Foto: Privat.
"Ich war bekannt wie ein bunter Hund"
LTO: Sie sind Anwältin in einem kleinen Dorf im Süden von Island. Was sehen Sie, wenn Sie aus Ihrem Bürofenster schauen?
Christiane Bahner: Ein sehr großes flaches Feld - allerdings kein Lavafeld, sondern landwirtschaftliche Nutzfläche. Bei gutem Wetter kann ich in der Ferne einen Vulkan sehen. Außerdem – und das ist auch anders als in einem deutschen Stadtbüro – steht um diese Jahreszeit die Sonne schon früh so tief am Himmel, dass ich auf meinem Computerbildschirm nichts mehr erkennen kann.
Sie haben in Deutschland im Jahr 1998 das erste Staatsexamen gemacht, das zweite nicht mehr. Sie sind nämlich nach Island gegangen. Sind Sie dort gleich Anwältin geworden?
Nein, denn ich konnte zu dem Zeitpunkt noch nicht die isländische Sprache. Ich habe mir mein berufliches Leben erstmal so zusammen gepuzzelt, wie es passte. Ich habe zum Beispiel in der Kinderbetreuung oder im Tourismus gearbeitet.
Tatsächlich bin ich nach zwei Jahren zu Jura zurückgekehrt, weil ich mir einen Bänderriss zugezogen hatte, der operiert werden musste. Danach durfte ich erstmal zwei Monate möglichst nicht auftreten und hatte auch keine Arbeit. Entsprechend habe ich mich gelangweilt – und bin auf den Gedanken gekommen, auf Island den juristischen Weg einzuschlagen. Das habe ich dann in Angriff genommen.
"Rechtsanwaltszulassung im Abendkurs"
Mussten Sie Ihr erstes Staatsexamen anerkennen lassen?
Genau. Erstens gibt es das Staatsexamen hier nicht und zweitens arbeiten die meisten Jura-Absolventen nach dem Abschluss des Studiums direkt als Juristen – anders als in Deutschland. Die Rechtsanwaltszulassung erwirbt man nach einem Abendkurs, ein Referendariat in diesem Sinne gibt es nicht.
Wie lief zunächst der erste Schritt, die Anerkennung?
Ich habe zuerst die Uni angeschrieben, aber das war der falsche Ansprechpartner. Fast hätte ich dort das ganze Studium nochmal machen müssen.
Aber dann habe ich mich an die Rechtsanwaltskammer gewandt – und einen sehr förmlichen juristischen Brief zurückbekommen. Darin wurde auf die einschlägigen isländischen Vorschriften verwiesen, nach denen das deutsche Studium anerkannt werden muss. Das liegt daran, dass Island zwar nicht in der EU, aber im Europäischen Wirtschaftsraum ist, wo die Grundfreiheiten gelten. Also auch die gegenseitige Anerkennung beruflicher Qualifikationen..
Die Rechtsanwaltskammer hat mich dann zunächst zu einem Gespräch eingeladen.
"Erste Rechtsanwältin mit ausländischem Abschluss"
War das wirklich nur ein Gespräch oder doch direkt eine Prüfung?
Erstmal nur ein Gespräch, das allerdings bei der Prüfungskommission der Rechtsanwaltskammer stattfand. Das war an einem Tag zwischen Weihnachten und Neujahr – das würde es in Deutschland wahrscheinlich auch nicht geben. Ich kam mit meinen Krücken rein und dort erwarteten mich ein Professor, eine Richterin, eine Rechtsanwältin und der Geschäftsführer der Kammer. Sie haben mir zunächst erklärt, dass ich für die Anerkennung meines Abschlusses eine Prüfung im Verfassungsrecht und im Verfahrensrecht ablegen müsse – und in einem dritten Rechtsgebiet, an das ich mich aber nicht mehr erinnere. Jedenfalls musste ich mir die Grundzüge des isländischen Rechts aneignen. Wie, war mir überlassen. Anschließend sollte ich eine Prüfung ablegen.
Nachdem der förmliche Teil beendet war, stellte sich beim Kaffee danach heraus, dass ich die erste war, die jemals beantragt hatte, ein ausländisches Studium anerkennen zu lassen. Die Kommission habe erstmal nicht gewusst, wie das funktionieren soll.
Wie haben Sie sich auf die Prüfung vorbereitet?
Ich habe ungefähr ein Jahr lang gelernt. Ich habe auch Vorlesungen im Verfahrensrecht besucht, weil es kein Lehrbuch gab. Dazu hatte sich der Professor aus der Prüfungskommission netterweise bereit erklärt.
Danach musste ich noch den Abendkurs machen, um dann meine Anwaltszulassung zu bekommen. Der ging dann aber schnell und war recht unspektakulär. Als ich fertig war, war ich bekannt wie ein bunter Hund, als erste Rechtsanwältin mit ausländischem Abschluss.
"Besonders Deutsche melden sich bei mir"
Danach haben Sie zunächst als angestellte Anwältin gearbeitet, sich dann aber selbstständig gemacht. Worauf haben Sie sich spezialisiert?
