"Für eine Dissertation ist es nie zu spät"
LTO: Herr Dr. Kroner, die meisten promovieren entweder direkt nach dem ersten oder nach dem zweiten Staatsexamen. Sie sind seit fünf Jahren Anwalt bei Freshfields – und haben im vergangenen Jahr Ihre Doktorarbeit geschrieben. Brauchten Sie Bedenkzeit?
Dr. Philip Kroner: Ich hatte schon länger die zumindest abstrakte Idee, zu promovieren. Nach dem ersten Examen fehlte mir ehrlicherweise das richtige Thema. Ich hatte nicht wie einige meiner Kommilitonen an einem Lehrstuhl gearbeitet. Und ich wollte auch nicht monatelang die NJW durchforsten, um auf ein Thema zu stoßen.
Nach dem zweiten Examen wusste ich, dass ich im Wirtschaftsstrafrecht arbeiten möchte und hatte auch eine grobe Idee, in welche Richtung meine Dissertation gehen könnte. Damals überwog für mich allerdings die Vorfreude, als Anwalt zu starten.
Nach einigen Jahren im Berufsleben bin ich dann auf mein Promotionsthema gestoßen. Hinzukam, dass mein Bruder in Mathematik promoviert. Ich bin sicher, dass er mich ohnehin zeitnah überflügeln wird mit allem, was er tut. Ich habe das aber als zusätzlichen Ansporn genommen, meine Promotion in Angriff zu nehmen.
"Die Kombination aus Jura und Politik interessiert mich sehr"
Ihre Dissertation beschäftigt sich mit der Situation von Zeugen in Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in Deutschland und Österreich. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Wir bei Freshfields haben mehrmals zu Untersuchungsausschüssen beraten. Und diese Kombination aus Politik und Strafrecht interessiert mich sehr. Untersuchungsausschüsse ermitteln den Sachverhalt letztlich mit der Strafprozessordnung und gelten deshalb auch als schärfstes Schwert des Parlaments und auch der Opposition.
Mit mehreren Anwälten von Freshfields und Kollegen aus anderen Kanzleien haben wir gemeinsam einen Praxiskommentar zum Parlamentarischen Untersuchungsausschussgesetz verfasst. Die Arbeit an dem Kommentar hat mir großen Spaß gemacht.
Auf meine konkrete Forschungsfrage bin ich dann zufällig gestoßen. Ich habe von einer Reform des Untersuchungsausschussrechts in Österreich aus dem Jahr 2015 gelesen. Der dortige Gesetzgeber hat sich viel an den deutschen Regelungen orientiert – aber ganz bewusst bei bestimmten Details andere Entscheidungen getroffen. Und ich wollte herausfinden, weshalb und ob der deutsche Gesetzgeber nicht etwas lernen sollte.
Wie hat die Kanzlei auf Ihre Pläne reagiert?
Ich habe mit den Partnern aus meinem Team gesprochen. Alle hatten zwei Botschaften für mich: Erstens, Du brauchst die Promotion für Deine Karriere bei Freshfields nicht. Und zweitens: Wenn Du für Dich gerne promovieren möchtest, ermöglichen wir Dir das. Ich konnte also vorschlagen, wann und wie lange ich mich von der Arbeit freistellen lasse.
Vorher habe ich parallel zur Arbeit mein Exposé fertiggestellt und einen Doktorvater gesucht. Aber eigentlich stand auf meiner Liste nur ein Name.
"Meinem Doktorvater habe ich am Buffet aufgelauert"
Und zwar der des Erlanger Strafrechtsprofessors Hans Kudlich. Wie konnten Sie ihn so schnell von Ihrem Projekt überzeugen?
Ich habe ihm am Buffet aufgelauert. Ich kannte ihn natürlich als Strafrechtskoryphäe und Herausgeber vieler wichtiger Werke. Mitte 2023 bin ich ihm halb zufällig auf einer Veranstaltung begegnet. Vormittags haben wir noch Smalltalk gehalten. Nachmittags habe ich ihn nach einem Vortrag mit meiner Idee "überfallen".
Ich habe ihm im Nachgang mein Exposé geschickt und ein paar Wochen später haben wir telefoniert. Ich glaube, es hat ihn überzeugt, dass ich schon eine sehr klare Vorstellung davon hatte, wie meine Arbeit aussehen sollte und wie ich vorgehen wollte.
Freshfields hat Sie dann für neun Monate, von Februar bis Ende Oktober 2024, freigestellt. In der Zeit haben Sie Ihre Doktorarbeit vollständig geschrieben und eingereicht, im März haben Sie die Arbeit verteidigt. Wie schafft man das?
Wie bei allen Dissertationen oder jedem anderen Marathonprojekt braucht es Ausdauer und einen klaren Plan. Für mich persönlich waren zwei Dinge wichtig, um diesen Plan auch umzusetzen: Zum einen hatte ich umfangreiche Vorkenntnisse im Thema und wusste deshalb, wo ich die Antworten auf meine Fragen finde.
Zum anderen hatte ich eine sehr gute Betreuung. Mein Doktorvater war immer für mich erreichbar, sehr schnell mit der Durchsicht und konstruktiver Kritik. Diese Form der Betreuung hat mir dabei geholfen, die Thesen der Arbeit so zu entwickeln, wie ich sie dann am Ende niedergeschrieben habe.
"Das 'Sitzfleisch' von uns Anwälten hat mir geholfen"
Inwiefern haben Ihnen Ihre Erfahrungen aus der Anwaltstätigkeit bei der Anfertigung der Dissertation geholfen?
