Was Großkanzleien von Bewerbern erwarten

Ohne Dop­pel­prä­d­ikat in die Groß­kanzlei?

von Dr. Franziska KringLesedauer: 4 Minuten

Wer nicht zwei Prädikatsexamen hat, hat in Großkanzleien keine Chance – das war zumindest lange so. Jetzt aber suchen Kanzleien händeringend Nachwuchs. Rücken sie deshalb von ihren alten Prinzipien ab? Wir haben nachgefragt.

Großkanzleien locken Berufsanfänger:innen mit sechsstelligen Einstiegsgehältern – und haben dementsprechend auch hohe Erwartungen: Exzellente Noten und sehr gute Englischkenntnisse sind ein Muss, sehr gerne gesehen sind zudem eine Promotion oder ein LL.M. sowie Auslandserfahrungen.  

Viele Berufeinsteiger:innen entscheiden sich aber mittlerweile auch bewusst gegen eine Karriere in der Großkanzlei. "Für viele Kandidaten, die auf dem Papier die Eintrittskarte in Großkanzleien haben, sind alternative Karrierewege attraktiver geworden", so Dr. Andreas Stadler, Co-Gründer und Geschäftsführer der juristischen Personalberatung clients&candidates. Vielen seien heutzutage eine gesunde Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig – und dafür wählen sie eher den Öffentlichen Dienst oder Inhouse-Positionen.   

Was aber bedeutet das für die Kanzleien und ihre Ansprüche an Bewerber:innen? Das wollten wir genauer wissen und haben bei 50 Großkanzleien nachgefragt – und immerhin von 39 Kanzleien innerhalb der gesetzten Frist überhaupt Antworten bekommen, sieben davon wollten die Fragen nicht beantworten. Über Noten spricht man nun mal nicht so gerne. 

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Doppelprädikat meist nur "wünschenswert" 

Auf die direkte Frage, ob potenzielle Associates in jedem Fall zwei Prädikatsexamen mitbringen müssen, antworteten die wenigsten der befragten Kanzleien mit einem eindeutigen "Ja". Freshfields, Clifford Chance, Mayer Brown, SZA Schilling Zutt & Anschütz und DLA Piper setzen das nach eigenen Angaben zwingend voraus.  

Flick Gocke Schaumburg, Allen & Overy, Baker McKenzie, Görg, Norton Rose Fulbright, SKW Schwarz, Advant Beiten, Linklaters, Hogan Lovells*, Pinsent Masons, Taylor Wessing, Orth Kluth, Bird & Bird und White & Case finden zwei Prädikatsexamen "wünschenswert", "ideal" oder "erfreulich", lassen aber begründete Ausnahmen, etwa bei relevanten Vorerfahrungen oder Auslandserfahrungen, zu. Bei Taylor Wessing gilt die "Zwei-aus-vier-Regel", das heißt, dass man ein fehlendes Prädikatsexamen durch eine Promotion oder einen LL.M.-Abschluss ausgleichen kann. Für eine Tätigkeit bei Kapellmann ist mindestens ein Prädikatsexamen erforderlich. 

Manche Kanzleien geben auch feste Mindestpunktzahlen aus einem oder eine Gesamtpunktzahl aus beiden Staatsexamen vor. Allen & Overy etwa erwartet insgesamt 18 Punkte aus beiden Staatsexamen – die kann man natürlich auch durch sieben Punkte im Ersten und elf Punkte im Zweiten Staatsexamen erreichen. Anwält:innen bei K&L Gates müssen mindestens 17 Punkte in beiden und nicht weniger als acht Punkte je Examen haben, letzteres setzt auch GvW Graf von Westphalen voraus. Bei Noerr sind zwei Prädikatsexamen "sehr erwünscht", ein schwächeres Examen lasse sich jedoch durch einen Auslandsaufenthalt, einen LL.M. oder eine Promotion "etwas bereinigen", insgesamt sollten es jedoch mindestens 17 Punkte sein. Dentons fordert jeweils mindestens 7,5 Punkte, Fieldfisher zwei Examen im "oberen befriedigenden Bereich". 

