Erste Umfrage unter Referendaren

Mehr als 90 Pro­zent leiden unter psy­chi­schem Druck

von Tamara WendrichLesedauer: 5 Minuten

Nicht nur das Jurastudium, sondern auch das Referendariat ist reformbedürftig. Was schon lange bekannt war, wird nun erstmals durch vernichtendes Feedback bestätigt. Das hat die Referendariatskommission ermittelt.

Als sie den Online-Fragebogen erstellte, rechnete die Referendariatskommission (RefKo) nur mit wenigen Rückmeldungen. Sie wollte höchstens einige Zitate veröffentlichen, um auf den psychischen Druck und die Missstände im Referendariat hinzuweisen. 

Doch das "Feedback war unerwartet und überwältigend", berichtet Andreas Knecht und die als kleine Umfrage geplante Erhebung wurde zum Selbstläufer. Der Volljurist ist eines von sechs gewählten Mitgliedern der RefKo, einer überparteilichen Interessenvertretung für Referendare. Zwischen März und Juni 2024 nahmen insgesamt 698 Referendare an der Umfrage teil

Denn bislang gab es für das Referendariat – anders als für das Jurastudium – keine Umfragen oder Daten zum psychischen Druck, erklärt Knecht. Das wollte die RefKo ändern. Ihr Online-Fragebogen wurde deutschlandweit unter anderem über Personalvertretungen und Arbeitsgemeinschaften an Referendare verbreitet. Dabei wurden 13 Fragen gestellt, auf die größtenteils mit einem Freitext geantwortet werden konnte. Die Befragten konnten zum Beispiel erklären, ob und wie sie psychischen Druck empfinden, auf was sie diesen zurückführen, ob sie Hilfsangebote kennen und ob sie eine Reform des Referendariats sinnvoll finden.

Trotz ihrer geringen personellen Ressourcen entschied sich die RefKo, die Antworten im Nachgang systematisch aufzuarbeiten. Die Freitextantworten wurden kategorisiert und zusammengefasst, sodass Prozentangaben möglich wurden. Die Umfrage ist zwar nicht repräsentativ, bildet aber ein eindeutiges Stimmungsbild ab – und zwar kein positives. So gaben 91,8 Prozent der Befragten an, unter psychischem Druck zu leiden. Bei den Frauen waren es sogar 96,8 Prozent.

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Prüfungsdruck, Zukunftsängste und finanzielle Sorgen

"Einige Aussagen haben mich tief bewegt. Zu lesen, dass jemand infolge des Referendariats an einer mittelschweren Depression erkrankt ist, lässt einen nicht unberührt", sagt Knecht.

Zu den Stressoren gehören vor allem die Mehrfachbelastung (33,7 Prozent), der Prüfungs- und Zeitdruck (24,1, bzw. 23,4 Prozent), Zukunftsängste durch die hohe Abhängigkeit von Examensergebnissen (16 Prozent), finanzielle Sorgen (11,3 Prozent) und die schlechte Organisation des juristischen Vorbereitungsdienstes durch kurzfristige Änderungen von AG-Zeiten und Orten (10,2 Prozent).

Aber auch fehlende Materialien zur Vorbereitung oder Einarbeitung in Stationen, sowie respektlose oder rassistische Aussagen durch Ausbilder wurden genannt.  

"Seit dem 15. Ausbildungsmonat nehme ich Antidepressiva" 

Dies führt zu immensen gesundheitlichen Auswirkungen. So gaben 40,1 Prozent der Referendare an, unter Schlafstörungen zu leiden. Viele trifft es aber noch härter. 16,7 Prozent leiden an Angstzuständen, 12,8 Prozent leben in innerer Unruhe und 9,7 Prozent berichten von depressiven Verstimmungen. 

Eine Person schreibt: "Seit dem 15. Ausbildungsmonat nehme ich Antidepressiva." Das sei die bisherige Spitze des Eisbergs. Schon zu Beginn habe sie mit Antriebslosigkeit und Motivationsmangel gehadert. In der vierten Station kamen psychosomatische Symptome wie Brustschmerzen dazu.

Insgesamt denken 27,4 Prozent der Referendare, also mehr als ein Viertel, darüber nach, den Vorbereitungsdienst abzubrechen.

Knecht findet das vor dem Hintergrund besonders erschreckend, dass "die Befragten sich zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal bewusst für die juristische Ausbildung entschieden haben – beim Studienbeginn und erneut mit dem Antritt des Referendariats. Damit haben sie üblicherweise schon mindestens fünf Jahre investiert, während andere den Weg bereits verlassen haben." Trotzdem einen Ausbildungsabbruch in Betracht zu ziehen und dadurch stark beschränkte Berufsmöglichkeiten in Kauf zu nehmen, verdeutliche das katastrophale Ausmaß. 

