Die britische Regierung gibt weitreichende Zusicherungen ab, um Großunternehmen wie etwa Nissan auch nach dem Brexit weiter in Großbritannien zu halten. Ulrich Soltész erläutert, warum solche Versprechen gegen EU-Recht verstoßen können.
Zahlreiche Investoren und Konzerne haben angekündigt, dass sie nach einem Brexit Standorte und Arbeitsplätze von Großbritannien in die verbleibenden EU 27 verlagern wollen. Sie fürchten zu Recht, dass ihnen nach einem Austritt Zölle und andere Handelsbeschränkungen das Geschäft erschweren. Die Regierung May versucht daher alles, um abwanderungswillige Unternehmen im Land zu halten.
So wurde zum Beispiel Nissan, einem der größten Kfz-Hersteller in Großbritannien, ein "comfort letter" ausgestellt. Hierin sichert die Regierung offenbar zu, sich im Rahmen der Austrittsverhandlungen für einen weiterhin ungehinderten Zugang zum EU-Binnenmarkt für britische Unternehmen einzusetzen. Dies hat offenbar Wirkung gezeigt: Der Autobauer hat öffentlichkeitswirksam verkündet, dass er zwei neue Modelle in Sunderland in Nordengland produzieren wird. Die britische Regierung feierte dies als Erfolg.
Alles soll beim Alten bleiben – und wenn nicht?
Der Sache nach wurde dem Unternehmen also garantiert, dass auch im Falle eines Austritts alles so bleiben soll wie bisher. Dies kann allerdings im Hinblick auf das EU-Beihilferecht sehr problematisch sein.
Eine reine politische "Verwendungszusage" dürfte – isoliert gesehen – noch keine Bedenken auslösen. Schwieriger wird es allerdings, wenn diese Erklärung einen Garantiecharakter hat, das heißt, wenn sich im Fall eines Scheiterns dieser Bemühungen auch Haftungsansprüche gegen den Staat ableiten lassen können. Von einer solchen garantieähnlichen Wirkung werden die betroffenen Unternehmen in Großbritannien regelmäßig ausgehen. Denn Investoren würden sich auf solche Versprechen nur dann verlassen, wenn sie wissen, dass sie bei einem Misserfolg (wenn also kein Zugang zum Binnenmarkt für sie erreicht wird) zumindest auf finanziellen Ausgleich hoffen können.
Ein Vorstand würde auch möglicherweise seine Pflichten verletzen, wenn er seine zukünftige Businessplanung auf eine rein unverbindliche Absichtserklärung stützen würde. Dies gilt insbesondere dann, wenn, wie hier, der Erfolg solcher Verhandlungsanstrengungen sehr ungewiss ist: die EU hat nämlich bereits signalisiert, dass sie nicht zu solchen Zugeständnissen bereit ist, wie sie sich die britische Seite vorstellt.
Beihilferechtswidrige Staatsgarantien
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) nimmt eine solche Quasi-Garantie-Wirkung auch relativ schnell an. An den Grad der Verbindlichkeit stellt er keine hohen Anforderungen, auf die rechtliche Wirksamkeit im Sinne eines "harten", klagbaren Anspruchs soll es nach gängiger Rechtsprechung gerade nicht ankommen. Vor diesem Hintergrund wurden zum Beispiel im Fall France Télécom Versprechen von Politikern als beihilferechtswidrige Garantien qualifiziert. Nach Auffassung des EuGH reicht es im Falle einer Garantie auch bereits aus, dass es potentiell zu einer Zahlungspflicht des Staates kommen kann. Es ist nicht erforderlich, dass eine solche Zusicherung zu einem tatsächlichen Geldfluss führt.
Es spricht somit einiges für die Annahme, dass solche Zusicherungen Beihilfecharakter aufweisen. Wenn der Staat regulatorische Risiken übernimmt, sich also verpflichtet, ein Unternehmen für den Wegfall bestimmter Rahmenbedingungen entsprechend zu entschädigen, so ist dies nach Auffassung der Kommission eine beihilferechtlich relevante Begünstigung. Aus diesem Grund hat sie mit Billigung der Gerichte ähnliche Garantiekonstruktionen in Deutschland untersagt.
