Das Examen mit Handicap
Im November 2016 hat die Justizministerkonferenz (JuMiKo) den Bericht ihres Koordinierungsausschusses (KOA) zur Reform des Jurastudiums abgesegnet. Danach sollen der Zeit- und Prüfungsaufwand für das Schwerpunktstudium auf 16 Semesterwochenstunden (SWS) beziehungsweise drei Prüfungsleistungen reduziert werden. Auch soll die Note nur noch zu 20 anstatt wie bisher mit 30 Prozent in das Ergebnis der ersten juristischen Prüfung zählen. Zudem ist geplant, den Pflichtstoff in beiden Staatsexamen zu reduzieren. Im Herbst 2017 soll der KOA wieder an die JuMiKo berichten und bis dahin Kritik und Anregungen aus Lehre und Praxis berücksichtigen. Genug Zeit, um Experten zu Wort kommen zu lassen. Prof. Dr. Christian Wolf ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht sowie deutsches, europäisches und internationales Zivilprozessrecht an der Leibniz Universität Hannover und Mitherausgeber der JA. Regelmäßig betreut er Teams während der Teilnahme an zahlreichen Moot Courts und setzt sich auch für diese ein. Seiner Auffassung nach verzerrt das Schwerpunktstudium den Leistungswettbewerb unter den Prüflingen. Und wenn es nach ihm ginge, müsste noch etwas ganz anderes als der Pflichtstoffkatalog entschlackt werden:
2/3: Ein Wettbewerb mit Handicap
"Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen" lautet der Untertitel des KOA-Berichts. Zu Recht verdeutlicht er bereits eines von mehreren Hauptproblemen der derzeitigen Juristenausbildung. Die letzte Reform der Juristenausbildung aus dem Jahr 2003 stand ganz im Zeichen einer falsch verstandenen Wettbewerbspolitik: Im Staatsexamen geht es um den Leistungswettbewerb der Studierenden, nicht den der Fakultäten! Am Ende von Studium und Referendariat steht die Befähigung zum Richteramt und damit der Zugang zu den regulierten Berufen. Das Ergebnis im zweiten Staatsexamen entscheidet über die Einstellung in den Justizdienst und legt damit die Grundlage für eine gleiche Rechtsbeherrschung und Anwendung des Rechts durch die Gerichte. Früher war daher auch der Begriff "Staatskonkurs" für das Staatsexamen geläufig. Der Begriff leitet sich aus dem französischen "concours" (Wettbewerb) ab. Mit dem Wettbewerbsgedanken ist es aber nicht vereinbar, wenn die Wettbewerbsbedingungen nicht halbwegs gleich sind. Die Ergebnisse verschiedener 100-Meter-Läufe, bei denen die Rennstrecke einmal 95 und ein anderes Mal 110 Meter beträgt, sind nicht vergleichbar. Unterschiedliche Prüfungsbedingungen stehen daher der Idee des Wettbewerbs diametral entgegen. Mit anderen Worten: Ein Wettbewerb der Studierenden und ein Wettbewerb der Fakultäten – beziehungsweise in der Sprache der neoliberalen Bildungsbürokraten: Profilierung - passen nicht zusammen. Es ist daher richtig, dass die Justizminister-konferenz nach gut dreizehn Jahren das Thema Harmonisierung auf die Tagungsordnung setzt. Denn an keiner Stelle wird das Wettbewerbsprinzip so verletzt wie in der Schwerpunktbereichsprüfung.Zurück zum Wahlfach
