Rechtsgeschichte: Der staat­liche Anspruch auf den men­sch­li­chen Namen

von Martin Rath

07.01.2018

2/2: Kampf um Namen: das Beispiel Bernhard Weiß

Im Königreich Preußen, dem deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik ergab sich daraus eine wechselvolle Norm- sowie Geschichte vor allem behördlicher Kompetenzzuweisungen, die Jan Bruners unter dem Titel "Der Name als Stigma" im Anschluss an den Historiker Dietz Bering (1935–) nachskizziert hat.

Zur Illustration herausgreifen lässt sich die Sache von Bernhard Weiß (1880–1951), der bereits als Vize-Polizeipräsident von Berlin, republikanischer Jurist und Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) ein erklärter Gegner des aufstrebenden NS-Propagandisten Joseph Goebbels (1897–1945) war.

Obwohl die Verhältnisse bei der Berliner Polizei bereits während der Weimarer Republik nicht makellos waren, kritisierte Goebbels die Zustände keinesfalls auf der Sachebene, sondern griff Weiß als Juden an, indem er ihn regelmäßig als "Isidor Weiß" bezeichnete. Weiß prozessierte zwischen 1927 und 1932 nicht weniger als 16 Mal gegen diese gezielte Provokation.

Der beherzte, republiktreue Polizist Weiß wurde trotzdem – oder gerade deswegen – von Goebbels wiederholt auf dieser persönlichen Ebene angegriffen, war der sich doch bewusst, dass sein Spiel mit Grenz- und Zweifelsfragen zivilen Anstands jüdischen Mitbürgern gegenüber Aufmerksamkeit ihm auch in nicht genuin rechtsextremen Kreisen des Bürgertums Aufmerksamkeit verschaffte, ohne sich mit unbequemen Sachfragen befassen zu müssen.

Autoritäres NamÄndG besteht weiter

Die Verordnung über erzwungene Vornamen wurde zwar mit Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehoben, das NamÄndG selbst, bereinigt z.B. um § 7, ist dagegen bis heute geltendens Recht – und damit seine durchaus obrigkeitsstaatliche Tendenz.

Es finden sich hier mitunter kuriose Fälle. Der promovierte Jurist Volkmar (von) Zühlsdorff (1912–2006) prozessierte etwa bis vor das Bundesverwaltungsgericht darum, dass in Deuschland sein Name wieder um das "von" ergänzt werde. Seinen verarmten preußischen Kleinadels-Ahnen war es verloren gegangen. Seit 1933 im Exil hatte Zühlsdorff in den USA das "von" wieder geführt. In New Jersey hätte das allein durch Übung schon zur Namensanerkennung geführt – mangels US-Staatangehörigkeit wurde es bei der Heimkehr aber nicht anerkannt. 1960 erlitt (von) Zühlsdorff wegen seiner Namensführung ein Ermittlungsverfahren seitens der Staatsanwaltschaft Bonn – besonders schmerzhaft, gehörte er inzwischen dem ortsansässigen, besonders blaublütigen Auswärtigen Amt an. Ohne Weiteres mochte das Bundesverwaltungsgericht im späteren Namensänderungsverfahren in der Biografie Zühlsdorffs keinen wichtgen Grund zur Namensänderung – hin bzw. zurück zum "von" – erkennen (Urt. v. 8.11.1968, Az. VII C 145.66).

Wie obrigkeitlich § 3 NamÄndG verstanden werden kann, wonach ein Familienname nur geändert werden darf, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt, illustrierte aber das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG) in einer wohl sehr viel typischeren Fallgestaltung (Beschl. v. 11.10.2002, Az. 8 A 312/01): Zu einem Begehren auf Änderung des Nachnamens führte das Gericht abstrakt "die schutzwürdigen Interessen Dritter" gegen eine Namensänderung ins Feld, aber auch "die Ordnungsfunktion des Namens sowie sicherheitspolizeiliche Interessen an der Beibehaltung des Namens".

Wie sehr das staatliche Ordnungsinteresse überwiegt, wurde in diesem Fall durch die richterliche Auskunft zum Wunsch deutlich, aufgrund des neuen christlichen Bekenntnisses ebensolche Vornamen annehmen zu wollen: Ohne kirchenamtliches Testat wurde dieses Begehren amtlich nicht anerkannt. Die lange, weltweit verbreitete Tradition religiöser Namenswahl wird damit ganz gedankenlos negiert.

Namensänderung in der pluralen Gesellschaft

Es ist fraglich, ob solche "sicherheitspolizeilichen" Bedürfnisse noch überzeugen. Wo die Amtskirchen schwinden, mögen sich konfessionelle Bedürfnisse bald ganz in der Wahl des eigenen Namens ausdrücken.

Hinzu kommt, dass rassistische Einstellungen einige Stabilität haben, aus apologetischer Sicht sogar in der Natur des Menschen liegen sollen. Wer sich davon überzeugen will, wähle – als Träger eines konventionellen Namens – für das Kommentar-Forum einer gut bürgerlichen Online-Zeitung zur Probe einmal ein jüdisch, arabisch oder rumänisch klingendes Pseudonym.

In einer offenen Gesellschaft sollte niemand in ein Namensghetto gezwungen sein, zumal "sicherheitspolitische" Interessen an einem stabilen Nachnamen in Zeiten zentraler digitaler Identifikationsnummern ohnehin zweifelhaft sind.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichte: Der staatliche Anspruch auf den menschlichen Namen . In: Legal Tribune Online, 07.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26333/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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