Ich wohne in einem sehr kleinen Ort und meine Kanzlei besteht nur aus mir, ich habe noch nicht einmal eine Sekretärin. Ich mache vor allem kleinere Dinge für die Leute hier in der Gegend, etwa Eheverträge aufsetzen, Testamente oder Scheidungsunterlagen. Strafrecht mache ich fast gar nicht mehr, denn ich wohne zu weit weg vom Gericht und den Polizeibehörden.
Ein weiteres Standbein waren immer Insolvenzen. Auf Island machen ausschließlich Rechtsanwälte die Insolvenzverwaltung, das wird vom Gericht zugeteilt. Weil es vermutlich immer weniger Insolvenzen gibt, sind diese Fälle aber rückläufig geworden.
Vor allem seit der Corona-Pandemie wollen immer mehr Menschen zu Immobilienkäufen auf Island beraten werden. Besonders Deutsche melden sich bei mir. Genau wie bei touristischen Belangen, zum Beispiel bei rechtlichen Problemen wegen Mietwagen.
Also haben Sie viele deutsche Mandant:innen?
Ja, etwa die Hälfte meiner Mandanten ist deutsch.
"Es wird nicht so viel interpretiert und diskutiert"
Was ist der größte Unterschied zwischen dem deutschen und dem isländischen Recht?
Das isländische Recht ist klarer. Es wird nicht so viel interpretiert und diskutiert, wie man dies oder jenes auslegen könnte. Man liest tatsächlich einfach erstmal das Gesetz – und in den meisten Fällen macht man einfach, was darinsteht.
Das liegt natürlich auch daran, dass Island ein kleines Land ist und es entsprechend weniger Rechtsprechung gibt. Viele Probleme stellen sich daher erst gar nicht. Und es gibt viel weniger Professoren, die Wissenschaft betreiben.
Wie viele Gerichte gibt es auf Island?
Es gibt drei Stufen: Erst kommen die acht Bezirksgerichte. Dann gibt es ein Berufungsgericht und ein Revisionsgericht. Letzteres ist auch das Verfassungsgericht.
Wie sieht es aus mit Online-Verhandlungen, etwa wenn die Wetterverhältnisse nicht geeignet sind, um zu Gericht zu fahren?
Da ich ja viele ausländische Mandanten habe, habe ich viele Online-Verhandlungen, und es klappt sehr gut.
Allgemein sind die Isländer sehr entspannte Menschen. Als ich mal zu spät zu einem Termin war und bei Gericht angerufen habe, sagte der Richter: Na dann warten wir eben kurz.
Oder man wartet im Gericht auf seinen eigenen Termin und jemand fragt, ob man nicht nebenan die Sitzungsvertretung übernehmen will. Es ist eben ein kleines Land, man ist aufeinander angewiesen und nett zueinander.
"Fast alles ist unkompliziert"
Was finden Sie bemerkenswert am isländischen Recht?
Tatsächlich ist Island sehr weit in der Geschlechtergleichstellung. Zum Beispiel gibt es gleichgeschlechtliche Ehen bereits lange, auch die freie Selbstbestimmung des Geschlechts ist schon lange möglich, auch in dieser Hinsicht sind die Isländer unkompliziert. Allgemein sieht man das schon daran, dass Island schon in den 1970-er Jahren eine alleinerziehende Präsidentin hatte oder später auch eine lesbische Premierministerin. Der Individualismus ist in Island stark ausgeprägt.
Was vermissen Sie an Deutschland?
Meine Familie natürlich, aber auch, dass man so einfach in andere Länder reisen kann. Hier muss ich ja immer fliegen. In meiner Heimat, dem Saarland, habe ich aus meinem Zimmerfenster schon Frankreich gesehen.
Was ist für Sie das Beste an Island?
Dass so wenig Menschen hier wohnen. In Deutschland stören mich sofort die Mengen an Menschen.
Es ist ruhig und beschaulich. Ich mache mir schon selbst genug Stress, ich brauche das nicht auch noch um mich herum.
Außerdem ist fast alles unkompliziert. Die stressigste Behörde ist die Ausländerbehörde, alle anderen sind sehr entspannt.
Es sprechen sich übrigens alle mit Vornamen an. Nur die Richter:innen werden nicht geduzt, selbst das ist aber keine feste Regel mehr. Alles ist sehr freundschaftlich.
Eine letzte Frage: Warum eigentlich Island?
Das war eine Kombination aus meiner Leidenschaft, dem Reiten von - Islandpferden, und natürlich der Liebe. Meinen isländischen Mann hatte ich aber in Deutschland kennengelernt,. Schon während meines Studiums war ich zweimal auf Island gewesen. Eigentlich hatte ich nicht geplant, auszuwandern, aber es kam dann so.
Ich darf übrigens in Deutschland als isländische Anwältin praktizieren. Musste ich aber noch nie.
Vielen Dank für das Gespräch!
Christiane L. Bahner ist Anwältin in ihrer eigenen Kanzlei bei Hvolsvöllur auf Island. Sie hat das erste deutsche Staatsexamen absolviert und eine isländische Rechtsanwaltszulassung.
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