Gar nicht mal so britisch
Bangkok, Lilongwe, Jerusalem – wer sich schlau macht, kann als Referendar bei den verschiedensten Ausbildern schon ziemlich entfernte Gegenden kennenlernen. Die englische Stadt Leeds, die zwar nur knapp 500.000 Einwohner hat, jedoch nach London das zweite Finanzzentrum Großbritanniens ist, zählt aus deutscher Perspektive zwar nicht zu diesen ungewöhnlichen Kandidaten "vom anderen Ende der Welt". Für eine Stage im Referendariat eignet sie sich aber trotzdem bestens, findet Katharina Schwind. Sie hat dort bei der internationalen Großkanzlei DLA Piper die dreimonatige Wahlstation verbracht – wenn auch über Umwege. Denn ein Modell wie das deutsche Rechtsreferendariat kennen die Briten nicht, berichtet die 29-Jährige: "In Großbritannien steigen Absolventen stattdessen nach ihrem rechtswissenschaftlichen Studium über ein Trainee-Programm in das Berufsleben ein." Man könne also nicht davon ausgehen, dass die anwaltlichen Stationsausbilder mit der deutschen Juristenausbildung so vertraut sind wie anderswo, etwa beim Auswärtigen Amt oder bei internationalen Gerichten. So stellte zunächst ein deutscher Partner der Kanzlei den Kontakt zu den britischen Kollegen her. Dieser kannte Schwind, weil sie hierzulande bereits in der Rechtsanwaltsstation sowie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin für DLA tätig war. Ihre ausgeprägten Kenntnisse in einem für internationale Wirtschaftskanzleien attraktiven Rechtsgebiet – dem Energierecht – taten ihr Übriges: Schwind bekam zügig eine Zusage und konnte damit beginnen, ihren Aufenthalt zu planen.
Leeds Pride Parade mit den Kollegen
Da der Brexit noch nicht vollzogen ist, sei der organisatorische Aufwand überschaubar gewesen: "Im Wesentlichen ging es 'nur' um die Wohnungssuche", so Schwind. Über ein einschlägiges Online-Portal fand sie schnell eine Wohnung nebst Mitbewohner, einem jungen Ingenieur aus Dubai. Nach ihrer Ankunft beobachtete sie ebenso schnell, dass es "absolut üblich" sei, dass sich junge Menschen für ihre Aufenthalte in Leeds regelmäßig Wohnungen teilten. Doch auch wenn sie einen Mitbewohner hatte und Leeds nicht London ist – die Preise hatten es dennoch in sich: "Im Monat habe ich 680 britische Pfund Miete gezahlt" – also rund 770 Euro. Das entsprach auch in etwa dem, was ihr die Kanzlei im Monat pro Wochenarbeitstag zahlte.Immerhin: Von ihrer neuen Bleibe waren es nur zwei Gehminuten zum Büro. Das hatte nicht nur den Vorteil, nach Feierabend noch diverse Ausgehmöglichkeiten in der Nähe zu haben. Während ihres Aufenthalts hatte die Stadt auch spezielle Events zu bieten, erinnert sich Schwind: "Ein besonderes Highlight war sicherlich die Teilnahme an der 'Leeds Pride Parade' mit den Kollegen. Das hatte mit dem Stereotyp vom griesgrämigen Engländer mit Melone und Schirm wirklich überhaupt nichts gemein." Und auch der Besuch von Prinz Harry in Leeds war ein Erlebnis, das man nicht alle Tage macht.
"Richtige" Arbeit von Anfang an
Schwinds Bürozeit war von neun Uhr morgens bis halb sechs abends angesetzt. Allen schrecklichen Geschichten über die Arbeit in der Großkanzlei zum Trotz seien die auch überwiegend eingehalten worden, sagt Schwind: "Natürlich gab es auch Tage, an denen termingebundene Projekte es erforderten, länger zu bleiben. Das dürfte aber für den Anwaltsberuf generell nicht untypisch sein." Nun könnte man vermuten, dass sie als Referendarin eine Art Welpenschutz genossen habe. Schwind selbst hat ihre Arbeit jedoch nicht als weniger bedeutend und sich selbst als geachtetes Teammitglied erlebt: "Natürlich musste ich erst eingearbeitet werden", sagt sie. "Das haben die britischen Kollegen aber sehr sorgfältig gemacht. Schon kurz darauf habe ich mit der eigenen Arbeit begonnen, insbesondere bei der Vertragsgestaltung war ich stark involviert."Die Assessorkandidatin gibt allerdings auch zu: "Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Vor allem dachte ich, ich würde wesentlich mehr 'harmlose' Recherchearbeiten erledigen." Offenbar hat Schwind sich bewiesen, denn die letzten zweieinhalb Wochen ihres Aufenthalts durfte sie nach einem Gespräch mit der verantwortlichen Partnerin vom Energierecht vor Ort in die Corporate-Abteilung wechseln – "Eigeninitiative macht sich durchaus bezahlt", so Schwinds Erfahrung.
Wenn man sie fragt, was die größte Umstellung für sie gewesen ist, kommt die Antwort ohne zu zögern. "Das Case Law", sagt sie, "war für mich als deutsche Juristin eine interessante Erfahrung. Kodifiziertes Recht fehlt größtenteils, stattdessen arbeiten die englischen Kollegen viel anhand ihrer Erfahrung mit bestimmten Fällen." Dabei sei sie auch auf Besonderheiten gestoßen: "Schottland hat ein eigenes Recht. Viel ist dem britischen ähnlich, aber unterschiedliche Rechtsbegriffe für dasselbe Konstrukt können eine fiese Falle sein." Das sei dann doch ein bisschen so, wie man sich das Vereinigte Königreich vorstellt, findet Schwind.
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2017 M11 14
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