bestreiten wird. Denn andernfalls würde sie offen einräumen, dass ihr Leitsatz "we will make Brexit a success" unrichtig war. Die Durchsetzung von Kompensationszahlungen wird sich auch aus diesem Grunde als sehr schwierig erweisen.

Unabhängig von diesen EU-rechtlichen Bedenken sind derartige Maßnahmen übrigens auch in der britischen Öffentlichkeit hochumstritten. Es ist kaum denkbar, dass die Regierung finanziell in der Lage sein wird, sämtliche Unternehmen für Brexit-Schäden zu kompensieren. Sollten nur vereinzelt Zusagen gemacht werden, etwa nur für Großunternehmen, so wirft dies Fragen der Gleichbehandlung auf.

Wie es weitergeht

Eines zeigt die Diskussion um die Nissan-Unterstützung auf jeden Fall: Ein einheitlicher Wirtschaftsraum kann nur funktionieren, wenn einheitliche Regeln bestehen. Wenn also britische Unternehmen auch nach dem Brexit Zugang zum Binnenmarkt erhalten sollen, es also zum "soft Brexit" kommt, so müssen sie auch künftig einer effizienten Beihilfekontrolle unterliegen.

Denn es kann nicht sein, dass britische Unternehmen frei subventioniert werden dürfen, während ihre EU-Wettbewerber den strengen Vorgaben des EU-Beihilferechts unterliegen. Und schon gar nicht darf es sein, dass Unternehmen aus den EU 27 mit großzügigen Geldversprechen nach Großbritannien gelockt werden, den EU-Mitgliedstaaten aber solche Werbeversuche untersagt sind.

Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit rund 20 Jahren im Europäischen Wettbewerbsrecht, insbesondere im Kartell- und Beihilferecht.

Zitiervorschlag

Dr. Ulrich Soltész, Nach dem Brexit: UK umwirbt Konzerne: Europarechtswidrige Versprechen? . In: Legal Tribune Online, 09.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21102/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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