Die wenigsten kennen Unterstützungsangebote

Hilfe gibt es laut der Umfrage bisher kaum. Nur 4,5 Prozent kennen überhaupt Unterstützungsangebote. Darunter nennen sie Seminare, Gespräche mit dem Personalrat, Beratungsstellen, Sprechstunden, Workshops oder Ombudsstellen. 27,1 Prozent geben an, dass es unmöglich sei, mit Ausbildern oder Verantwortlichen über ihre Probleme zu sprechen. 

Über die Frage, ob die Umfrage denn auch etwas Positives zum Vorschein gebracht habe, muss Knecht kurz nachdenken. Er verweist darauf, dass der Großteil, nämlich 83,3 Prozent davon ausgehe, dass auch andere Referendare leiden. Für ihn zeigt das: "Die meisten wissen, dass es nicht an ihnen allein liegt, sondern auch am System – einem System, das enormen Druck erzeugt." Überrascht habe ihn das Ergebnis der Umfrage aber nicht, resümiert der Jurist. "Leider", fügt er hinzu.

Die RefKo schließt sich den 83,9 Prozent der Befragten an und hält das Referendariat in seiner aktuellen Form für stark reformbedürftig.

Handlungsappelle an die JuMiKo

Die Kommission hat daher auf Grundlage der Umfrageergebnisse und im Hinblick auf einen Reformwunsch vier Handlungsappelle unter anderem an die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) formuliert: 

Sie soll eine vertiefte Untersuchung durchführen und eine bundesweite repräsentative Studie in Auftrag geben. 

Daneben sollen Sofortmaßnahmen zur Unterstützung der Betroffenen eingeführt werden. Insbesondere sollten Ausbilder für den psychischen Druck sensibilisiert werden. 

Weiter muss der juristische Vorbereitungsdienst langfristig reformiert werden. Unterrichtsqualität und auch Vergütung von AG-Leitern muss zunehmen. Die Lernmaterialien müssen verbessert und der Prüfungsstoff reduziert werden. 

Letztlich bedarf es auch der Umsetzung konkreter Reformmaßnahmen. Hierfür schlägt die RefKo eine angemessenere Unterhaltsbeihilfe vor, die den Lebensunterhalt abdeckt. Außerdem sollte eine feste Zeitspanne zur Prüfungsvorbereitung (aktuell die sog. Tauchstation) eingeführt werden, um Chancengleichheit zu gewährleisten und den Zeitdruck zu reduzieren. Auch eine verdeckte Zweitkorrektur sollte es geben. Das bedeutet, dass bei der Zweitkorrektur weder Note noch Anmerkungen aus der Erstkorrektur bekannt sind. 

Belastung ist bekannt

Die JuMiKo hatte selbst in einem Bericht aus dem Frühjahr 2024 auf die psychischen Belastungen der Referendare hingewiesen. Der Bericht verweist dabei auf die "Breite und Tiefe der Ausbildung" und die "zwei anspruchsvollen juristischen Staatsprüfungen" (S. 74/75). 

Gerade weil manche Handlungsempfehlungen nicht neu sind, hofft Knecht, dass es zu einer Umsetzung kommt. Der Wunsch einer verdeckten Zweitkorrektur findet sich im Bericht der JuMiKo (S. 14) wider. 

2023 wurde die verdeckte Zweitkorrektur durch § 38 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Juristische Ausbildungs- und Prüfungsordnung (JAPO) Rheinland-Pfalz in dem Bundesland umgesetzt. 

Psychischen Druck enttabuisieren

Was er betroffenen Referendaren schon jetzt empfehlen kann, weiß Knecht sofort: "Sprecht mit anderen darüber, tauscht euch aus und nehmt Hilfe in Anspruch, wenn ihr sie braucht." Er hofft, dass das Thema "psychischer Druck" durch mehr Austausch enttabuisiert wird. Auch weist er darauf hin, dass eine professionelle Psychotherapie einer späteren Verbeamtung meist nicht im Weg stehe – ein Irrglaube, dem viele Juristen noch unterliegen. 

Er wünscht sich, dass der offensichtliche Reformbedarf endlich ernst genommen kommen und eine Ausbildung geschaffen wird, die angehende Volljuristen fachlich und persönlich auf ihre späteren Berufe vorbereitet und sie nicht krank macht. 

Die RefKo unterstützt die Landes-Personalvertretungen der Referendare, zum Beispiel bei der Abgabe von politischen Stellungnahmen. Es findet jährlich eine Versammlung statt, an der sämtliche Referendare teilnehmen, miteinander diskutieren und Workshops besuchen können. Die nächste ist am 26. April 2025 in Frankfurt am Main

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