In der Kanzlei habe ich schon früh gelernt, Texte präzise zu formulieren und zu strukturieren. Dabei geht es um Genauigkeit und klare Gedankenführung. Alles, was dem Leser helfen soll, die Gedanken und Argumente zu verstehen, hilft letztlich auch mir als Schreiber. Denn so wird mir klar, was ich eigentlich sagen möchte. Und ich habe davon profitiert, dass ich durch die vielen Schriftsätze und Gutachten meinen Schreibstil schon gefunden habe. Das wäre direkt nach dem Studium nicht so gewesen.
Außerdem braucht es ein gutes Zeitmanagement und das "Sitzfleisch", das wir Anwälte zwangsläufig haben müssen. Bei Juristen gibt es ja den Spruch, dass Fristen dafür da sind, um verlängert zu werden. Eigentlich stimmt das aber nicht. Wenn das Arbeitsprodukt am Freitag fällig ist, wird es am Freitag fertig. Diese Einstellung habe ich aus der Kanzlei auf meine Dissertation übertragen können.
Hatten Sie ein bestimmtes Ziel, wie viele Seiten Sie am Tag schreiben wollten?
Ich hatte immer ein gutes Gefühl, wenn ich fünf Seiten geschrieben habe. Morgens habe ich zuerst nochmal alles gelesen, was ich am Vortag fabriziert hatte. So konnte ich daran anknüpfen, aber auch nochmal Stellen verbessern. Bis 19 oder 20 Uhr saß ich dann am Schreibtisch. Und später durfte ich meiner Frau berichten, was ich den Tag über vollbracht habe. Das hat auch nochmal dazu beigetragen, dass der Prozess stetig weiterging.
"Mit meinem Vater habe ich an einem 315 km-Radrennen in Schweden teilgenommen"
Das klingt so, als hätte das Privatleben in der Zeit etwas zurückstecken müssen.
Tatsächlich habe ich nicht länger am Schreibtisch gesessen als sonst an einem normalen Arbeitstag. Der entscheidende Unterschied zur Kanzleiarbeit war aber, dass ich selbst entscheiden konnte, was ich wann mache oder nicht mache. Wenn ich keine Lust mehr hatte, habe ich für den Tag aufgehört.
Und ich habe letztes Jahr geheiratet und noch mehr Sport als sonst getrieben. Aus einem Überschwang heraus hatten mein Vater und ich uns das Ziel gesetzt, die "Vätternrundan" zu fahren. Das ist eine 315 km lange Radrundfahrt in Schweden, das größte Amateur-Radrennen der Welt. Das Jahr konnte ich gut dafür nutzen, mich auf mein Fahrrad zu setzen, wann immer ich es wollte.
"Der Zeitpunkt ist nicht so entscheidend wie die Begeisterung für das Thema"
Viele denken, wenn sie einmal im Beruf sind, können sie nicht mehr promovieren. Was wollen Sie denjenigen mit auf den Weg geben, die auch über eine "späte" Promotion nachdenken, sich aber noch nicht so recht trauen?
Es ist eine individuelle Entscheidung. Ich würde nicht behaupten wollen, dass mein Weg für alle gut ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Frage nach dem Zeitpunkt nicht so entscheidend ist wie die Frage nach dem Thema und der Begeisterung dafür. Wenn sich ein Thema nicht richtig anfühlt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man die Promotion erfolgreich abschließt, gering – egal, zu welchem Zeitpunkt.
Ich kann mir vorstellen, dass es vielen nach dem Studium so geht wie mir und sie keine richtige eigene Idee haben. Natürlich kann man auch sehr gute Dissertationen über ein Thema schreiben, das der Doktorvater vorgeschlagen hat, und davon begeistert sein. Ich halte aber die Wahrscheinlichkeit, später im Berufsleben das eigene Thema zu entdecken, für mindestens genauso groß oder sogar größer. Aus meiner Sicht ist es nie zu spät. Wenn das Thema einen packt, kann man auch die Dissertation anpacken.
Ihr letztes Jahr war ja sehr intensiv. Was haben Sie aus der Zeit mitgenommen und über sich gelernt?
Ich bin stolz darauf, dass ich den Plan, den ich im Kopf hatte, auch umsetzen konnte. Ich hatte mir fest vorgenommen, die Promotion in einem Jahr zu schaffen. Ursprünglich wollte ich mich für ein ganzes Jahr freistellen lassen, letztlich war ich schon nach neun Monaten fertig. Ich bin also früher als geplant wieder in die Kanzlei zurückgegangen.
Ich habe auch nochmal festgestellt, wie gerne ich Anwalt bin. Natürlich hat mir die wissenschaftliche Arbeit auch Spaß gemacht. Ich habe mich gefreut, wenn ich gemerkt habe, dass ein Gedanke rund ist und ich auf den Punkt bringe, was ich sagen möchte. Trotzdem fehlte mir meine Arbeit in der Kanzlei. Ich bin dort jetzt seit fünf Jahren und vor einem Jahr zum Principal Associate befördert worden. Für manche kommt dann der Zeitpunkt, in dem sie aus der Großkanzlei aussteigen. Bei mir ist das Gegenteil der Fall: Ich spüre, warum ich wieder zurückwollte.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Philip Kroner ist Principal Associate bei Freshfields in Düsseldorf und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg. Seine Doktorarbeit "Der Zeuge und sein Rechtsbeistand in Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen - Eine rechtsvergleichende Betrachtung der Vernehmungssituation im Deutschen Bundestag und im Nationalrat Österreichs" hat er im März 2025 erfolgreich verteidigt.
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