picture alliance / dpa | Armin Weigel
Auch ohne Prädikat geht's zur Staatsanwaltschaft
Ohne Prädikat zum Staatsanwalt ernannt – für die Bild war das kürzlich Anlass genug, um die Frage aufzuwerfen, ob in Schleswig-Holstein der Sohn des Generalstaatsanwalts wegen seiner verwandtschaftlichen Verhältnisse zum Job in der Justiz gekommen ist. Und nicht etwa wegen seiner fachlichen Befähigung.
Konkret soll der Mann laut Bild rund zwei Mal sieben Punkte in seinen beiden Examina haben. Aus Persönlichkeitsschutzgründen möchte das Justizministerium Schleswig-Holstein das gegenüber LTO nicht bestätigen.
Aber genau da liegt auch der Punkt: Ob der Staatsanwalt mit einem Prädikat, zwei Prädikaten oder gar keinem Prädikat ernannt wurde, spielt heutzutage kaum noch eine Rolle – oder mutiger ausgedrückt: gar keine. Es ist durchaus möglich und normal, auch unterhalb der Punkteschwelle zum Vollbefriedigend zum Richter oder Staatsanwalt ernannt zu werden.
In Schleswig-Holstein sieht es nach den Informationen des Landesjustizministeriums folgendermaßen aus: Grundsätzlich ist eine Einstellung in den höheren Justizdienst denen eröffnet, die "im zweiten und möglichst auch im ersten Staatsexamen einen Abschluss mit Prädikat ('vollbefriedigend' und besser) erreicht haben", so ein Sprecher. Er betont gegenüber LTO allerdings, dass die Examensnoten bei der Auswahlentscheidung ein gewichtiges, aber nicht das allein ausschlaggebende Kriterium seien. "Die Summe der Noten aus beiden Examina ist weder ausdrücklich noch informell ein Auswahlkriterium für eine Einstellung in den Justizdienst", so der Sprecher weiter. Es seien in Schleswig-Holstein nämlich auch Einstellungen möglich, wenn "fehlende Prädikate kompensiert werden" durch zusätzliche erworbene Qualifikationen wie Promotion oder einer weiteren Ausbildung. Auch die Stationszeugnisse aus dem Referendariat fänden Beachtung.
Manche Bundesländer gucken nur auf das zweite Examen
Dieses durchaus schwammig und intransparent anmutende Kriterium der "zusätzlichen Qualifikationen" kommt nicht nur in Schleswig-Holstein zum Einsatz, auch viele andere Bundesländer gehen so vor.
Manche setzen generell eher auf eine hohe Notenschwelle und machen dann Ausnahmen über das Kriterium der zusätzlichen Qualifikationen. Andere hingegen setzen von vornherein auf eine niedrigere Notenschwelle, beispielsweise Sachsen mit insgesamt 14 Punkten in beiden Examina oder Hessen mit 15 Punkten. Doch selbst in diesen Ländern sind Abweichungen möglich.
Manche Bundesländer betrachten sogar nur die Note im zweiten Staatsexamen, das erste Staatsexamen verliert dort an Relevanz. So in Nordrhein-Westfalen oder in Schleswig-Holsteins Nachbarbundesland Niedersachsen. Dort werden grundsätzlich acht Punkte im zweiten Staatsexamen vorausgesetzt. Das gilt auch beim zweiten Nachbarn Mecklenburg-Vorpommern. Dort sind grundsätzlich acht Punkte im zweiten Staatsexamen nötig, aber auch sieben reichen, wenn "besondere fachliche Qualifikationen" gegeben sind. Das erste Examen muss mindestens "befriedigend" ausgefallen sein.
Prädikat genauso ausreichend wie andere Qualifikationen
Daran hatte sich auch die Bild aufgehangen: Warum habe sich der Sohn des Generalstaatsanwalts ohne Prädikate nicht in Nachbarländern beworben, in denen niedrigere Anforderungen gelten?
Tatsächlich weist der Nachbar Hamburg aber höhere Einstellungsvoraussetzungen vor: "Bewerbungsvoraussetzungen für den höheren Justizdienst sind neben den in § 9 des Deutschen Richtergesetzes genannten Anforderungen überdurchschnittliche Rechtskenntnisse, belegt durch beide Staatsexamina mit der Mindestnote 'vollbefriedigend' sowie überdurchschnittliche Leistungen im Vorbereitungsdienst", so der Justizsenat gegenüber LTO. Allerdings könnten auch dort ausnahmsweise Bewerber:innen berücksichtigt werden, die in einem Examen ein "vollbefriedigend" und in dem anderen ein gehobenes "befriedigend" erreicht haben, wenn sie sich zusätzlich durch besondere fachliche oder persönliche Qualifikationen auszeichnen.
Allerdings stellt sich ohnehin die Gegenfrage, warum man sich ohne Prädikate nicht in seinem Wunschbundesland bewerben sollte, wenn es eben über das Merkmal der "anderen Qualifikationen" doch geht. Schließlich erfüllt man dann die geforderten Voraussetzungen genauso wie jemand, der Prädikate vorweist, aber keine "anderen fachlichen oder persönlichen Qualifikationen".
46 Prozent haben kein "Vollbefriedigend" im zweiten Examen
Das belegen auch die Zahlen, die LTO vorliegen: In den Jahren 2016 bis 2024 sind dem Landesjustizministerium Schleswig-Holstein zufolge insgesamt 414 Personen in den höheren Justizdienst eingestellt worden. Davon hätten im ersten Staatsexamen 143 Personen "befriedigend/ausreichend" – also weniger als "vollbefriedigend" – erzielt. Das sind 35 Prozent. Im zweiten Staatsexamen hätten 190 Personen eine Note unterhalb eines "Vollbefriedigend" erzielt. Das sind knapp 46 Prozent aller Einstellungen.
Der schleswig-holsteinische Weg ist also alles andere als ungewöhnlich, sondern heutzutage ganz normal. Ob es allerdings generell Sinn macht, erst einmal auf Prädikate zu setzen und dann über andere Qualifikationen fehlende Prädikate "zu kompensieren", ist eine andere Frage. Andere Bundesländer senken ihre Notenschwellen schließlich auch ab. Dann dürfte das Kriterium der "besonderen Qualifikationen" auch seltener zum Einsatz kommen.
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