Die Kompensationszusagen führen auch zu einer spürbaren Wettbewerbsverzerrung. Denn das begünstigte Unternehmen wird sich hierdurch regelmäßig bewegen lassen, eine künftige Erweiterungsinvestition in Großbritannien und nicht an einem anderen Standort in der EU vorzunehmen. Möglich ist auch, dass es sogar Tätigkeiten aus EU-Standorten nach Großbritannien verlegt.
2/2: Gilt Beihilferecht für Maßnahmen nach dem Brexit?
Die Befürworter solcher Maßnahmen verweisen hingegen darauf, dass sich solche Maßnahmen erst nach dem vollzogenen Brexit auswirken, also wenn das EU-Beihilferecht nicht mehr in Großbritannien gilt. Daher wären derartige comfort letters – so die Argumentation – dem EU-Beihilferecht entzogen.
Dies dürfte die Kommission wie auch der Gerichtshof jedoch anders sehen. Denn eine Garantie wird bereits dann "gewährt", wenn das Versprechen abgegeben wird, also nicht erst dann, wenn im Haftungsfall die Kompensationszahlung fließt. Dieser Zeitpunkt liegt vor dem Brexit, also zu einer Zeit, zu der das Vereinigte Königreich noch ein voller Mitgliedstaat ist und dem Beihilferecht unterliegt. Daher müssen sich Versprechen, die auf die Zukunft gerichtet sind, aber heute abgegeben werden, an den Beihilferegeln messen lassen.
Hinzu kommt, dass die Ausgestaltung der künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU nach dem Brexit noch nicht feststeht. Sollte es also zu einem "EWR plus"- Modell, einem Assoziierungsabkommen oder auch zu einer langfristigen Übergangsregelung kommen, so wäre hierin in höchstwahrscheinlich auch ein Verbot staatlicher Beihilfen enthalten.
Britische Politik widerspricht den comfort letters
Unternehmen sollten sich daher auf solche Versprechen nicht verlassen, denn beihilferechtswidrige Garantien sind regelmäßig nichtig.
Zudem erscheint die Position der Regierung in hohem Maße inkonsequent. Denn Theresa May und ihre Minister betonen fortwährend, dass der Austritt zahlreiche neue Geschäftschancen für britische Unternehmen eröffnen würde. Würde dies stimmen, so sollte es den Unternehmen nach dem Brexit besser gehen, so dass es nichts zu entschädigen gäbe. Vor diesem Hintergrund scheint es vorprogrammiert, dass die Regierung im Haftungsfall die Existenz eines Schadens und einer Ersatzpflicht bestreiten wird. Denn andernfalls würde sie offen einräumen, dass ihr Leitsatz "we will make Brexit a success" unrichtig war. Die Durchsetzung von Kompensationszahlungen wird sich auch aus diesem Grunde als sehr schwierig erweisen.
Unabhängig von diesen EU-rechtlichen Bedenken sind derartige Maßnahmen übrigens auch in der britischen Öffentlichkeit hochumstritten. Es ist kaum denkbar, dass die Regierung finanziell in der Lage sein wird, sämtliche Unternehmen für Brexit-Schäden zu kompensieren. Sollten nur vereinzelt Zusagen gemacht werden, etwa nur für Großunternehmen, so wirft dies Fragen der Gleichbehandlung auf.
Wie es weitergeht
Eines zeigt die Diskussion um die Nissan-Unterstützung auf jeden Fall: Ein einheitlicher Wirtschaftsraum kann nur funktionieren, wenn einheitliche Regeln bestehen. Wenn also britische Unternehmen auch nach dem Brexit Zugang zum Binnenmarkt erhalten sollen, es also zum "soft Brexit" kommt, so müssen sie auch künftig einer effizienten Beihilfekontrolle unterliegen.
Denn es kann nicht sein, dass britische Unternehmen frei subventioniert werden dürfen, während ihre EU-Wettbewerber den strengen Vorgaben des EU-Beihilferechts unterliegen. Und schon gar nicht darf es sein, dass Unternehmen aus den EU 27 mit großzügigen Geldversprechen nach Großbritannien gelockt werden, den EU-Mitgliedstaaten aber solche Werbeversuche untersagt sind.
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit rund 20 Jahren im Europäischen Wettbewerbsrecht, insbesondere im Kartell- und Beihilferecht.
Dr. Ulrich Soltész, Nach dem Brexit: UK umwirbt Konzerne: Europarechtswidrige Versprechen? . In: Legal Tribune Online, 09.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21102/ (abgerufen am: 30.05.2023 )
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