Das "131er-Gesetz": Die Ink­lu­sion von NS-Beamten

von Martin Rath

19.02.2017

2/2: Ausschluss von NS-Beamten eine "Kollektivstrafe"?

Die Spruchkammer im sogenannten Entnazifizierungsverfahren hatte dem später zum Postbeamten avancierten Ex-Gestapo-Mann attestiert, ein "Mitläufer" gewesen zu sein. Damit griff aber kein Ausschluss von den Vorzügen des 131er-Gesetzes aus Gründen persönlicher Belastung, sondern allein der generelle Vorbehalt gegen Gestapo-Beamte.

Die Verfassungsbeschwerde des Mannes argumentierte, dass der Ausschluss aller früheren Gestapo-Angehörigen von den Leistungen des 131er-Gesetzes "eine verfassungswidrige Kollektivstrafe" sei, die ihn in seinen Gleichheitsrechten verletze: Da er nur eine untergeordnete Tätigkeit bei der Gestapo ausgeübt und eine ordnungsmäßige Laufbahnausbildung als Beamter genossen habe, könne er weder den "Polizeipotentaten" des "Dritten Reiches" noch jenen "zahlreichen nicht vorgebildeten Elementen" gleichgestellt werden, die nach 1945 in den Staatsdienst aufgenommen worden seien, fasst das BVerfG den Vortrag des Ex-Gestapo-Beamten in seinem Beschluss zusammen.

Dass sich der Beschwerdeführer auf den Gleichheitssatz des GG berief, wurde vom BVerfG nachgerade dankbar aufgegriffen, bot es den Richtern doch Gelegenheit, nochmals Aussagen zur Stellung des Beamten im Wechsel vom NS-Staat zur Ordnung der Bundesrepublik Deutschland treffen zu können – um sich damit gegenüber dem Bundesgerichtshof (BGH) und der rechtswissenschaftlichen Literatur in Stellung zu bringen.

BVerfG gegen BGH und Literatur

Vereinfacht formuliert bestand der Konflikt unter den hohen Gerichten der deutschen Jurisprudenz in Folgendem: Der BGH und namhafte Professoren des öffentlichen Rechts gingen davon aus, dass eine Art festes Wesen des Berufsbeamtentum trotz der Umbrüche während der NS-Zeit fortbestanden habe. Ein Ausschluss aus diesem heiligmäßigen Kreis der deutschen Beamtenschaft wäre dann nur bei Nachweis persönlicher Schuld möglich gewesen oder allenfalls dann, wenn die NSDAP einem ihrer Leute zusätzlich zu seiner Parteifunktion noch ein damit verbundenes Beamtenverhältnis geschenkt hätte.

Dagegen argumentierte das BVerfG: "Nicht die parteipolitisch 'neut-ralen' vornationalsozialistischen Beamtenverhältnisse haben bis zum 8. Mai 1945 bestanden und sind zu diesem Zeitpunkt erloschen, sondern die durch die nationalsozialistische Gesetzgebung umgestalteten Beamtenverhältnisse nationalsozialistischer Prägung. Die ursprünglich in parteipolitischer Neutralität allein zum Staate bestehenden Beamtenverhältnisse waren in der Tat zu einem weit vor dem 8. Mai 1945 liegenden Zeitpunkt beseitigt, d.h. zu Beamtenverhältnissen nationalsozialistischer Prägung umgestaltet worden."

Gegen die Konstruktion eines überzeitlichen Beamtentums erklärten die Verfassungsrichter: "Es ist ein begriffsjuristischer Irrweg, von einem gewissermaßen über- oder vorstaatlichen Begriff des Berufsbeamtentums auszugehen und von dieser Grundlage aus die rechtliche Unmöglichkeit einer inhaltlichen Umgestaltung oder die Unmöglichkeit grundsätzlich verschiedenartiger rechtlicher Gehalte von Beamtenverhältnissen eines konkreten Staates zu folgern." Kurzum: Staatliche Systeme könnten sehr wohl die Regeln und Voraussetzungen für das Beamte ändern, so das BVerfG – was in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft eben passiert ist.

Ausschluss nur Symbolpolitik

Diese Annahme eines an seiner Substanz von rechtsstaatlichen Regeln losgelösten, an sich schadhaften NS-Beamtenverhältnisses erlaubte dem Bundesverfassungsgericht, frühere Gestapo-Beamte von Gleichheitserwägungen nach Art. 3 GG grundsätzlich auszunehmen.

Mit seiner Auffassung zum Beamtenstatus zwischen 1933 und 1949 öffnete das BVerfG dem Gesetzgeber damit freilich Spielräume, die den politischen Zielen der Bundesregierung zuwiderliefern – gutes Personal war eben auch damals schwer zu finden.

Darüber hinaus war etwa der Ausschluss der vormaligen Gestapo-Beamten von den Vorzügen des 131er-Gesetzes bereits gar nicht so weitgehend, wie der Streitfall nahelegte: § 67 des 131er-Gesetzes schrieb vor, dass für Beamte, die aus einer anderen Dienststelle zur Gestapo, der Waffen-SS oder dem Abhördienst versetzt worden waren, zu fingieren sei, in ihrer ursprünglichen "sauberen" Behörde geblieben zu sein. Nach § 72 waren auch Gestapo-Leute bei der Rentenversicherung nachzuversichern.

Da die 1933 gegründete Geheime Staatspolizei vielfach Personal aus anderen, vermeintlich "unbefleckten" Polizeibehörden rekrutiert hatte, negierten die §§ 67, 72 des 131er-Gesetzes einen Gutteil dessen, was der Gestapo-Ausschluss in seinem § 3 zu versprechen schien – klassische Symbolpolitik.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freischaffender Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Das "131er-Gesetz": Die Inklusion von NS-Beamten . In: Legal Tribune Online, 19.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22140/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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