"Ich bezeichne mich selbst gerne als Nerd"
LTO: Was machen Sie beruflich?
Katharina Bisset: Die Frage ist bei mir gar nicht so leicht zu beantworten – am meisten Zeit verbringe ich aber damit, Anwältin in Österreich zu sein. Ich bin auf die Bereiche IP/IT, Datenschutz und Medienrecht spezialisiert, also habe ich einen klaren Tech-Fokus.
Außerdem unterrichte ich regelmäßig an verschiedenen Fachhochschulen in Wien und bin im Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer.
Daneben bin ich Co-Founderin und Geschäftsführerin der Legal-Tech-Unternehmen NetzBeweis und Nerds of Law.
Auf Ihrer Homepage bezeichnen Sie sich als "Multipotentialite". Was kann man sich darunter vorstellen?
Der Begriff stammt nicht von mir, aber ich habe in einem Buch davon gelesen und fand ihn für mich sehr passend. Er bezeichnet Menschen, die viele Dinge machen (können). So war es bei mir: Jura war immer mein Fokus, aber nie meine einzige Beschäftigung. Ich bin so etwas wie ein "moderner Renaissance-Mensch".
Das ist bei vielen Kolleg:innen anders, die sich immer auf Jura konzentriert haben: Studium, dann vielleicht noch ein LL.M oder eine Promotion.
Ich habe immer mehrere Sachen parallel gemacht. Ich war sehr früh auch technisch interessiert, wollte aber zunächst Jura studieren. Mittlerweile habe ich aber noch einen Master in Business Process Management and Engineering gemacht.
Als "Nerd" musste ich oft Screenshots der Hasskommentare anfertigen
Unter anderem haben Sie das Legal-Tech-Unternehmen NetzBeweis gegründet und ein Tool entwickelt, das die Beweissicherung bei Hasskommentaren im Netz erleichtern soll. Wie funktioniert NetzBeweis?
Mit unserem Beweissicherungstool kann man rechtswidrige Inhalte mit einem Klick sichern, unabhängig davon, ob diese auf einer Website veröffentlicht worden sind oder beispielsweise bei Social Media gepostet worden sind. Am Ende erhält man eine fertige pdf, die man als Beweis im Gerichtsverfahren vorbringen kann.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Katharina Bisset...
… hat eine eigene Kanzlei in Österreich
… hat mit NetzBeweis 100.000 Euro bei der Höhle der Löwen eingesammelt
… ist Host des Podcasts "Nerds of Law"
… ist Unternehmerin des Jahres in Österreich in der Kategorie Start-ups
Ich bin schon lange im Medien- und IT-Recht tätig und war in den Kanzleien und auch in meiner Ausbildung als "Nerd" oft diejenige, die die Screenshots anfertigen musste – und darauf achten musste, dass diese auch alle Daten enthalten. Das fand ich sehr mühsam. Gerade bei langen Homepages musste ich 20 oder 30 Screenshots anfertigen und in ein Word-Dokument einfügen.
Vor zwei Jahren habe ich an einem "Legal Hackathon" der Uni Wien teilgenommen und bin dort mit einem der Mentoren, dem Legal-Tech-Programmierer Thomas Schreiber, ins Gespräch gekommen. Ich hatte schon die erste Idee für NetzBeweis und er hat mich ermutigt, daraus mehr zu machen. Er hat dann das Tool gemeinsam mit einem weiteren Softwareentwickler entwickelt. Neben den IT-Kollegen und mir war noch der Anwalt Michael Lanzinger beteiligt. Vor eineinhalb Jahren ist die erste Mini-Version von NetzBeweis an den Start gegangen – und seitdem haben sich die Ereignisse überschlagen.
Zum Beispiel waren Sie mit NetzBeweis vor einigen Monaten auch bei der Höhle der Löwen. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?
Die Aufzeichnung hat bereits im vergangenen Jahr stattgefunden, aber die Ausstrahlung war im Mai. Das war eine verrückte Zeit: die vielen Bewerbungsrunden und wir mussten uns mit Dingen beschäftigen, über die wir uns vorher noch gar keine Gedanken gemacht hatten, zum Beispiel mit der Bewertung unseres Unternehmens. Für Jurist:innen sind Zahlen ja immer fürchterlich. Die Erfahrung hat uns einen Push gegeben: Aus einer fixen Idee konnte ein Business werden.
Nils Glagau und Carsten Maschmeyer haben dann für 90.000 Euro 15 Prozent der Unternehmensanteile gekauft, Nico Rosberg hat zudem 10.000 Euro gespendet. Zunächst durften wir aber bis zur Ausstrahlung darüber nicht reden, alles lief im Hintergrund. In die Show gegangen sind wir mit einer Mini-Version unseres Tools, mittlerweile sind wir viele Versionen weiter und haben ein Browser Plugin. Dass wir schon damals überzeugen konnten, hat uns sehr glücklich gemacht.
Was hat sich seit der Aufzeichnung getan?
Das Geld gibt uns die Möglichkeit, das Tool weiterzuentwickeln, zum Beispiel das Browser-Plugin einzuführen und Partner in Deutschland und der Schweiz zu finden – ansonsten wären wir heute nicht so weit, wie wir sind.