Andere Kanzleien wollen sich nicht auf eine Punktzahl festlegen: CMS Hasche Sigle und Greenberg Traurig fordern "hervorragende Examen", Raue stellt nur "ausgezeichnete Juristen" ein und bei Hengeler Mueller spielt die Examensnote "eine wichtige Rolle". Die Examen der Anwält:innen bei Watson Farley & Williams und bei Heuking Kühn Lüer Wojtek müssen "überdurchschnittlich" sein. Osborne Clarke hat "realistische Erwartungen" an Bewerber:innen. 

Litigation ist beliebt, Finance weniger 

Diese Formulierung verdeutlicht die Situation auf dem Bewerbermarkt: Viele der teilnehmenden Kanzleien sprechen von "branchentypischen" Herausforderungen. Die meisten Kanzleien haben dauerhaft Vakanzen, die sie besetzen müssen – das dauert aber, denn die wenigen Kandidat:innen, die das Anforderungsprofil erfüllen, können sich den Arbeitgeber oft aussuchen, erklärt Stadler.  

Dabei kommt es allerdings auch auf den Standort der Kanzlei und auf die Praxisgruppe an. "Der Bereich Litigation/Arbitration etwa ist bei Bewerbern traditionell sehr beliebt – die Praxen in den Kanzleien jedoch meist nicht entsprechend der vergleichsweise höheren Bewerberzahlen größer. Deshalb sind die Anforderungen an Bewerber hier nach wie vor sehr hoch", ergänzt er. Zum Beispiel im Bereich Finance – gerade am Frankfurter Standort – müssen Kanzleien dagegen kompromissbereiter sein. Das wollen schlicht weniger Bewerber:innen machen, und das Angebot bestimme die Nachfrage. Beliebte Standorte seien hingegen Berlin und Hamburg. 

Bei den Notengrenzen gibt es deshalb durchaus Spielraum. Auffallend ist, dass nur eine der teilnehmenden Kanzleien offen bekundete, die Notengrenzen in den vergangenen Jahren nach unten angepasst zu haben. Das sieht in der Justiz, die unter einem Nachwuchsmangel leidet, schon anders aus: Mehrere Bundesländer hatten Anfang des Jahres 2023 angegeben, unter anderem die Notenschwellen gesenkt zu haben, um diesem entgegenzuwirken.  

Doktortitel prestigeträchtiger als LL.M. 

Natürlich spiegeln Noten im Regelfall die juristischen Fähigkeiten einer Person wider. In vielen Partnerschaftsverträgen sind zudem die Mindestanforderungen an Associates und Partner:innen geregelt, allerdings gibt es dort natürlich auch Ausnahmetatbestände, erklärt Stadler. So könnten beispielsweise fehlende Prädikatsexamen durch Dr. oder LL.M. oder einschlägige fachliche Vorerfahrungen aus Topkanzleien kompensiert werden, wie es viele Kanzleien auch praktizieren. 

Insgesamt kommt es den meisten Kanzleien jedoch auf den Gesamteindruck an. In den großen Wirtschaftskanzleien sind sehr gute Englischkenntnisse mittlerweile ähnlich wichtig wie hervorragende Staatsexamen. Eine Promotion ist natürlich gern gesehen, Einstiegsvoraussetzung ist sie jedoch nur noch in den wenigsten Kanzleien. "Ein LL.M. ist als Titel nicht so prestigeträchtig wie ein Doktortitel, kann aber natürlich Sprachkenntnisse belegen, wenn er im englischsprachigen Ausland erworben wurde", sagt Stadler. 

Daneben freuen sich Kanzleien über Vorkenntnisse im jeweiligen Rechtsgebiet sowie Arbeitserfahrungen in Großkanzleien, zum Beispiel durch Stationen im Referendariat. So kann man schon frühzeitig einen ersten Eindruck davon bekommen, ob man in der Großkanzleiwelt richtig ist.  

Zukunftsthemen wie die Energiewende und die Digitalisierung werden auch für die Kanzleien immer wichtiger, deshalb sollte man demgegenüber aufgeschlossen sein. Letztlich muss es zwischen der Kanzlei und dem Kandidaten aber einfach passen.

*Geändert am 22. August, 16:30 (Red.).

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