Eindrucksvoll belegt der Bericht, dass im Grunde von einer Wettbewerbsgleichheit bei den Schwerpunkten nicht mehr die Rede sein kann. Zu unterschiedlich sind die Prüfungsanforderungen und der Studienumfang. Eine Vergleichbarkeit besteht noch nicht einmal innerhalb eines Bundeslandes. So müssen etwa an der Universität Gießen nur zwei Prüfungsleistungen im Schwerpunkt erbracht werden während es in Frankfurt a. M. sieben sind. Richtig wäre, zum alten System der Wahlfachklausur zurückzukehren. Dabei ist zwischen dem in den Schwerpunkten gelehrten Fächerkanon und der Prüfungsorganisation zu trennen. Selbstverständlich müssen die in den Schwerpunkten vermittelten Fächer auch weiterhin an den Universitäten in Forschung und Lehre vertreten sein. Nur so trägt man dem für die deutsche Rechtswissenschaft charakteristischen Dialog von Wissenschaft und Praxis Rechnung. Dies haben aber auch die alten Wahlfächer sichergestellt. Die Teil- und Unterdisziplinen, wie Kapitalgesellschaftsrecht oder Insolvenzrecht wurden früher statt im Schwerpunktbereich als Teil des ersten Staatsexamens mit einer zusätzlichen Wahlfachklausur und/oder als viertes Fach im mündlichen Examen geprüft. Mit der Rückkehr zu den Wahlfächern würden die Wettbewerbsbedingungen wieder fairer und die Kapazität und Energie, welche die Fakultäten heute in die Schwerpunkte stecken, würde wieder angemessen gewürdigt. In der Praxis nämlich wird den Schwerpunktnoten kaum Beachtung geschenkt, zu sehr divergieren die Ergebnisse zwischen staatlichem und universitärem Teil der ersten Juristischen Prüfung. Laut KOA-Bericht haben in 2014 17,2 Prozent der Prüfungsteilnehmer in allen Bundesländern im staatlichen Teil der ersten Juristischen Prüfung ein Prädikatsexamen erzielt, in den Schwerpunkten waren es satte 55,1 Prozent.Das Verstehen, nicht das Auswendiglernen fördern
Der Bericht des KOA spricht sich des Weiteren für eine Reduzierung des Prüfungsstoffs in der ersten Juristischen Prüfung und im zweiten Staatsexamen aus. In der Diskussion wird man zwar jedem Fachvertreter, der für den ungeschmälerten Erhalt seines Fachs eintritt, leicht Befangenheit vorwerfen können. Wenig überzeugend ist in dem Zusammenhang allerdings auch der Hinweis auf die hohe praktische Bedeutung des eigenen Fachs. Den Gedanken konsequent zu Ende gedacht, müsste man wohl in das Zentrum der juristischen Ausbildung das Straßenverkehrsrecht und den Bußgeldkatalog stellen - Denn kaum ein anderes Rechtsgebiet kommt in der Praxis so häufig vor. Richtig scheint vielmehr bei der Funktion der Rechtsdogmatik anzusetzen, also der systematischen Aufbereitung des Rechtsstoffs für die Fallbearbeitung durch einen Dialog von Wissenschaft und Praxis. Ziel der Rechtsdogmatik ist es, den Studierenden in die Lage zu versetzen, auch eine ihm unbekannte Rechtsfrage einer wissen-schaftlich fundierten Lösung zuzuführen.3/3: Orientierungswissen schaffen
Aus der genannten Kritik lassen sich drei Konsequenzen ableiten: Erstens: Zwar erfolgt die Vermittlung des rechtsdogmatischen Verständnisses in dafür besonders geeigneten ausgewählten Rechtsgebieten, wie etwa dem Pfand- und Hypothekenrecht. Aufgabe des Studiums ist es aber auch, eine bestimmte Breite als Orientierungswissen zu vermitteln. Schon heute trägt das Deutsche Richtergesetz (DRiG) dem Rechnung, indem es die Vermittlung der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen in den drei Hauptdisziplinen fordert. Dies lässt sich auf die Fachdisziplinen ausdehnen. Um ein Beispiel zu nennen: Man muss keine Details zum kollektiven Arbeitsrecht prüfen, aber ein Grundverständnis, ob der Tarifvertrag Ausdruck delegierter Recht-setzungskompetenz oder kollektiv wahrgenommener Privatautonomie ist, muss zur juristischen Allgemeinbildung