Schon im vergangenen Jahr konnten wir einige Kund:innen gewinnen, nach der Ausstrahlung sind es natürlich noch deutlich mehr. Hauptsächlich bedienen wir Anwältinnen und Anwälte. Die ursprüngliche, "kleine" Version von NetzBeweis, das Webformular, gibt es immer noch, allerdings kann man damit nur Inhalte öffentlicher Websites sichern. Für Betroffene ist das Formular kostenlos. Vereinzelt kommen aber Privatpersonen zu uns, die beispielsweise WhatsApp-Chats sichern möchten.
"Wir Nerds sollten etwas über Legal Tech erzählen"
Zusammen mit dem Anwalt Michael Lanzinger haben Sie die "Nerds of Law" gegründet. Was kann man sich darunter vorstellen?
Michael und ich sind beide sehr "nerdig" – deshalb sind wir gefragt worden, ob wir nicht etwas über Legal Tech erzählen möchten. Vor zwei, drei Jahren konnten sich viele darunter noch gar nichts vorstellen und wir wurden eingeladen, um in Workshops über unsere Arbeit zu erzählen.
Aus dieser Idee ist "Nerds of Law" entstanden. Wir waren in verschiedenen Kanzleien tätig, wollten unser Projekt aber nicht unter den Kanzleinamen vermarkten. Wir haben uns dann entschieden, einen Podcast zu machen. Ich podcaste schon sehr lange, hatte aber zu der Zeit keinen Podcast. Wir haben dann angefangen, Legal-Tech-affine Personen zu interviewen – und mittlerweile sind wir breiter aufgestellt und sprechen mit Personen, von denen man unserer Meinung nach etwas lernen kann: etwa in den Bereichen Marketing oder Finanzen. Mit Nerd of Law bündeln wir Workshops, Publikationen, Vorträge, den Podcast und weitere Angebote unter einer gemeinsamen Marke.
Also bezeichnen Sie sich selbst als Nerd?
Absolut. Ich verstehe gar nicht, wieso der Begriff teilweise negativ aufgefasst wird – ich bezeichne mich gerne so.
"Es ist wichtig, Nein zu sagen"
Was mögen Sie an Ihrem Jobs am liebsten?
Eindeutig die Freiheit, mir meine Zeit einteilen zu können. Ich arbeite zwar viel, aber für mich ist es trotzdem noch anders als beispielsweise in einer Großkanzlei mit Umsatzdruck.
So kann ich mir aussuchen, welcher Aufgabe ich wann nachgehe – und ob ich mehr oder weniger arbeite und dementsprechend Geld verdiene. Das ist eine große Verantwortung, aber auch eine große Freiheit.
Eigene Kanzlei, Podcast, Legal Tech-Unternehmerin – wie schafft man das alles?
Anfangs habe ich es sicherlich übertrieben, aber mittlerweile arbeite ich deutlich weniger als beispielsweise Anwältinnen und Anwälte in Großkanzleien. Eines der wichtigsten Dinge, die ich gelernt habe, ist es, "nein" zu sagen. Ich finde viele Projekte spannend und tendiere dazu, immer zuzusagen – aber das geht nicht immer und so sage ich auch mal Vorträge ab.
Ich habe mich auch in meinen Rechtsbereichen in der Kanzlei eingeschränkt und konzentriere mich auf mein Kerngeschäft.
Und ich bekomme viel Unterstützung und mache auch ein Coaching, um zu lernen, mit der plötzlichen Führungsrolle umzugehen. Bei NetzBeweis und in der Kanzlei bin ich alleinige Geschäftsführerin. Ich habe mir eingestanden, dass ich nicht alles selbst machen muss. Jurist:innen sind zwar Kontrollfreaks, aber die Buchhaltung beispielsweise gebe ich ab. Ein gutes Mittel sind auch "Not-To-do-Listen". Ich habe endlos lange To-do-Listen – aber sage auch bewusst, was ich nicht mache. Vielleicht habe ich in ein paar Monaten Zeit für ein bestimmtes Projekt der Not-To-Do-Liste – aber eben nicht heute. Das nimmt den Druck raus.
"Ich habe mir den Job erschaffen, der zu mir passt"
Was ist Ihr persönliches Highlight des Jahres?
Die Anerkennung für NetzBeweis – gerade nach der Ausstrahlung der Sendung haben wir viel positives Feedback bekommen. Und mein persönliches Highlight war, dass die Wirtschaftskammer mich in der Kategorie "Gründung & Start Up" als "Unternehmerin des Jahres" ausgezeichnet hat.
Was müssen wir sonst noch über Sie wissen?
Ich möchte nicht den Eindruck hinterlassen, dass ich nur arbeite: Ich habe auch einen Mann, ein großes Haus mit Garten und zwei Hunde, die beschäftigt werden wollen. Und deshalb schätze ich meine Freiheit. Es ist wichtig, sich den Job zu suchen, der wirklich passt – oder man erschafft den Job einfach selbst.
Bei unseren Small Talks fragen wir zum Schluss immer gerne nach Buchempfehlungen – haben Sie eine für uns?
Ja: "Refuse to choose" von Barbara Sher. Das Buch eignet sich gut für Personen, die mehr als ein Interesse haben und gibt Tipps, um damit umzugehen. Außerdem empfehle ich "Start with why" von Simon Sinek, denn am Anfang jeder Erfolgsgeschichte steht die einfache Frage: Warum?
Vielen Dank für das Gespräch!
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2022 M07 22
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