gehören. Auch lässt sich kaum die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zum Mitbestimmungsgesetz von 1979 vermitteln, ohne gleichzeitig ein Grundverständnis von Unternehmensmitbestimmung und betrieblicher Mitbestimmung vorauszusetzen. Ob ein Fall ein rechtliches Problem ist, ergibt sich nur aus einer Gesamtschau der Rechtsordnungen. Daher ist ein bestimmtes breites Orientierungswissen unabweislich. Hierzu gehört aber auch, dass neue Formen von Überblicksvorlesungen entwickelt werden, in denen das Orientierungswissen vermittelt wird. Eine Reduzierung des Stoffs kann und sollte nicht nur durch Streichung bestimmter Themengebiete erfolgen, sondern auch durch einen Verzicht auf Detailkenntnisse und durch die Qualität und den Mut der Korrektoren, auch Lösungen als richtig zu akzeptieren, die eigenständig ohne Detailkenntnisse der Rechtsprechung entwickelt wurden und von der Lösungsskizze abweichen.Die Krux mit der Zweiten Examensprüfung
Zweitens: Das zweite Staatsexamen ist derzeit eine Kopie der ersten Juristischen Prüfung, angereichert mit ein paar Zunftbräuchen, zum Beispiel um den Aufbau des Urteils, und erweitertem Stoffkanon bei deutlich schlechteren Vorbereitungsbedingungen. Zwischen den in den einzelnen Referendarstationen abverlangten praktischen Leistungen und der weitgehend theoretischen Prüfung des zweiten Staatsexamens besteht kaum ein innerer Zusammenhang. Auch sind die Referendar-Arbeitsgemeinschaften (AG) von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich ausgestattet: Hier hauptamtliche Arbeitsgemeinschaftsleiter, dort lediglich nebenamtliche. Hier eine durchgehende Justiz-AG, dort lediglich eine Justiz-AG während der entsprechenden Station. Dem Bericht des KOA hätte es gut getan, sich auch dieses Themas anzunehmen. Referendariat und zweites Staatsexamen gehören in den Fokus der Diskussion gerückt. Dabei sollte grundsätzlich im zweiten Staatsexamen kein über die erste Juristische Prüfung hinausgehender Stoff abverlangt werden. Für eine Stofferweiterung bietet das Referendariat die denkbar schlechtesten Voraussetzungen.Wissenschaftlichkeit des Studiums hängt nicht an den Schwerpunkten
Drittens würde nicht eintreten, was viele Befürworter der Schwerpunkte befürchten: Der wissenschaftliche Charakter des Jura-Studiums würde nicht durch die Abschaffung der Schwerpunkte in Frage gestellt. Wohl aber hat der wissenschaftliche Charakter durch eine zunehmende Verschulung des Studiums und die Überbetonung von Softskills gelitten. Im Gegensatz zu anderen Wissenschaftsdisziplinen hat die Rechtswissenschaft keinen außerhalb der Sprache liegenden Gegenstand, konstituiert doch die Sprache selbst das Fach. Man kann daher Rhetorik nicht auf universitäre Schlüsselqualifikationszentren auslagern. Gefragt sind vielmehr Grundlagenseminare und die kritische Diskussion im rechtswissenschaftlichen Seminar. Auch trägt die Abschaffung der Hausarbeit (in der großen Übung ganz oder nur noch in zwei Teildisziplinen) zur Verflachung des Studiums bei. Ein Vergleich der im Studium zu erbringenden Leistungen und deren Voraussetzungen fehlt in dem Bericht des KOA noch. Auch hier besteht Harmonisierungs- und – was die sogenannten Softskills anbetrifft – Entschlackungsbedarf.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2017 M02 16
Justiz
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